Richterin oder Richter – der beste Beruf der Welt

Hanseatisches Oberlandesgericht Gebäude
von Dr. Martin Tonner

Eigentlich wollte ich niemals Richter werden. Nach Abschluss meines Jura-Studiums habe ich an einem gesellschaftsrechtlichen Lehrstuhl in Bonn gearbeitet, dort über ein aktienrechtliches Thema promoviert und im Referendariat verschiedene Stationen im Ausland und in internationalen Wirtschaftskanzleien absolviert, so dass alles auf eine Karriere im Auswärtigen Amt, in der Wissenschaft oder in einer Großkanzlei hinauslief. Ich hatte mir allerdings vorgenommen, das Referendariat als ein Schau laufen der juristischen Berufe zu betrachten und zu meiner eigenen Überraschung hat es mich dann völlig unerwartet in der letzten Station am Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg erwischt: Ich war begeistert von der Station im Speziellen und dem Richterberuf im Allgemeinen und habe alle anderen Jobangebote ausgeschlagen. Seitdem ist für mich klar: Der Richterberuf ist der beste Beruf der Welt!

Selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Arbeiten als Richterin bzw. Richter

Zunächst einmal gibt es keinen Beruf, in dem man von Anfang an eine solche Freiheit genießt. Als Richter ist man vom ersten Tag an »Entscheider«. Man hat keinen Chef, es gibt niemanden, der einem – von der notwendigen Abstimmung in einem Kollegialgericht abgesehen – in die eigenen Entscheidungen reinredet und man arbeitet von Beginn an vollständig selbständig und eigenverantwortlich. Wo gibt es das sonst? Feste Arbeitszeiten gibt es genauso wenig wie Regeln darüber, wo man arbeitet. Durch die schrittweise Einführung der elektronischen Akte ist Homeoffice auch nach Corona völlig normal geworden. Mit dieser großen Freiheit korrespondiert aber auch eine große Verantwortung. Gerade in den ersten Berufsjahren haben die jungen Assessorinnen und Assessoren sehr viel zu tun und damit zwangsläufig lange Arbeitszeiten. Mit zunehmender Berufserfahrung lässt sich die Belastung aber meist in gut verträgliche Bahnen lenken. Hierbei helfen einem fast immer die erfahreneren und meist sehr netten Kollegen sowie in zwischen sehr gute Mentoren- und Fortbildungsprogramme der einzelnen Bundesländer wie auch der Deutschen Richterakademie in Trier und Wustrau.

Der Beruf als Richterin bzw. Richter: Sinnhaftigkeit durch die Relevanz der Entscheidungen

Was mir immer besonders wichtig war: Der Richterberuf verfügt über eine große Sinnhaftigkeit. Das, worüber man entscheidet, hat für die Betroffenen höchste Relevanz. Die Justiz als zentraler Bestandteil des Rechtsstaats hält unsere Gesellschaft im Innersten zusammen. Ohne eine gute Justiz gäbe es kein soziales Miteinander in der Gesellschaft und kein funktionierendes Wirtschaftssystem. Dabei muss es nicht um Millionensummen gehen. Der Entzug der Freiheit im Strafverfahren, die Herausnahme eines Kindes aus der Familie oder Auseinandersetzungen um ehrverletzende Äußerungen beispielsweise erfordern unser ganzes Verantwortungsbewusstsein und viel Einfühlungsvermögen. Das bringt mitunter auch belastende Situationen mit sich, die man mit nach Hause nimmt. Ich hatte aber in solchen Fällen immer auch das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, die Sache wenigstens ein bisschen in die richtige Richtung lenken und Menschen damit helfen zu können.

Vielfalt an möglichen Tätigkeitsbereichen im Beruf der Richterin bzw. des Richters

Ein weiterer Vorteil des Richterberufs ist die unglaubliche Vielfalt. Man kann praktisch in allen Rechtsgebieten tätig werden und unterschiedlichste Erfahrungen sammeln, oder sich auf einen Bereich, der einem besonders gut gefällt, spezialisieren. Das ist zwar noch nicht gleich zu Beginn der Berufstätigkeit möglich, weil man in der Proberichterzeit einige Pflichtstationen durchlaufen muss, aber mittelfristig hat man in der Regel eine große Auswahl. Besonders spannend ist zudem, dass man sich an Landes- und Bundesbehörden, an oberste Bundesgerichte und auch an internationale Institutionen abordnen lassen kann. Ich habe etwa zwei Jahre als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht gearbeitet und diese Zeit gehört zu den spannendsten Erfahrungen meiner Berufstätigkeit. Allerdings soll ein Nachteil des Richterberufs an dieser Stelle nicht verschwiegen werden: Man ist meist nicht international tätig und in der Regel an seine eigene Rechtsordnung gebunden.

