Interview mit Konstantin Kohlmann, Dr. Katharina Shingler und Alexander Scheel: Die Anwaltschaft und »Kollege Roboter« – eine zukunftsweisende Zusammenarbeit

Interview mit Alexander Scheel, Konstantin Kohlmann und Dr. Katharina Shingler

Lange wurde der Anwaltschaft technische Rückständigkeit attestiert. Heute ist Legal Tech in aller Munde, die Digitalisierung des Anwaltsmarktes ist in vollem Gange. Wie verändern »neue Kollegen« in Form von Software-Robotern den Kanzleialltag? Dazu haben wir mit Konstantin Kohlmann und Dr. Katharina Shingler von Freshfields Bruckhaus Deringer gesprochen, die gemeinsam mit Alexander Scheel von RIBOTA an Tech-Lösungen für große Litigation-Mandate arbeiten.

Wie muss man sich einen Software-Roboter vorstellen?

Scheel: Software-Roboter können prinzipiell alle Arbeiten am Computer machen, die auch ein Mensch ausführen kann. Voraussetzung ist, dass man hinreichend präzise Regeln formulieren kann. Ergänzend kann der Roboter über universelle Schnittstellen schnell und sicher Daten zwischen verschiedenen Software-Systemen austauschen. Diese Technologie heißt Robotic Process Automation (RPA). Ein Software-Roboter arbeitet problemlos mit den vorhandenen IT-Systemen. Besonders praktisch ist das für zeitaufwändige, fehleranfällige und nervenaufreibende Arbeiten – die führt der Roboter ganz geduldig rund um die Uhr aus.

Warum sollte heute noch jemand Jurist werden? Werden in Zukunft Roboter die Arbeit machen können?

Kohlmann: Das ist eine sehr große Frage, die da anklingt: Wird Technologie die menschliche Arbeit überflüssig machen? Mit Blick auf die Technologie RPA stellt sie sich aber nicht. Richtigerweise müsste man fragen: Warum sollte man heute eigentlich nicht JuristIn werden, wenn Software-Roboter Routine-Tätigkeiten erledigen und dem / der JuristIn mehr Zeit für die spannenden juristischen Kerntätigkeiten verschaffen?

Dr. Shingler: Stimmt, ein Grund mehr, sich der Juristerei zu widmen. Roboter können uns Tätigkeiten abnehmen, an denen man verzweifeln könnte. Wer, bitte schön, will einzelne Datenpunkte aus Klageschriften in die Kanzlei-Software übertragen? Da hilft der Roboter. Der Mensch bleibt immer gefragt, wenn es darum geht, Regeln für den Roboter zu definieren und Zweifelsfälle zu bewerten. So gewinnt man Zeit für die eigentliche Arbeit für den Mandanten.

Was bedeutet das für das anwaltliche Berufsbild?

Kohlmann: Jura ist ein sehr spannendes und zugleich anspruchsvolles Fach. Wenn man sich erfolgreich durch die lange Ausbildung gekämpft hat, kann man sich sicherlich Besseres vorstellen, als beispielsweise in Papierbergen nach Datenpunkten zu wühlen und die dann in Datenbanken einzutippen. Um so etwas zu verhindern, gibt es Gott sei Dank einen großen Tech-Werkzeugkasten, in dem RPA eine wichtige Rolle spielt.

Dr. Shingler: Technische Unterstützung verschiebt den Fokus der Arbeit wieder dorthin, wo er hingehört: Wir können gemeinsam mit unseren Mandanten Strategien erarbeiten und zugleich eine sichere Abwicklung ihrer Fälle gewährleisten. Um zeitraubende Fleißarbeit kümmert sich mehr und mehr »Kollege Roboter«.

Mit einem Kollegen arbeitet man zusammen – wie funktioniert das mit dem »Kollegen Roboter«?

Kohlmann: Das funktioniert im Prinzip sehr einfach: Schreibt das Regelwerk dem Roboter eine eindeutige Aktion vor, erledigt er diese. Tritt ein Zweifelsfall auf, ist menschliche Erfahrung und Entscheidung gefragt. Außerdem kann man in einen automatisierten Prozess gezielt die Kontrolle des Roboters durch einen Menschen »einbauen«.

Dr. Shingler: Das ist uns in unseren Projekten besonders wichtig. Wir wollen immer die Hoheit über die Prozesse haben, lassen unsere technischen Lösungen also nicht vollkommen autonom arbeiten. Alle Vorgänge werden noch einmal von einem Menschen geprüft – diese Prüfung kann der Mensch im Gegensatz zur vorgelagerten Routinearbeit schnell erledigen und sie schafft zusätzliche Sicherheit.

Wie erleben Ihre KollegInnen in der Praxis die Arbeit mit dem »Kollegen Roboter«?

