Berufsbilder: Beruf und Berufung – Richterin am Landgericht

von Dr. Katrin Burckhardt

Nach Abschluss der volljuristischen Ausbildung haben die Assessoren1 die Qual der Wahl zwischen vielen juristischen Berufen. Dabei spielen die unterschiedlichsten Beweggründe eine Rolle. Gern möchte ich im Folgenden vor dem Hintergrund meiner eigenen beruflichen Laufbahn dem einen oder anderen Leser eine Entscheidungshilfe zum Richterberuf an die Hand geben. Dabei möchte ich vor allem solche Aspekte des Richterberufs beleuchten, die für die Referendare während ihrer Stationen bei den Gerichten nicht unbedingt auf der Hand liegen.

Nach Abschluss meines Referendariats lockte mich zunächst die internationale Großkanzlei, wo ich insgesamt rund sechs Jahre tätig war. Die Arbeit in der Kanzlei hat mir großen Spaß gemacht: Die Rahmenbedingungen (Büroausstattung, IT etc.) stimmten. Es gab eine exzellente Ausbildung, und zwar einerseits durch die betreuenden Partner und die berufserfahrenen angestellten Rechtsanwälte und andererseits durch interne und externe Seminare.

Internationales Arbeiten mit einem großen gestalterischen Spielraum bei der Erreichung der Mandanteninteressen war selbstverständlich. Allerdings war die Arbeit auch sehr zeitintensiv, und mit zunehmender Seniorität in der Kanzlei wuchs der Umsatzdruck. Mittlerweile war meine älteste Tochter geboren. Auch wenn ich in der Kanzlei sofort und unproblematisch in Teilzeit arbeiten konnte, wuchs mein Wunsch nach einer selbstbestimmten Tätigkeit unabhängig von Mandanteninteressen.

Daneben spielten die hervorragende Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz eine Rolle. Deswegen entschied ich mit fast 35 Jahren für den Wechsel in die hessische Justiz.

Meine Erwartungen haben sich während meiner mittlerweile fast 15-jährigen Tätigkeit als Richterin mehr als erfüllt. Zwar kann sich die Vergütung in der Justiz nicht im Ansatz mit der in internationalen Großkanzleien messen. Die alte Richterweisheit: „Ich bin R1, ich bleib R1, ich geh um eins.“ gilt nicht (mehr?), auch wenn die Arbeitsbelastung bei der Justiz nach meinen Erfahrungen noch immer nicht an die in den Großkanzleien heranreicht.

Die allgemeinen Pluspunkte des öffentlichen Dienstes – sicherer Arbeitsplatz, hervorragende Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gesundheitsmanagement – finden natürlich auch auf Richter Anwendung. Die umfangreichen Fortbildungsprogramme der Hessischen Justizakademie, der Deutschen Richterakademie und des European Judicial Training Network umfassen sowohl speziell auf Richter zugeschnittene Fachfortbildungen als auch allgemeine Angebote. Darüber hinaus bietet der Richterberuf viele Vorteile, die meinem Verständnis nach kein anderer juristischer Beruf bieten kann:

Als Richter hat man die Möglichkeit, auf vielen ganz unterschiedlichen Aufgabenfeldern tätig zu sein, und zwar ohne Wechsel des Arbeitgebers und häufig sogar ohne Ortswechsel. Beispielsweise habe ich meine Richterlaufbahn beim Amtsgericht Hanau als Strafrichterin begonnen. Dann war ich beim Landgericht Frankfurt in verschiedenen Zivilkammern tätig, teilweise mit Spezialzuständigkeiten.

Außerdem können Richter neben ihrer rechtsprechenden Tätigkeit zusätzliche Aufgaben übernehmen, etwa als Pressesprecher eines Gerichts oder im Rahmen der von den Präsidenten der Landgerichte und der Oberlandesgerichte durchzuführenden Aufsicht über die Notare.

Zusätzlich können sich Richter an andere Gerichte und Behörden abordnen lassen, um ihre Kenntnisse zu erweitern. Diese Abordnungsmöglichkeiten bestehen nicht nur national, etwa zum Bundesgerichtshof, zum Bundesverfassungsgericht oder zum Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz, sondern auch europaweit, etwa zum Europäischen Gerichtshof, zur EU-Kommission und im Rahmen des European Judicial Training Networks.

Richter sind vom ersten Tag an selbstständig, eigenverantwortlich und vor allem unabhängig tätig, und zwar in direktem Außenkontakt mit den unterschiedlichsten Beteiligten. Im Rahmen ihrer Tätigkeit erfüllen sie Aufgaben mit großer gesellschaftlicher Bedeutung. Ihre Entscheidungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Beteiligten. Nicht selten haben sie maßgeblichen Einfluss auch auf deren Lebensumstände. Dies alles erfordert Verantwortungsbewusstsein, eine gute Menschenkenntnis und ein gewisses Maß an Lebenserfahrung.

Die wesentlichste Besonderheit der richterlichen Tätigkeit ist aber die Unabhängigkeit. Diese bietet nicht nur den angenehmen Aspekt, die Arbeitszeiten im Rahmen der notwendigen Gerichtsorganisation weitgehend frei gestalten zu können. Sie verpflichtet auch, Entscheidungen nicht nur vorzubereiten, sondern sie (gegebenenfalls gemeinsam mit den anderen Kammer- und Senatsmitgliedern) nach den Gesetzen eigenverantwortlich zu treffen.

Zusammenfassend ist der Richterberuf für alle diejenigen interessant, die eine abwechslungsreiche, vielseitige und erfüllende juristische Tätigkeit suchen, eine sinnstiftende Aufgabe für die Gemeinschaft übernehmen wollen und die Verantwortung und Eigenorganisation nicht scheuen.

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1 Im Interesse der besseren Lesbarkeit wird nicht ausdrücklich in geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert. Die gewählte männliche Form schließt alle anderen Formen gleichberechtigt ein.

Über die Autorin:

Dr. Katrin Burckhardt
ist Vorsitzende Richterin am Landgericht Frankfurt am Main
und zurzeit abgeordnet an das Hessische Ministerium der Justiz.

Quelle BECK Stellenmarkt 22/2019

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