Wie werde ich (wieder) zu einem attraktiven Arbeitgeber?

von Claudia Philipp

Angesichts des steigenden Fachkräftemangels, der Unlust einer jungen Generation, überhaupt noch Jura zu studieren, kommt man in der juris­tischen Arbeitswelt aktuell kaum um die Frage herum, wie man sich als Arbeitgeber attraktiver macht. Verschiedene Lösungsansätze zeigen, wie Arbeitgeber versuchen, zu punkten. So konkurrieren derzeit viele Kanz­leien untereinander und locken mit höheren Gehältern sowie flexiblen Arbeitsbedingungen. Doch hilft dieser Ansatz, Fachkräfte zu binden? Was tun, wenn es keine entsprechenden finanziellen Mittel gibt?

Aus meinen Gesprächen mit jüngeren Anwältinnen, Anwälten und Rechtsanwaltsfachangestellten weiß ich, dass sie weniger über zu niedrige Gehälter als über ein abschreckendes Arbeitsklima klagen, wenn Konkur­renzdruck statt gegenseitiger Unterstützung, Überforderung und Angst statt Vertrauen und Herabwertung statt Wertschätzung vorherrschen. Der Grund für einen Arbeitgeberwechsel liegt in der Regel nicht am Wunsch, die Kanzlei zu verlassen, sondern am Vorgesetzten, der einen nicht unter­stützt, wertschätzt oder fördert. Hier besteht das Bedürfnis nach einer Veränderung im Umgang miteinander und nach mehr Unterstützung. Das bedeutet, um Hilfe bitten und Fehler zugeben zu können ohne Angst vor sofortigen Konsequenzen und ohne als überfordert angesehen zu werden und, Gefühlen Raum und Ausdruck zu geben und nicht hin­unterschlucken zu müssen.

Das Ausdrücken von Gefühlen ist in der Anwaltswelt ein Novum, wie ich zuletzt beim Auftakt des Young Lawyers Camp in Berlin bei meinem Workshop „Schluss mit dem Theater – mehr Erfolg durch Authentizität“ feststellen konnte. Als ich mit Teilnehmenden einen Gefühlscheck prak­tizierte, bei dem es darum geht, seine vier Grundgefühle Angst, Trauer, Wut und Freude zu kommunizieren, war es für einige irritierend, Einblicke in (m)eine Gefühlswelt von Wut und Trauer zu bekommen. Denn in  der Welt der Juristinnen und Juristen ist es einfach ungewohnt, über als negativ empfundene Gefühle zu sprechen.

Doch gerade, wenn Gefühle von Wut, Angst oder Trauer nicht kommu­niziert werden, kann dies massiven Einfluss auf das Arbeitsklima haben und sich nachteilig auf die Arbeitsleistung auswirken. Wenn Vorgesetzte kurz angebunden sind und einen anblaffen, kann das zu starken Selbst­zweifeln führen. Wenn sie dagegen zum Ausdruck bringen, welche He­rausforderungen sie selbst meistern müssen, kann das helfen, ihr Verhal­ten nicht persönlich zu nehmen. Wer Angst hat, seine Gefühle zu äußern und nach Unterstützung zu fragen, um nicht als inkompetent dazustehen, hat mit Überforderung zu kämpfen und ist eher geneigt, aus Unwissen­heit Fehler zu machen.

Um passgenaue Lösungsansätze für die strategische Neuausrichtung einer Kanzlei zu ermitteln, hilft der Blick von außen. Hierzu bietet sich ein Kanzleianalysetag an, der vor Ort oder online durchgeführt wird, wo Kanzleimitarbeiterinnen und ­-mitarbeiter in Einzelinterviews befragt wer­den, was zu einer Verbesserung der Arbeitssituation und des ­-klimas führt. Nach einer gezielten Analyse dieser Interviews kann ein individueller Methodenplan entwickelt werde, der in einem Kommunikationstraining mit anschließenden Supervisionen sowie in gezielten Einzel-­Coaching­-Sessions bestehen kann, die zur Erhöhung der mentalen Wirkung mit Yoga­ oder Boxeinheiten kombiniert werden können. Gerade beim Box­-Coaching haben Anwältinnen und Anwälte einer mittelständigen Kanzlei kürzlich erfahren, wie sich nachhaltige Veränderung durch die Verbindung von körperlichem Training und mentaler Ressourcierung und (Neu­-)Fokussierung erzielen lassen.

Eine Methode für den Einstieg ist die Selbstachtsamkeit, die mithilfe einer 3­minütigen Atemübung trainiert werden kann. Wer sich zwischen­durch erlaubt, tief durchzuatmen und sich bewertungsfrei fragt, was er/sie gerade fühlt, denkt und wie sein/ihre Körperempfindungen sind, schult seine/ihre Selbstwahrnehmung und verschafft sich die Möglich­keit, aus dem sogenannten Autopiloten, also aus unseren unterbewussten Abläufen, die geprägt sind durch unsere Muster, Glaubenssätze, Erzie­hung und  eigene Wahrnehmung, auszusteigen.

Zum einen schulen wir hierdurch, wahrzunehmen, was wir fühlen und körperlich empfinden. Unser Körper gibt uns Aufschluss darüber, wie es uns wirklich geht, wie etwa chronische Rückenschmerzen, Schlafstörun­gen, Magen-­Darm­-Beschwerden als Zeichen von mentaler Überlastung zeigen. Zum anderen können wir erkennen, mit welchen Gedanken wir uns beschäftigen und können bewusst entscheiden, ob wir unseren Fokus auf einen anderen Gedanken richten möchten.

Wer eigene Gefühle und die des Gegenübers ernst nimmt und diese pathisch zum Ausdruck bringt, kann entscheidenden Einfluss auf das Arbeitsklima und damit den Erfolg eines Unternehmens ausüben. So gelingt es gemeinsam, einen Raum für Gefühle zu etablieren in einer juristischen Arbeitswelt, die verlangt, unverwundbar zu sein, stets eine Antwort zu wissen oder Fehler um jeden Preis zu vermeiden.

Dass gute Stimmung einen Arbeitsplatz und Arbeitgeber attraktiver macht und maßgeblich zum Erfolg eines Unternehmens beiträgt, belegen zahlreiche Studien, die Daniel Golemann, Wegbereiter zur emotionalen Führung und Co­-Autor der gleichnamigen Publikation „Emotionale Führung“, zusammengefasst hat. Das sollte auch den letzten Kritiker, der hierin Gefühlsduselei sieht, die nichts am Arbeitsplatz verloren hat, zumindest zum Hinterfragen seiner Ansicht veranlassen.

Über die Autorin:

Claudia Philipp
ist neben Ihrer Tätigkeit als Marken-­ und Urheberrechtlerin, Mentorin und Gründerin von innerjourneys.de, wo sie Workshops und Coachings für Jurist:innen anbietet.

Der Artikel erschien erstmals als Beitrag in der Printausgabe Beck-Stellenmarkt 01/23.