Kohlmann: Bei unseren Automatisierungsprojekten war es uns wichtig, möglichst alle Beteiligten einzubinden und ihnen Gelegenheit zu geben, sich bei der Entwicklung einzubringen. Ehrlich gesagt, waren wir dann aber doch ein wenig überrascht, wie offen und engagiert sich alle beteiligten Mitarbeitenden der Kanzlei an den Projekten beteiligt haben. Scheel: Ich möchte ergänzen, dass Freshfields sehr umsichtig und bedacht vorgegangen ist. Alle Beteiligten konnten von Anfang an sozusagen »live und in Farbe« beobachten und beeinflussen, was der Roboter tut und wie er sich auf die tägliche Arbeit auswirkt. Alle Kommunikationswege in den verschiedenen Projekten – sei es zu den beteiligten Mitarbeitenden oder den Tech-Spezialisten aus dem Freshfields Lab – sind kurz und am Ende machen die Roboter genau das, was die Anwender sich gewünscht haben.

Werden dann alle JuristInnen bald Roboter programmieren?

Scheel: Wir erleben bei Freshfields und auch anderen Kunden, dass die Roboter- Technologie die Menschen fasziniert. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, die eigentliche Programmierung umzusetzen. Vielmehr ist es die Freude daran, Prozesse zu erkennen, zu definieren und zu verbessern. Die Mitarbeitenden profitieren anschließend direkt vom Ergebnis − nämlich mehr Zeit für wichtige Kernaufgaben zu haben.

Welchen Einfluss hat das auf die Fähigkeiten, die ein/eine JuristIn haben muss?

Dr. Shingler: Die juristische Arbeit ist die anwaltliche Kernkompetenz. Aber wie auch andere Branchen entwickeln wir uns weiter. Heute sind auch Fähigkeiten in anderen Disziplinen enorm hilfreich, denken wir zum Beispiel an Projektmanagement.

Kohlmann: Niemand erwartet anwaltliche Alleskönner, die auf der Rückfahrt vom Gerichtstermin schnell noch einen Software-Roboter programmieren. Aber Offenheit für Neues, sei es für Projektmanagement oder für den Einsatz von Technologien, und die Bereitschaft mit Spezialisten anderer Disziplinen zusammenzuarbeiten, ist ganz sicher hilfreich.

Würden Sie jungen Talenten heute noch raten, Jura zu studieren?

Scheel: Ich würde meinen Kindern raten, etwas zu studieren, bei dem menschliche Kreativität und Schaffenskraft im Mittelpunkt stehen. Und die Arbeit eines Anwalts wird ein Roboter so schnell nicht ersetzen können – aber enorm erleichtern.

Dr. Shingler: Automatisierung, RPA, im Ganzen Legal Tech können uns unsere Freiheit zurückgeben und den Beruf noch spannender und abwechslungsreicher machen. Daher beantworte ich diese Frage in jedem Falle mit einem ganz klaren Ja.

Kohlmann: Ich würde dem Nachwuchs sagen: Wenn Du dem Eigentümer-Besitzer- Verhältnis die Stirn bietest und auch vor der Baumbachschen Formel nicht Reißaus nimmst, brauchst Du Dich auch vor Robotern nicht zu fürchten.

Wo sehen Sie die Rechtswirtschaft in fünf Jahren?

Dr. Shingler: Die Aufgaben für alle Mitarbeitenden und Teams in Kanzleien werden noch vielfältiger sein. Vor allem Legal Tech und Großprojekte eröffnen spannende Möglichkeiten, mit KollegInnen verschiedenster Fachrichtungen zusammenzuarbeiten. Das bereichert unsere Arbeit enorm.

Scheel: Ich kann im Branchenvergleich nur sagen: Der oftmals zitierte späte Einstieg der Anwaltschaft in die Digitalisierung erweist sich heute als großer Vorteil. Kanzleien kämpfen nicht mit antiquierten Softwaresystemen und überkommenen Strukturen in der IT. Sie haben die Chance, von Anfang an mit fortgeschrittenen Technologien einzusteigen, ohne sich mit »Altlasten« herumschlagen zu müssen. Andere Branchen werden in fünf Jahren interessiert beobachten, was sich im Bereich LegalTech getan hat.

Frau Dr. Shingler, Herr Kohlmann und Herr Scheel, herzlichen Dank für das spannende Gespräch!

 

Über die Interviewpartner:

Konstantin Kohlmann und Dr. Katharina Shingler
Counsel im Bereich Konfliktlösung bei Freshfields Bruckhaus Deringer
Sie vertreten global agierende Unternehmen in komplexen zivilrechtlichen
Streitigkeiten. Beide haben einen Schwerpunkt im Bereich
großformatiger Prozesse, Massenverfahren und Sammelklagen.

Alexander Scheel
Spezialist für Robotic Process Automation und
Geschäftsführer der RIBOTA GmbH
Er berät Industrieunternehmen und Kanzleien bei der Digitalen Transformation und der Automatisierung von Prozessen