Wie Legal Tech den Kanzleialltag verändert

von Jan Kresken, LL.M.

Der Begriff „Legal Tech“ ist in aller Munde. Legal Tech bedeutet, Programme oder Software-Tools anzuwenden, die juristische Arbeitsprozesse unterstützen und zu einem gewissen Grad automatisieren. Wie verändert Legal Tech den Kanzleialltag bereits heute und welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Kanzlei der Zukunft? Was bedeutet das künftig für Bewerberinnen und Bewerber? Der nachfolgende Beitrag gibt Antworten auf diese und weitere Fragen.

Kanzlei der Zukunft – was bedeutet das konkret?

Eines vorneweg: Kanzleien haben auch trotz der Entwicklung von Legal Tech eine Zukunft und Software oder Programmierer werden Anwälte nicht ersetzen. Doch die Kanzlei der Zukunft wird künftig nicht mehr nur Juristen beschäftigen.

Bereits heute arbeiten bei einigen internationalen Wirtschaftskanzleien nicht nur Juristen, sondern auch Projektmanager, Ökonomen oder Softwarenentwickler. Ausgangspunkt bleibt aber die juristische Expertise, die mithilfe von Legal Tech verarbeitet und innovativ illustriert wird.

Dabei kann man nach der Art der gewünschten Legal Tech Applikation unterscheiden:

• Legal Tech 1.0-Anwendungen unterstützen Anwälte bei bestimmten juristischen Arbeitsprozessen. Angefangen von klassischen Datenbanken wie Beck-Online über Programme zur Dokumentautomatisierung wie Contract Express bis hin zu Assessment-Analysetools können sie Anwälte in der täglichen Beratung unterstützen und zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Sozietäten werden.

• Legal Tech 2.0-Anwendungen ersetzen hingegen bestimmte Tätigkeiten der Anwälte (vor allem im Rechtsdienstleistungsbereich) und führen diese als eigene Dienste aus. Sie können Standardprozesse ersetzen oder zumindest beschleunigen und ermöglichen so, dass diese Prozesse effizienter bzw. kostensparender durchgeführt werden können. Ein Beispiel für eine Legal Tech 2.0-Anwendung ist das Unternehmen Flightright. Basierend auf einer Legal Tech-Applikation macht es im Rahmen eines automatisierten Prozesses Entschädigungen für Flugausfälle und Flugverspätungen für ihre Kunden geltend.

Wie verändert sich der Markt?

Auch der Anwaltsmarkt ändert sich wegen des digitalen Wandels zunehmend schneller. Kanzleien sind einem steigenden wettbewerblichen Druck ausgesetzt – nicht nur durch andere Kanzleien, sondern auch durch Legal Tech-Startups oder Softwareunternehmen, die mit innovativer Standardsoftware im Wettbewerb zu den Kanzleien stehen.

Daher wird es immer wichtiger, auch kanzleiintern durch den Einsatz von Legal Tech-Software Prozesse zu optimieren, um damit Effizienzen zu generieren und die Kosten für die Mandatsbearbeitung zu senken.

Darüber hinaus ändern sich im Zuge von Legal Tech verstärkt die Bedürfnisse der Mandanten. Wünscht ein Mandant eine individuelle Legal Tech-Lösung, bietet es sich an, mit ihm zunächst Tools zu diskutieren, die es auf dem Markt gibt. So kann man sicherstellen, dass ein Tool die Bedürfnisse des Mandanten bestmöglich abdeckt.

Entscheidend ist, was im Vordergrund stehen soll: Geht es um Benutzerfreundlichkeit, bietet sich unter Umständen an, eine End-User-App für die Mitarbeiter des Unternehmens zu entwickeln. Soll die Illustration im Vordergrund stehen, können sich Programme wie Tableau besser eignen. Sollen gemeinsame Projekte effizienter bearbeitet werden, bietet es sich ggf. an, über eine Plattformlösung (z. B. auf Basis von HighQ) nachzudenken. Bei allen individuellen Legal Tech-Lösungen sollte hierbei der Fokus darauf liegen, dass die Tools verständlich sind und die Bedienoberfläche benutzerfreundlich ist. 