Richterin bzw. Richter: Work-Life-Balance als gelebte Realität

Dafür gibt es kaum einen Beruf, der familienfreundlicher ist. Die berühmte »Work-Life-Balance« gibt es hier wirklich und steht nicht nur in der Werbebroschüre. Ich bin ein begeisterter und engagierter Vater und konnte viel Zeit mit meinen beiden inzwischen fast erwachsenen Kindern verbringen. Das hat mir der Richterberuf ermöglicht. Denn schon lange vor den Zeiten von elektronischer Akte und Homeoffice konnte ich Akten mit nach Hause nehmen, die Kinder ins Bett bringen und danach am heimischen Schreibtisch weiterarbeiten, ohne dass das irgendeinen Senior Partner oder Mandanten gestört hätte.

Zuletzt noch ein Wort zur Vergütung, die gerne als großer Nachteil der Justiz im Werben um die besten Köpfe genannt wird: Sicher, mit den Gehältern, die Großkanzleien Berufsanfängern zahlen, kann (und will) die Justiz nicht mithalten. Auch unsere Büros sind nicht so schick wie die mancher Kanzlei. Man muss bei der Beurteilung aber das Gesamtpaket sehen, zu dem mit der Pension auch eine gute Altersversorgung, für die kein eigener Aufwand betrieben werden muss, und mit dem Beihilfeanspruch eine hervorragende Krankenversicherung gehören. Außerdem wird man bei guter Bewährung nach spätestens drei Jahren auf Lebenszeit ernannt und ist damit praktisch unkündbar. Von der oben beschriebenen Freiheit und fehlendem Akquisitionsdruck gar nicht erst zu reden.

Voraussetzungen für den Richterberuf

Zunächst einmal sollte man gute Noten in beiden Staatsexamina haben, wobei die Anforderungen in den letzten Jahren – wie in vielen juristischen Berufen – zum Teil deutlich abgesenkt wurden. Zwei Prädikatsexamina sind längst nicht mehr in allen Bundesländern erforderlich. In der Hamburgischen Justiz, aus der ich komme, ist aber immer noch mindestens zweimal »vb« gerne gesehen. Weiter sollte man über ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl sowie Kommunikations- und Verhandlungsfähigkeit verfügen. Teamfähigkeit, etwas Lebenserfahrung (zum Beispiel wenn man vorher schon in einem anderen Beruf gearbeitet hat) und die Fähigkeit zur Selbstorganisation können auch nicht schaden. Wer diese Anforderungen erfüllt, für den stehen die Türen zum schönsten Beruf der Welt weit offen. Ich selbst habe meine Entscheidung dafür bis heute zu keinem Zeitpunkt bereut. 
 

Erfahre mehr über die Arbeit als Richter bzw. Richterin in verschiedenen Gerichtsbarkeiten:

 

Über den Autor:

Dr. Martin Tonner,
studierte in Hamburg und Bonn, wo er bei Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt promovierte. Im Referendariat absolvierte er Stationen u.a. beim deutschen Generalkonsulat in New York und in internationalen Anwaltskanzleien. Heute ist er Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht in einem Senat für Bank- und Finanzgeschäfte sowie Familienrecht. Außerdem ist er Lehrbeauftragter für Bankrecht an der Bucerius Law School in Hamburg und Prüfer im 1. und 2. Staatsexamen. Er hat zahlreiche Bücher und Beiträge zu zivilrechtlichen und zivilprozessualen Themen verfasst, u.a. zusammen mit Dr. Janko Büßer das im Beck-Verlag in 4. Auflage erschienene »Das zivilrichterliche Dezernat«.

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Der Beitrag ist erstmals im Beck'schen Referendariatsführer 2023/2024 erschienen.