Nachdem ich mich bereits während meines Studiums auf das Recht der Europäischen Union spezialisiert hatte, wollte ich dieses Interesse gerne im Referendariat weiter vertiefen. So absolvierte ich meine Wahlstation im Herbst 2021 im Kabinett der deutschen Generalanwältin Prof. Dr.Juliane Kokott am Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg.
Tätigkeiten im Kabinett
Von Beginn an wurde ich in die Abläufe im Kabinett der Generalanwältin einbezogen und mit eigenen Aufgaben betraut. Schwerpunktmäßig befasste ich mich mit der Ausarbeitung von Vorentwürfen für die Schlussanträge der Generalanwältin zu zwei anhängigen Vorabentscheidungsverfahren. Dazu erarbeitete ich unter regelmäßiger Rücksprache mit den zuständigen Referentinnen und Referenten selbständig umfassende Rechtsgutachten.
Besonders positiv nahm ich wahr, dass ich detailliertes Feedback zu meinen Entwürfen erhielt und am gesamten Überarbeitungsprozess bis zur Abgabe an die Übersetzung teilhaben durfte. Neben diesen längerfristigen Aufträgen nahm ich auch an den wöchentlichen kabinettsinternen Besprechungen teil. Bei diesen werden anhängige Rechtssachen und jüngere Urteile vorgestellt und diskutiert.
So bekam ich einen sehr guten Überblick über die vielfältigen Problemfelder in der Arbeit des Gerichtshofs, auch über die vom Kabinett der Generalanwältin bearbeiteten Verfahren hinaus. Die Themen reichten von den Folgen des »Brexit« und Außenkompetenzen der Union über Datenschutz und Arzneimittelrecht bis hin zu Fragen des Asylrechts und des Zugangs zu Studienbeihilfen.
Eine weitere meiner Aufgaben war das Gegenlesen von Vorträgen sowie mehrerer Schlussantragsentwürfe der Referentinnen und Referenten. Darüber hinaus stellte ich vor einer Besuchergruppe ein anhängiges Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung vor. Schließlich haben Referendare und Referendarinnen auch die Möglichkeit, an Verhandlungen teilzunehmen.
Bei Verhandlungen im Großen Sitzungssaal des Gerichtshofs, die in zahlreiche Sprachen simultanübersetzt werden, werden die Dimensionen des europäischen Rechtssystems, aber auch die Vielsprachigkeit in der Europäischen Union anschaulich. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir etwa die Verhandlungen zur Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen sowie zur Festsetzung eines SeaWatch-Schiffes.
Arbeitsumfeld
Viele meiner Stationen im Referendariat waren von den Einschränkungen im Zuge der Covid19-Pandemie geprägt, sodass ich mich sehr darüber gefreut habe, die Wahlstation vor Ort in Luxemburg verbringen zu können. Auch wenn ein Teil der Beschäftigten im Homeoffice arbeitete, waren die Gerichtsgebäude belebt und der Sitzungsbetrieb in vollem Gange.
Die Arbeitsatmosphäre im Kabinett der Generalanwältin habe ich als sehr angenehm und wertschätzend wahrgenommen. Nicht nur dadurch, dass mir ein Büro in unmittelbarer Nähe zum Kabinett zugewiesen wurde, profitierte ich auch von einem engen persönlichen Kontakt. Außerdem war ich als Referendarin in das große Stagiaire-Netzwerk am Gerichtshof eingebunden.
In diesem Rahmen werden diverse Veranstaltungen organisiert, sei es eine Führung durch die Gebäude des Gerichtshofs, Austausch mit Stagiaires der anderen EU-Institutionen, eine Fahrt nach Brüssel oder regelmäßige After-Work Drinks. Luxemburg ist eine übersichtliche, aber internationale Stadt mit schöner Lage. Leider sind die Lebenshaltungskosten, insbesondere die Mieten, in Luxemburg vergleichsweise hoch. Das gesamte öffentliche Verkehrsnetz des Landes ist allerdings kostenlos, sodass sich an den Wochenenden Ausflüge etwa an die Mosel oder zu einer der vielen Burgen anbieten.
Bewerbung und Voraussetzungen
Interessierte sollten sich möglichst mit ausreichend Vorlauf um eine Station am Gerichtshof bemühen. Auf der Website des Gerichtshofs werden bezahlte Praktika ausgeschrieben, auf die sich auch Referendarinnen und Referendare bewerben können. Darüber hinaus ist es möglich, sich direkt bei den jeweiligen Kabinetten zu bewerben. So ist man nicht an die offiziellen Praktikumszeiträume gebunden.
Ich selbst habe mich circa ein Jahr vor dem geplanten Beginn meiner Station direkt beim Kabinett der Generalanwältin Kokott beworben. Neben sehr guten Fertigkeiten im Europarecht sind Französischkenntnisse für eine Station am Gerichtshofunerlässlich. Französisch ist die offizielle Arbeitssprache am Gerichtshof und Schriftstücke zirkulieren in der Regel ausschließlich in der französischen Version. Lediglich die Kabinette der Generalanwältinnen und Generalanwälte arbeiten teilweise in englischer oder deutscher Sprache.
Fazit
Allen am Europarecht interessierten Referendarinnen und Referendaren kann ich eine Station am Gerichtshof der Europäischen Union uneingeschränkt empfehlen. Die Aufgaben sind vielseitig und man nimmt unmittelbar an der herausragenden juristischen Arbeit des Gerichtshofs teil. Ich bin glücklich, dass ich meine Station im Kabinett der Generalanwältin Kokott in Luxemburg verbringen und einen umfassenden Einblick in die internen Arbeitsabläufe am Gerichtshof erhalten durfte. Die Zeit war sehr spannend und lehrreich.
Über die Autorin:
Anna-Julia Egger, LL.M.
studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Paris, Amsterdam und New York und absolvierte ihr Zweites Staatsexamen im Februar 2022 in Berlin.
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