Die mündliche Prüfung - Viele Mosaiksteine auf dem Weg zum Erfolg

von Holger Krätzschel

Ich kann mich noch gut an das Schweigen eines Kandidaten auf die Einstiegsfrage nach einer Zwangssicherungshypothek in einer mündlichen Prüfung erinnern, für die ich als Prüfer eingeteilt war. Das Schweigen war so unbehaglich, dass es wie eine Gewitterwolke über der gesamten Prüfung hing.

Was ist falsch gelaufen?

Muss man vielleicht wissen, was eine Zwangssicherungshypothek ist? Oder eine Eigentümergrundschuld? Oder ein Ersatzerbe? Ein stiller Gesellschafter? Eine Reallast? Natürlich, wer alles weiß, tut sich leichter. Aber realistisch ist das nicht. Und selbst wenn: Es muss einem im richtigen Moment einfallen und man muss den Mut haben, es auszusprechen. Selbstverständlich ist das nicht, eher eine Art Günther-Jauch-Effekt: Zu Hause, entspannt auf der Couch, kennt man selbst die Antwort auf die 500.000 €-Frage. Aber bei der 100 €-Frage strauchelt der Kandidat im Fernsehen.

Was tun in der Vorbereitung?

In klassischer Juristendiktion: Das kommt darauf an. Wer (noch) zu wenig weiß, tut gut daran, Wissenslücken zu schließen. Dabei gilt die Regel: Überblick vor Tiefe. Es ist besser, von allem ein bisschen zu wissen, als von Einzelfragen alles. Wie beim Roulette: Wer alles auf die 17 setzt, gewinnt auch nur, wenn die 17 fällt. Wer aufgeregt und nervös ist, vielleicht sogar zur Prüfungsangst neigt, muss sich damit auseinandersetzen. Durch Ignorieren wird es nicht besser. Man kann trainieren, Fragen aus dem Stehgreif unter Druck zu beantworten. Einfache Assoziationsübungen helfen weiter. Zum Beispiel: Vor Ihnen fährt ein Auto mit einer 985 im Kennzeichnen. Prima, überlegen Sie, was Ihnen alles zum Herausgabeanspruch einfällt.

Akzeptieren Sie, was Sie nicht ändern können!

Viele Prüfungskandidatinnen und -kandidaten lesen Prüfungsprotokolle. Vielleicht findet man in den Protokollen den Fall, den der Prüfer immer wieder prüft und der der Schlüssel zu vielen Punkten ist (»Alles auf die 17«). Stattdessen begegnen einem oft verunsicherte Kandidatinnen und Kandidaten, die gelesen haben, dass ihr Prüfer unfreundlich, abweisend, desinteressiert etc. sein soll. Machen Sie sich bewusst: Es gibt Dinge, die Sie nicht ändern können! Auch Prüferinnen und Prüfer haben gute und schlechte Tage. Eine undurchdringliche Mimik sagt nichts über die Note aus, die am Ende der Prüfung stehen wird. Die Reihenfolge, in der die Fächer geprüft werden, müssen Sie ebenso akzeptieren wie die Reihenfolge, in der die Kandidaten geprüft werden. Sie können es nicht ändern! Beschäftigen Sie sich in der Vorbereitung mit den Dingen, auf die Sie Einfluss haben.

Wie wollen Sie wirken?

Wer vier oder fünf Stunden in einer mündlichen Prüfung sitzt und dabei ständig das Gefühl hat, besser etwas anderes angezogen zu haben, wird kaum seine ganze Konzentration auf das Prüfungsgespräch richten können. Aus der Erfahrung kann ich nur sagen: Rechtzeitige Vorbereitung zahlt sich auch hier aus! Kontrollieren Sie beizeiten Ihren Kleiderschrank! Sind Oberhemd und Bluse wirklich fleckenfrei und gebügelt? Passen Hose oder Rock oder zwickt es, wenn Sie darin vier, fünf Stunden sitzen? Und wenn Sie entschieden haben, was Sie anziehen, bleiben Sie dabei! Wer die »richtige« Krawatte erst am Prüfungstag auswählt, verschwendet mehr Energie als gedacht.

Die nächste Frage ist die wichtigste!

Oft erlebe ich Kandidaten, die sich ärgern, weil sie das Gefühl haben, die letzte Antwort war nicht optimal. Die Mimik verändert sich, Ärger und Enttäuschung stehen ins Gesicht geschrieben. Während die Prüfung ihren Fortgang nimmt, sinnt man darüber nach, was gerade schief gegangen ist. Umso größer ist die Überraschung, wenn dann gleich die nächste Frage kommt und man gar nicht weiß, worum es gerade geht. So verständlich die Anspannung ist, weil Sie Ihr Bestes geben wollen, vergessen Sie nicht: Die nächste Frage ist die Wichtigste! Bleiben Sie in jedem Moment aufmerksam. Manche Prüfer »springen« durch die Kandidaten und die Fächer. Keiner weiß, wer als nächstes drankommt und welches Gesetz dann gerade geprüft wird. Wer hier nicht aufmerksam ist, verliert auch bei Fragen Punkte, die an sich sicher beherrscht werden.

Es gibt fast nie die »eine richtige Antwort «!

Am größten ist die Verunsicherung häufig bei den Einstiegsfragen. Worauf will der Prüfer hinaus? Meint er diese oder jene Entscheidung? Oder doch etwas ganz anderes? Und während im Kopf eine Idee die nächste jagt, wird geschwiegen. Denn falls man sich jetzt gerade für die falsche Idee entscheidet, was dann? Dazu zwei Tipps: Zum einen fallen die Fragen am Anfang in aller Regel in die Rubrik juristischer »Small Talk« bzw. Gesprächseröffnung. Richtig und falsch gibt es hier selten. Und zum anderen: Reden Sie mit den Prüfern! Es spricht nichts dagegen, mehr als eine Idee zu erwähnen! Und während Sie reden, merken Sie, wie die Sicherheit kommt! Denn die Zwangssicherungshypothek ist ein Unterfall der Hypothek und die fällt in die Kategorie der Grundpfandrechte. Und schon stehen Sie auf sicherem Grund.

Denken Sie wie ein Profisportler!

Die mündliche Prüfung hat enorm viel Einfluss auf das Endergebnis der Staatsprüfung – sie hat einen unglaublichen Hebel. Denken Sie in der Vorbereitung deshalb wie ein Leistungssportler! Der läuft nur dann schnell, wenn er in der Vorbereitung richtig trainiert hat, ausreichend Schlaf und gutes Essen bekommen hat, um dann in der Wettkampfsituation fit zu sein. Dort braucht er Konzentration und Hingabe – bis zum letzten Meter.
 

Über den Autor:

Holger Krätzschel
RiOLG war vor seiner Tätigkeit im Erbsenat des OLG München hauptamtlicher Referendars- arbeitsgemeinschaftsleiter in München. Er ist Prüfer in der Ersten und Zweiten Juristischen Staatsprüfung und gibt Kurse zur Prüfungsvorbereitung sowie in Kommunikation und Rhetorik für Referendarinnen und Referendare. Außerdem ist er Referent in der Anwaltsausbildung sowie Richter am Bayerischen Anwaltsgerichtshof.