Quo vadis advocatus? – Von Sinn und Tücken der Zielfindung

von Diane Manz

„Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?“ fragt Alice auf Ihrer Odyssee durch das Wunderland. Die Grinsekatze antwortet, „Das hängt zum großen Teil davon ab, wohin du möchtest...“. Fragt man heutzutage junge Associates, was ihre Ziele für die kommenden Jahre sind, blickt man häufig in ähnlich ratlose Gesichter. Zwar haben sie sich entschieden, z.B. in einer Großkanzlei zu arbeiten, jedoch zu definieren, wo es genau hingehen soll, fällt oft schwer. Fragt man danach, warum das so schwierig ist, findet sich keine konkrete Antwort. Äußerungen variieren von „Es war jetzt erst mal wichtig, einen Job zu bekommen, wo es genau hingeht, kann ich immer noch schauen“, „Ich möchte mich noch nicht festlegen“ „Man kann sich sowieso nicht sicher sein, dass man hier Partner werden kann“ bis hin zu „Wenn ich mir jetzt ein festes Ziel setze und es dann nachher nicht erreiche, frustriert mich das nur noch mehr“. Offensichtlich wird es in der heutigen Welt der unbegrenzten Möglichkeiten immer schwieriger, Ziele zu setzen und darauf aufbauende klare Entscheidungen zu treffen. Auch lassen sich die verschiedenen Bereiche, in denen man sich Ziele setzen möchte, nicht mehr voneinander trennen. Die Entscheidung, Partnerin werden zu wollen, beeinflusst meine berufliche Zukunft, aber stellt mich gleichzeitig auch vor die Frage, wie sich das mit meiner Partnerschaft und meinem Kinderwunsch vereinbaren lässt, und ob ich dann noch genug Zeit für mein Ehrenamt oder mein Pferd habe. Der Entschluss, drei Jahre Elternzeit zu nehmen, entscheidet vielleicht über mein berufliches Weiterkommen in der Kanzlei und bringt mir despektierliche Kommentare der erfolgreichen „Karriere-Frauen“ meines sozialen Netzwerkes ein. Die Vision, auf Secondment ins Ausland zu gehen, würde bedeuten, ich muss evtl. die Pflege meiner Eltern auf andere Schultern verteilen. Unabhängig davon, in welchem Bereich ich heutzutage eine Entscheidung treffe, wird das Konsequenzen für anderen Bereiche meines Lebens haben.

Je größer und vielschichtiger die Tragweite, umso herausfordernder wird die Entscheidung. Dies wird durch die steigende Komplexität des Angebots noch verschärft. Es besteht die Gefahr, einen noch besseren „Deal“ zu verpassen, wenn man sich bereits für einen entschieden hat. Gleichzeitig ist durch die Digitalisierung und die daraus resultierende größere Transparenz der „Konkurrenz“ die Tendenz zum sozialen Vergleich gestiegen. In der Folge entsteht eine deutlich größere Angst, im Vergleich mit anderen schlechter abzuschneiden, wenn man sich auf ein Ziel festgelegt hat. Darüber hinaus braucht realistische und erfolgreiche Zielfindung ein klares Bild von eigenen Wünschen, Stärken, Kompetenzen und individuellen Möglichkeiten. Und auch wenn wir es mit gebildeten, hochqualifizierten und nach außen hin selbstsicheren Menschen zu tun haben, kann das der eigentliche Knack-punkt sein. Denn die Angst zu versagen oder an möglichen Gegebenheiten zu scheitern, liegt hier begraben. Und ja, das Risiko eines Fehlschlages besteht. Leider ist der Mensch grundsätzlich darauf gepolt, eher die negative Seite der Medaille zu fokussieren als die positive. Und gerade deshalb ist die Beschäftigung mit eigenen Zielen und der Fokus auf einer entsprechenden erfolgreichen Entwicklung so wichtig und bereichernd. Dies wird häufig unterschätzt.

Erfolgreiche Zielfindung setzt allerdings voraus, dass man sich entsprechend selbst reflektiert, Ängste und Zweifel bearbeitet, die eigenen Stärken erkennt, eigene Wünsche zulässt und so ein Ziel definiert, das von innen herauskommt und sich gut und richtig anfühlt. Wenn das gelingt, wird es eine Reihe von – teils unmittelbaren – positiven Konsequenzen nach sich  ziehen:

  1. Ich kann besser mit Herausforderungen und Stress umgehen. Je klarer ich mein Ziel und die entsprechenden Handlungsschritte vor Augen habe, umso mehr habe ich die Situation unter Kontrolle. Dies hilft mir, Herausforderungen gelassener zu begegnen.
  2. Meine Motivation steigt. Je genauer ich den Weg zum Ziel kenne,  um so systematischer kann ich Dinge aus dem Weg räumen, die meine Motivation beeinträchtigen. Damit steigt auch die Vorfreude, die wiederum eine größere Leichtigkeit in meinen Alltag bringt.
  3. Mein Fokus stellt sich ganz auf das Ziel ein. Dadurch eröffnen sich Möglichkeiten, die vorher nicht sichtbar waren.
  4. Ich reflektiere regelmäßig über meine bisherigen Fortschritte und bin dadurch in der Lage, schnell und präzise notwendige Anpassungen an das Ziel und die entsprechenden Teilschritte vorzunehmen.
  5. Ich kann schwierige Zeiten besser durchstehen, wenn ich weiß, dass sie notwendig sind, um das Ziel zu erreichen.
  6. Meine Selbstmanagement wird optimiert, da es mir leichter fällt, zwischen zielführenden und nicht-zielführenden weiteren Entscheidungen und Handlungen zu unterscheiden.

Durch diese positiven Auswirkungen steigt wiederum die grundsätzliche Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen finalen Zielerreichung. Außerdem eröffnet sich damit noch eine entscheidende Tür für die weitere Karriereentwicklung: Ich kann meine Ziele anderen mitteilen. Denn nur wenn meine Vorgesetzten wissen, wo ich hinmöchte, können Sie mich entsprechend unterstützen und fördern.

Über die Autorin

Diane Manz
ist Dipl.-Psychologin und systemischer Business Coach. Als Inhaberin von brandung | coaching & consulting liegt ihr Fokus der Beratung auf den Bereichen Kommunikation, Karriereentwicklung, Führung und Selbstmanagement, insbesondere im Hinblick auf Umgang  mit Stress.  Mit 17 Jahren Erfahrung im Personalbereich, davon 13 Jahre als Personalleiterin einer internationalen Großkanzlei, ist die Beratung von JuristInnen ein branchenspezifischer Schwerpunkt ihrer Arbeit. www.brandung-consult.com

Der Artikel erschien erstmals als Beitrag in der Printausgabe Beck-Stellenmarkt 20/22.