Wünscht ein Mandant nur, dass man eine rechtliche Frage beantwortet, kommt es zunächst nicht auf den Einsatz von Legal Tech-Tools an. Dennoch wünscht der Mandant eine bestmögliche Beratung zu möglichst geringen Kosten. Daher macht es ggf. Sinn, dem Mandanten die Möglichkeiten von Legal Tech und Effizienzen, die solche Anwendungen bergen, aufzuzeigen.

Wie muss sich eine Sozietät aufstellen, um für den Wettbewerb gerüstet zu sein?

Um für den Wettbewerb gerüstet zu sein, bedarf es zum einen neuer Arbeitsweisen („New Work“). Durch Remote Working sollten –vor allem im Zuge der Corona-Krise – nahezu alle anwaltlichen Aufgaben auch außerhalb der Büroräume bearbeitet werden können. Das setzt neben einer digitalen Archivierung („digitale Akte“) eine digitale Kommunikation zwischen den Mitarbeitern voraus, z. B. via Skype, BlueJeans oder Zoom. Instant Messaging ermöglicht hierbei eine direkte Kommunikation und flache Hierarchien.

Zudem benötigen Sozietäten zunehmend ein Projektmanagement, das agil und iterativ ausgestaltet ist. Idealerweise unterstützt dabei eine Projektmanagementsoftware, z. B. durch sog. Kanban-Boards, die eine transparente Aufgabenverteilung und Fortschrittsanzeige ermöglichen. Auch digitale Knowledge-Management-Systeme, die in der Kanzlei bestehendes Know-how sammeln, können die Effizienz steigern.

Schließlich brauchen Sozietäten „New Lawyer“, also Anwälte, die ein ausgeprägtes Verständnis dafür haben, welche Prozesse sich auf welche Weise mithilfe von Legal Tech-Applikationen optimieren lassen –  und welche Mitarbeiter innerhalb der Sozietät am besten unterstützen können. „Erfindergeist“ und ein detailliertes Feedback des Mandanten sind hier von Vorteil. (Anm. d. Red.: Passend zum Thema ist die Fachzeitschrift RDi - Recht Digital. Zum kostenlosen Test.)

Die Rolle als „Innovation Ambassador“

Unter dem Stichwort „New Lawyer“ gibt es bei Baker McKenzie an verschiedenen Standorten „Innovation Ambassadors“. Zu ihren Aufgaben gehört, Legal Tech-Applikationen innerhalb der Kanzlei vorzustellen, kanzleiinterne Legal Tech-Projekte zu betreuen und Nachwuchsjuristen zu fördern, die sich für Legal Tech interessieren.

Hauptaufgabe eines „Innovation Ambassadors“ ist es, Kolleginnen und Kollegen für Legal Tech zu sensibilisieren, vor allem, wenn es darum geht, automatisierbare Prozesse zu erkennen und mit Legal Tech-Applikationen umzusetzen. Das verlangt, sich kontinuierlich mit neuen Applikationen und aktuellen (Legal) Tech-Trends auseinanderzusetzen.

Ferner unterstützt ein „Innovation Ambassador“ seine Kolleginnen und Kollegen darin, Mandanten die Möglichkeiten von Legal Tech-Software aufzuzeigen und umzusetzen. Hierbei helfen kanzleiinterne IT-Ressourcen.

Zusammenarbeit mit Nachwuchsjuristen

Zudem betreuen „Innovation Ambassadors“ auch Kooperationen mit Studenteninitiativen wie recode.law, MLTech oder dem Legal Tech Lab Frankfurt. Die Studenteninitiativen organisieren oft Vorträge, Workshops oder Hackathons zum Thema Legal Tech. 
Studierende werden für das Thema Legal Tech sensibilisiert und begeistert. 
Die Kanzlei wiederum gelangt in Austausch mit interessierten Nachwuchsjuristen und erhält von ihnen nicht selten eine Inspiration für neue Legal Tech-Applikationen (z. B. solche, die während Hackathons entwickelt werden).

