Wo findet man »purpose«? - Als Rechtsanwältin in einer Wirtschaftskanzlei auf der Suche nach dem Sinn

von Dr. Annika Bleier

Den »Beruf«, den ich heute ausübe, gab es nicht, als ich vor fünf Jahren bei GvW Graf von Westphalen als Rechtsanwältin im Verfassungsrecht und öffentlichen Wirtschaftsrecht in die Berufstätigkeit gestartet bin. Und wenn ich ehrlich bin, wollte ich im Studium nie Anwältin werden. Ich habe Jura studiert  – genau genommen Unternehmensjura an der Universität Mannheim, eine Mischung aus Jura und BWL  –, weil ich in der Welt etwas zum Besseren verändern und strukturelle Ungerechtigkeiten bekämpfen wollte. Aber wo konnte ich am besten wirken?

Die Freiheit und in weiten Teilen auch Unabhängigkeit des Anwaltsberufs hat sich für mich als große Chance bewiesen: Denn letztlich hatte ich es selbst in der Hand, wohin ich mich entwickeln und wo ich mitgestalten wollte (dies auch dank einer Kanzlei, die Mitgestalterinnen und Mitgestalter fördert). Ich bin bereits im Studium viele spannende Umwege gegangen und so hat mich auch in meiner Rolle als Anwältin meine Neugier gepackt und ich habe begonnen, nach links und rechts zu schauen.

Pro-Bono-Rechtsberatung leistet gesellschaftlichen Mehrwert

Schnell ist mein Blick hängen geblieben, als ich auf den Verein Pro Bono Deutschland e.V. und die kostenlose Rechtsberatung für Bedürftige und gemeinnützige Organisationen aufmerksam geworden bin. Ich habe selbst einen gemeinnützigen Verein gegründet und mich schon seit meiner Schulzeit im Ehrenamt engagiert. Ich kannte die Herausforderungen der gemeinnützigen Organisationen aus erster Hand. Und ich weiß durch meine Stationen im Bundestag und bei den Vereinten Nationen in Genf und New York, wie wichtig starke zivilgesellschaftliche Strukturen für eine demokratische Gesellschaft sind.

Ich musste nicht lange nach Mitstreiterinnen und Mitstreitern suchen – kurze Zeit später war die institutionalisierte Pro-Bono-Beratung bei GvW ins Leben gerufen und ist seither nicht mehr wegzudenken. Die unentgeltliche Rechtsberatung wird von unseren Anwältinnen und Anwälten neben ihrer sonstigen Mandatsarbeit erledigt und ermöglicht schon sehr früh im Berufsalltag die Übernahme von eigener Mandatsverantwortung (der »doppelte Boden« der Partnerin bzw. des Partners ist natürlich dabei).

Im Rahmen der Pro-Bono-Arbeit beraten wir aufgrund der derzeitigen Rechtslage nur in außergerichtlichen Situationen, es geht also nicht um eine Vertretung vor Gericht, sondern in der Regel um die Prüfung von Verträgen und der Vereinssatzung oder sogar die Erstellung von verfassungsrechtlichen Gutachten. Gemeinnützigkeitsrecht, Datenschutzrecht, Recht des geistigen Eigentums, Verwaltungsrecht – die betroffenen Rechtsgebiete sind vielfältig. Die Dankbarkeit und Freundlichkeit der Pro-Bono-Mandantinnen und -Mandanten ist groß. Gerade Anwältinnen und Anwälte am Anfang ihres Weges erfahren so Selbstwirksamkeit und eine Stärkung des Bewusstseins als eigene Anwaltspersönlichkeit. Ein klares »win-win« aus meiner Sicht.

Dank »ESG« zum Traumjob

Ich habe die Pro-Bono-Arbeit bei GvW zusammen mit einem großartigen Team neben meiner Tätigkeit als Rechtsanwältin aufgebaut. Ich habe Kontakte zu Organisationen gesucht, wurde vermehrt zu Veranstaltungen eingeladen, habe mich fortgebildet und gelernt, wie man nachhaltige Organisationsstrukturen in einem Unternehmen aufbaut.

Schnell kamen andere Themen hinzu: die Betreuung der Kooperation mit der US-amerikanischen NGO FASPE (Fellowships at Auschwitz for the Study of Professional Ethics), die sich für ethische Unternehmensführung einsetzt, der Aufbau einer Pro-Bono-Soforthilfe für die Opfer des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sowie die Mitgründung eines kanzleiweiten Green Teams. Nach einer Übergangszeit wurde schnell klar, dass wir die Aktivitäten sinnvoll bündeln müssen und ich diese Arbeit nicht mehr nur »nebenher« machen kann. Viele Gespräche und einen Business Plan später wurde die Rolle der Head of ESG & Sustainability geschaffen, die ich nun seit Januar 2022 mit viel Freude ausübe.

Meine Berufung in den DAV-Menschenrechtsausschuss war für mich eines der Highlights meines bisherigen Werdegangs und beim Besuch des EGMR in Straßburg für ein Treffen der europäischen Anwaltschaften mit dem Gerichtshof war ich voller Aufregung und Euphorie. Als ich zwischen dem Ersten und Zweiten Staatsexamen zum Themenfeld »Business and Human Rights« promovierte, hätte ich niemals gedacht, dass ich in einer Wirtschaftskanzlei im Grund- und Menschenrechtsschutz arbeiten kann und dass das Thema Menschenrechte für die Wirtschaft einen so wichtigen Stellenwert einnehmen wird.

Seit dem Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), der Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten, der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und vielen weiteren Regelungen beraten wir umfassend und mit vielen Teams Unternehmen zu Nachhaltigkeitsthemen. Das Schlagwort »ESG« ist aus dem anwaltlichen Beratungskontext nicht mehr wegzudenken und bietet vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten, denn letztlich beraten wir die Wirtschaft bei einer der größten und wichtigsten Transformationen überhaupt. Wer nach Sinn sucht, kann ihn hier sicherlich finden.

 

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Über die Autorin:

Dr. Annika Bleier - Head of ESG & Sustainability bei der Kanzlei GvW
Sie promovierte zum internationalen Menschenrechtsschutz und ist Mitglied des DAV Menschenrechtsausschusses. Bei GvW koordiniert sie nicht nur die ESG-Beratungspraxis, sondern verantwortet auch die interne Nachhaltigkeitsstrategie.