Rettet den Schriftsatz! Strukturiert den Parteivortrag!

von Uwe Horwath

Der Vorschlag zum strukturierten Parteivortrag der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ wird kontrovers diskutiert. Das überrascht nicht. Denn er zielt darauf, RechtsanwältInnen ein wesentliches Instrument der Prozessführung zu nehmen: den Schriftsatz.

Ein Fall ist selten eindeutig, schwarz-weiß funktioniert nicht vor Gericht. Die hohe Anwaltskunst besteht darin, dem Gericht in den Graubereichen den richtigen Weg zu weisen. Detaillierte Faktenkenntnis, Präzision und überzeugende Rechtsargumente spielen dabei ebenso wie eine klare sprachliche Darstellung eine wichtige Rolle. Der Empfänger der Botschaft ist menschlich und lässt sich von diesen Faktoren nun einmal beeinflussen.

Der schriftsätzliche Austausch darf deswegen nicht auf ein „Basisdokument“ reduziert werden – eine Art Formular, das von beiden Parteien gemeinsam ausgefüllt wird.

Außer Frage steht jedoch, dass die Diskussion weitergeführt werden muss. Änderungen des Status quo sind in Gerichten und Kanzleien überfällig. Der Arbeitsgruppe ist darin zuzustimmen, dass Schriftsätze in derzeitiger Form digital kaum verwertbar sind. Das Gleiche gilt für die Feststellung, dass eine schlichte Abbildung der Papierakte in elektronischer Form nicht wünschenswert ist, da sie die Möglichkeiten einer digitalen Unterstützung des Prozesses ungenutzt verstreichen lassen würde.

Die digitale Verwertung von Akteninhalten kann in komplexen Fällen für RichterInnen und für RechtsanwältInnen gleichermaßen zur Qual werden. Die richtige Antwort auf die Informationsflut im Zivilprozess liefern Werkzeuge zur digitalen Unterstützung der juristischen Wissensarbeit. Sie eröffnen RichterInnen und RechtsanwältInnen den Weg zu einer konsensfähigen Lösung:

Digitales Strukturierungstool

Die Grundvoraussetzung dafür, dass digitale Akten effektiver bearbeitet werden, ist die Integration der juristischen Analyse der Akteninhalte in die elektronische Akte. Dabei geht es darum, dass relevante Informationen aus beliebigen Aktendokumenten nach der juristischen Wertung des Sachbearbeiters in Relationsstrukturen überführt werden. Der Sachbearbeiter soll zu jedem Zeitpunkt der Fallbearbeitung in der Lage sein, Sachzusammenhänge, die er bei der Analyse seines Falls einmal hergestellt hat, nachzuvollziehen. Wer auf Seite zwölf des Klageschriftsatzes unten eine Ausführung liest, zu der er eine Ausführung auf Seite fünf oben der Klageerwiderung verknüpft hat, soll bitte auch direkt dahin springen können.

Digitaler Aktenspiegel

Die so entwickelten Relationsstrukturen stellen nichts anderes dar als einen digitalen Aktenspiegel. Er bildet alle Informationszusammenhänge innerhalb der Akte über Dokumentengrenzen hinweg ab. Im Vergleich zu dem handschriftlich oder in Word erstellten Aktenspiegel hat er den entscheidenden Vorteil, dass alle Informationen mit deren Ursprungsdokumenten verlinkt sind. So kann unmittelbar nachvollzogen werden, wo welche Textpassagen im Aktenspiegel verwertet wurden. Aus dem Aktenspiegel kann direkt an die passende Stelle des Ursprungdokuments gesprungen werden.

(Teil-)automatisierte Strukturierung

Wissensstrukturen sind mächtig. Gepaart mit Funktionen der semantischen Textanalyse können sie den Strukturierungsvorgang der RichterInnen und RechtsanwältInnen vorwegnehmen und inhaltliche Zusammenhänge zwischen bisherigem Austausch und neuem Vortrag präsentieren. Neue Schriftsätze werden mit den im Aktenspiegel verwerteten Textpassagen verglichen, Markierungen in den neuen Schriftsätzen automatisch gesetzt und die so selektierten Inhalte an die passende Position in den Aktenspiegel übernommen.

Weg vom überflüssigen Vortrag: der geteilte Aktenspiegel

Bei aller Kritik am „Basisdokument“ muss man ihm zugestehen, dass es unstrukturierten Vortrag und endlose Wiederholungen vermeidet, die die Akten sinnlos anwachsen lassen.

Kann ein gemeinsam genutzter Aktenspiegel eine konsensfähige Lösung für dieses Problem darstellen?

Dafür spricht, dass er durch seinen Informationsgehalt zu einem sehr wirkungsvollen Instrument der Verfahrensleitung wird, vorausgesetzt er kann von allen Verfahrensbeteiligten eingesehen werden.

Wer problemlos nachlesen kann, wie sich nach richterlicher Wertung Vortrag und Gegenvortrag gegenüberstehen, wird von sinnlosen Wiederholungen Abstand nehmen.

Entscheidend ist, dass der digitale Aktenspiegel bei der Aktendurchsicht rasch entwickelt wird. Diese Aufgabe wird weiterhin RichterInnen obliegen, sie werden dabei aber durch Strukturierungssoftware und semantische Textanalyse wirkungsvoll unterstützt. Als Anwalt wäre ich zudem gerne bereit, dem Gericht die Relationsstruktur zu übermitteln, die Grundlage meines Schriftsatzes war. Denn erstellen musste ich sie ohnehin, um einen vernünftigen Schriftsatz zu schreiben. Soll das Gericht entscheiden, ob es die Struktur übernimmt. Wer schon die richtige Struktur für das spätere Urteil liefert, dürfte im Vorteil sein.

 

Über den Autor:

Uwe Horwath
Rechtsanwalt und Product Owner von
METHODIGY, dem Strukturierungstool für Juristen