
Über den Berufseinstieg, den Arbeitsalltag als Richter/in und Entwicklungsmöglichkeiten in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen sprechen Richterin Dr. Isabel Wendeburg und Richterin Dr. Julia Ludwigkeit.
Richterliche Unabhängigkeit als berufliche Motivation
Dr. Isabel Wendeburg: Warum hast Du Dich für den Richterberuf entschieden?
Dr. Julia Ludwigkeit: Bei dem Richterberuf handelt es sich aus meiner Sicht um eine sehr verantwortungsvolle und gesellschaftlich bedeutende Aufgabe. Es war mir wichtig, eine Tätigkeit „mit Sinn“ auszuüben. Ich schätze es sehr, bei der Beurteilung von Rechtsstreitigkeiten weder Parteiinteressen noch privatwirtschaftlichen Interessen unmittelbar unterworfen zu sein, sondern Konflikte objektiv lösen und an einem vernünftigen Ausgleich verschiedener Interessen mitwirken zu können.
Dr. Isabel Wendeburg: Du hast nach dem Referendariat zunächst als Rechtsanwältin in einer international tätigen Großkanzlei gearbeitet. War die richterliche Unabhängigkeit damals ausschlaggebend für Dich, von der Anwaltschaft in die Justiz zu wechseln?
Dr. Julia Ludwigkeit: Genau, das war ein ganz wesentlicher Beweggrund für mich. Als Richterin kann ich einen Rechtsstreit eigenständig und unabhängig auf der Grundlage des geltenden Rechts entscheiden.
Abwechslungsreicher Arbeitsalltag und Flexibilität im Richterberuf
Dr. Isabel Wendeburg: Wodurch unterscheidet sich Dein Berufsalltag als Richterin gegenüber dem Kanzleialltag darüber hinaus am meisten?
Dr. Julia Ludwigkeit: Als Rechtsanwältin war ich im Gesellschaftsrecht spezialisiert, meine Mandant/innen waren in der Regel große Unternehmen und mein Berufsalltag fand nahezu ausschließlich im Büro statt. Als Richterin entscheide ich dagegen über Sachverhalte aus den verschiedensten Lebensbereichen und bin in einer Vielzahl von Rechtsgebieten tätig. Ich verbringe meinen Arbeitsalltag nicht nur im Büro oder im Gerichtssaal, sondern momentan als Betreuungsrichterin auch mal in Kliniken oder Pflegeheimen und treffe dabei auf ganz unterschiedliche Menschen. Dadurch ist der Beruf sehr abwechslungsreich und anspruchsvoll. Ich schätze zudem die große Flexibilität, die ich im Richterberuf bei der Gestaltung meines Arbeitsalltags genieße.
Dein Werdegang, Isabel, zeigt zudem, dass man als Richterin neben der klassisch rechtsprechenden Tätigkeit auch vielfältige Möglichkeiten hat, für einen bestimmten Zeitraum andere Erfahrungen zu sammeln.
Dr. Isabel Wendeburg: Das stimmt. Ich war etwa zwei Jahre an das Oberlandesgericht abgeordnet und dort u.a. für die Nachwuchsgewinnung, das Einstellungsverfahren sowie die Koordinierung der Übernahme von Plan- und Proberichter/innen aus anderen Bezirken oder Bundesländern zuständig. Und das ist nur eine von vielen Abordnungsmöglichkeiten, die man als Richter/in hat: Man kann sich bspw. als wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw. wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Bundesgerichtshof, an europäische Gerichte und Institutionen sowie Bundes- oder Landesministerien abordnen lassen und hat trotzdem immer die Gewissheit, danach wieder an das Gericht zurückkehren zu können, an dem man zuvor tätig war. Diese Vielzahl an Möglichkeiten, die ich als Richter/in habe, war mir bei meiner Bewerbung für den Richterberuf noch gar nicht bewusst.
Bewerbungsverfahren und Berufseinstieg in NRW als Richter/in
Dr. Julia Ludwigkeit: Wenn wir schon über das Bewerbungsverfahren sprechen: Welche Voraussetzungen muss ich denn derzeit erfüllen, um mich als Richter/in in Nordrhein-Westfalen bewerben zu können?