Tools in der Praxis

In der anwaltlichen Praxis werden bereits zahlreiche Legal Tech-Tools angewendet. Neben klassischen Legal Tech 1.0-Tools wie Datenbanken oder eSearch- und eDiscovery-Tools, z. B. im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen, kommen in der anwaltlichen Praxis zunehmend auch innovative Legal Tech 2.0-Tools wie automatisiertes Vertragsmonitoring oder „Compliance Cockpit“-Applikationen zur Anwendung.

Beispielsweise entwickelte Baker McKenzie ein „Compliance Cockpit“ für Compliance Officer in Unternehmen. Es soll ihnen einen umfassenden Überblick über potenzielle Risiken im Compliance-
Bereich ihres Unternehmens in verschiedenen Rechtsgebieten wie Antikorruption oder Kartellrecht geben – in den Regionen, in denen das Unternehmen tätig ist. Dafür sammelt das Tool Daten aus diversen Quellen, analysiert diese auf Basis eines Algorithmus und visualisiert sie in Form eines Dashboards.

Schließlich werden in der anwaltlichen Praxis zunehmend End User-Apps wie Hospitality Tools oder Apps entwickelt. Ein prominentes Beispiel stellen sog. Dawn Raid Apps dar. Diese sollen Unternehmensvertretern bei einer behördlichen Durchsuchung eine erste Hilfestellung geben und ermöglichen eine einfache Kontaktaufnahme mit den Anwälten.

Was Nachwuchsjuristen im Zuge von Legal Tech mitbringen müssen

Programmieren müssen Bewerberinnen und Bewerber auch künftig nicht können. Von Vorteil für eine künftige Arbeit in Wirtschaftskanzleien sind ein Interesse und idealerweise erste Erfahrungen mit Legal Tech, z. B. über eine Studentenorganisation oder die Teilnahme an einem Hackathon, oder zumindest eine positive Grundhaltung gegenüber dem digitalen Wandel und modernen Technologien.

Denn vielen Kanzleien ist daran gelegen, auf dieser Basis bei ihren Anwälten ein Gespür für die Umsetzungsmöglichkeiten von Legal Tech-Applikationen zu entwickeln. Sie stellen oft Budgets bereit für die Entwicklung und Vermarktung solcher Applikationen, die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen oder Studentenorganisationen oder den Besuch von Legal Tech-Veranstaltungen.

Legal Tech ändert Kanzleialltag zunehmend

Kanzleien setzen sowohl intern als auch gegenüber dem Mandanten Legal Tech-Applikationen zunehmend ein, um Effizienzen zu generieren und Kosten zu senken. Diese Entwicklung sollten angehende Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die sich für eine Arbeit in einer Wirtschaftskanzlei interessieren, als Chance begreifen.

Auch wenn bestimmte Legal Tech 2.0-Anwendungen bestimmte einfache anwaltliche Tätigkeiten, besonders im Rechtsdienstleistungsbereich, ersetzen können, birgt der digitale Wandel gerade für sie erhebliche neue Möglichkeiten. Nachwuchsjuristinnen und -juristen können auf Basis von Legal Tech unter anderem neue Geschäftsfelder erschließen und sich in diesem Bereich früh in der Kanzlei und gegenüber potentiellen Mandanten positionieren.

„Unternehmergeist“ ist hier klar von Vorteil. Aber dies ist keine Entwicklung von Legal Tech, sondern einer der Kernbestandteile anwaltlichen Arbeitens.

Über den Autor:

Jan Kresken, LL.M.
Counsel der Praxisgruppe Antitrust & Trade
und „Innovation Ambassador“ bei
Baker McKenzie in Düsseldorf

Quelle JuS 8/2020

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