Die Digitalisierung der Rechtsanwaltskanzlei - Technologische Innovationen und Veränderungen für den Berufsstand der Rechtsanwälte

von RA Hans Lecker, Produktmanager der Zielgruppe Rechtsanwälte und Rechtsassessor Miron Schneckenberger, Teamleiter Recht Editorial Department, beide bei der Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Planegg/München

Mit beA, dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach, ist die Digitalisierung für jeden Rechtsanwalt nun Pflichtprogramm. Das besondere elektronische Anwaltspostfach ist ein Baustein in dem großen Projekt „Elektronischer Rechtsverkehr“. Die Rechtsanwaltskanzlei steht unter dem Einfluss der Digitalisierung der Gesellschaft, die vielfältig einwirkt, und entsprechend komplex sind die Herausforderungen für Rechtsanwaltskanzleien.

Rechtsanwaltskanzleien stehen unter dem spezifischen Einfluss der Erwartungshaltung der Mandanten. Mandanten, insbesondere Unternehmensmandaten, fordern heute digitale Kommunikation bei den von ihnen beauftragten Rechtsanwaltskanzleien ein, da die analoge Kommunikation für Unternehmen mit einer digitalen Kommunikationskultur bereits ein Mehrkostenfaktor ist. Hierbei kommen im einfachsten Fall die Email oder bereits spezifische Kommunikationsportale (Datenräume, Mandantenportale) zum Einsatz. Mit diesen technologischen Anforderungen geht auch ein höherer Anspruch der Mandanten an die Reaktionsgeschwindigkeit der Rechtsanwaltskanzleien und die Transparenz der Leistungserstellung einher.

Neben den Unternehmensmandaten gibt es die Gruppe der Privatmandanten, die ihren Anspruch an die Kommunikation und Interaktion mit der Rechtsanwaltskanzlei aus ihren privaten Gewohnheiten ableitet. Facebook, Twitter, WhatsApp galten noch vor kurzem als Spielereien, die der 16-jährigen Tochter oder dem pubertierenden Sohn vorbehalten waren. Heute sind sie aus dem (all-)täglichen Gebrauch nicht mehr wegzudenken: Selbstverständlich lädt die Grundschullehrerin zum Elterngespräch in der zweiten Klasse mittels doodle ein. Kein Gedanke wird daran verschwendet, dass man eine doodle-Liste nicht kennen könnte.
Mit solchen Gegebenheiten ist auch eine Rechtsanwaltskanzlei konfrontiert. Wobei hierbei der Rechtsanwalt im besonderen Maße gefordert ist, dem Ratsuchenden die Bedeutung der anwaltlichen Verschwiegenheit nahe zu bringen, auch wenn der Mandant diesen Kommunikationsweg fordert.

Der digitale Wandel bedeutet nicht, dass jede neue Möglichkeit genutzt werden muss. Vielmehr ergeben sich hierbei zunächst Differenzierungspotentiale gegenüber dem Wettbewerb. Wenn Ihr Wettbewerber erfolgreich neue Möglichkeiten nutzt und sich damit einen Wettbewerbsvorteil schafft, könnte das ein Problem für Sie sein, wenn Sie damit an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Der digitale Wandel bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Rechtsanwaltskanzleien über den gewinnbringenden Einsatz neuer Technologien reflektieren und entscheiden müssen.

Zunächst verstand man unter Wettbewerber eigentlich nur Rechtsanwaltskanzleien, in letzter Zeit sind jedoch neue Unternehmen gegründet worden, die ebenfalls an der Rechtsberatung verdienen wollen, sogenannte „LegalTechs“.
Bei LegalTechs hat vor allem der Einsatz von Technologie eine große Bedeutung. Die Vorgehensweise, wie solche LegalTechs ihre Produkte entwickeln, nämlich eine starke bis kompromisslose Orientierung an den Bedürfnissen ihrer Kunden, zeichnet sie aus. Es wird sehr experimentierfreudig am Geschäftsmodell gearbeitet, um eine erfolgreiche Unternehmung zu schaffen. Auch ist der Rahmen zur Finanzierung solcher Gründungen gegenüber der klassischen Rechtsanwaltskanzlei wesentlicher weiter. LegalTechs sind damit ein Thema für Venture Capital-Finanzierer und können sich hier finanzielle Mittelbesorgen, wie sie in der Regel bei einer Kanzleigründung nicht zur Verfügung stehen.

Besonders brisant ist das Verhältnis zwischen Rechtsanwaltskanzlei und LegalTech, wenn solche Gesellschaften direkt den Rechtsberatungsmarkt adressieren. Dass es bereits erfolgreiche Geschäftsmodelle in diesem Bereich gibt, zeigt das Beispiel der flightright GmbH (www.flightright.de).

Aufgrund dessen, dass sich die gesamte Gesellschaft in einem digitalen Wandel befindet, ergibt sich eine gänzlich neue Wirklichkeit, in der sich der Rechtsanwalt in seiner Fallbearbeitung künftig bewegt.

Man stelle sich eine Welt vor, in der das vernetzte und autonom fahrende Fahrzeug den Regelfall darstellt. Aktuelle Entwicklungen und Ankündigungen der Hersteller legen hier nahe, dass dies bereits in zehn Jahren der Fall sein kann. Ein solches Fahrzeug erfasst und protokolliert die Geschehnisse in und um das Fahrzeug und das mit einer Präzision, die in der Regel den relevanten Sachverhalt umfassend abbildet. Die Teilnahme am Straßenverkehr wird ein in Echtzeit digitalisiertes Ereignis. Die Ermittlung des Sachverhalts für die rechtliche Beurteilung wird dann wohl kaum noch schwierige Beweisfragen aufwerfen. Schließlich liegt ein präzises digitales Protokoll der beteiligten Fahrzeuge vor und dies steht wiederum im Zugriff aller, die von dem Unfall betroffen sind.

Steigende Leistungsfähigkeit der Computersysteme wird zunehmend dazu führen, dass immer mehr Standardaufgaben nicht mehr den Rechtsanwalt oder einen anderen menschlichen Bearbeiter benötigen. Eine spannende Frage ist, wer sich diesen technologischen Fortschritt zunutze macht. Ist es die Anwaltschaft, die solch intelligente Systeme als ihre Werkzeuge gestaltet oder wird es eine Industrie für Rechtsdienstleistungen geben, die wir nicht der Anwaltschaft zurechnen?

„Wir alle sollten uns um unsere Zukunft sorgen, denn wir werden den Rest unseres Lebens darin verbringen.“ (Charles F. Kettering (1876 –1958), amerik. Industrieller)

Quelle NJW 47/2015