Dr. Isabel Wendeburg: Bewerber/innen bringen vorzugsweise ein Prädikatsexamen (mind. 9 Punkte) in der Zweiten Juristischen Staatsprüfung mit. Dabei handelt es sich aber um keine zwingende Voraussetzung: Man kann sich auch bewerben, wenn man min destens 7,76 Punkte in der Zweiten Juristischen Staatsprüfung erzielt hat und sich durch besondere persönliche Eigenschaften auszeichnet. Dies können z.B. besondere Leistungen im Abitur, im Studium, in der Staatlichen Pflichtfachprüfung oder der Referendarzeit sein. Daneben darf man regelmäßig nicht älter als 42 Jahre sein und muss Deutsche/r i.S.d. Art. 116 GG sein. Welche Unterlagen der Bewerbung beizufügen sind und wie das Bewerbungsverfahren im Einzelnen abläuft, lässt sich den Internetseiten der Oberlandesgerichte in Nordrhein-Westfalen entnehmen. Wie ging es denn damals bei Dir nach der Einstellungszusage weiter? Wie war Dein Berufseinstieg?
Dr. Julia Ludwigkeit: Ich hatte die Möglichkeit, in meiner Bewerbung drei Landgerichtsbezirke anzugeben, in denen ich mir meinen Einsatz vorstellen konnte, und habe auch in einem dieser Bezirke, nämlich am Landgericht Wuppertal, wenige Wochen später meine Tätigkeit als Richterin begonnen. Dort war ich für etwa ein Jahr in einer Zivilkammer eingesetzt. Seit etwa drei Monaten bin ich nun am Amtsgericht Wuppertal tätig und bearbeite Verkehrsunfall- und Betreuungssachen. Ich habe bereits wenige Wochen nach meinem Berufseinststieg meine erste mündliche Verhandlung als Einzelrichterin geleitet. Vor dieser Verantwortung hatte ich natürlich großen Respekt. Ich wurde jedoch bei meinem Berufseinstieg von den anderen erfahrenen Mitgliedern meiner Kammer, aber auch von vielen anderen Kolleg/innen unterstützt. Dadurch habe ich mich von Anfang an sehr wohl gefühlt und hatte nie das Gefühl, mich den neuen Herausforderungen allein stellen zu müssen.
Dr. Isabel Wendeburg: Zusätzlich starten die Proberichter/innen in unserem Oberlandesgerichtsbezirk im ersten Jahr mit einem reduzierten Pensum und in der Regel in speziellen Ausbildungskammern. Auch dadurch wird der Berufseinstieg sicherlich wesentlich erleichtert. Du hast bereits die Richtertätigkeit am Amts- und am Landgericht kennengelernt. Welche Aufgaben würdest du in einigen Jahren gerne übernehmen?
Dr. Julia Ludwigkeit: Da ich noch nicht lange als Richterin tätig bin, habe ich noch keine abschließende Vorstellung davon, wo ich mich in einigen Jahren sehe. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, mich später einmal beim Oberlandesgericht erproben zu lassen, um dann vielleicht den Vorsitz einer Kammer am Landgericht zu übernehmen. Unabhängig davon würde ich mich auch gerne in der Referendarausbildung engagieren und eine Arbeitsgemeinschaft leiten.
Erfahre in diesem Beitrag, wie viel eine Richterin bzw. ein Richter je nach Bundesland und Erfahrungsstufe im Durchschnitt verdient.
Wichtige Fähigkeiten im richterlichen Dienst
Dr. Isabel Wendeburg: Viele Referendar/innen fragen sich sicherlich, über welche Fähigkeiten und Eigenschaften sie für den richterlichen Dienst verfügen sollten. Was zeichnet aus deiner Sicht eine gute Richterin/einen guten Richter aus?
Dr. Julia Ludwigkeit: Neben der fachlichen Qualifikation müssen Richter/innen vor allem empathisch sein, auf Menschen zugehen können, kommunikativ und entscheidungsfreudig sein. Gerade in der mündlichen Verhandlung gerät man immer wieder in Situationen, in denen man kommunikatives Geschick benötigt, bspw. um eine gütliche Einigung zu treffen, in der sich beide Parteien wiederfinden, oder um den Parteien die eigene Rechtsauffassung zu vermitteln.
In weiteren Beiträgen berichten Richterinnen und Richter von ihrer Arbeit:
- Als Richterin und Richter am Amtsgericht
- Richterin und Richter in der Sozialgerichtsbarkeit
- Als Richterin und Richter am Landgericht
- Die Arbeit als Verwaltungsrichterin bzw. Verwaltungsrichter
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Über die Interviewpartnerinnen:
Dr. Isabel Wendeburg
ist seit Dezember 2019 Richterin und nunmehr als Richterin am Landgericht Düsseldorf tätig.
Dr. Julia Ludwigkeit
ist seit Juli 2021 Richterin und derzeit am Amtsgericht Wuppertal tätig.
Ansprechpartner für das Bewerbungsverfahren im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf: Christopher Schaffel Tel: 0211/4971-679 E-Mail: bewerbung-richterdienst@olg-duesseldorf.nrw.de
Der Beitrag ist erstmals in der JuS 11/23 erschienen.