Gutes Dolmetschen braucht gute Vorbereitung

von Prof. Dr. Tinka Reichmann

Wer bei internationalen Konferenzen oder beim EuGH die Leistung von professionellen Dolmetschern wahrnimmt, ist oft beeindruckt von der Qualität der Verdolmetschung. Was scheinbar mühelos und mit einem natürlichen Redefluss vonstattengeht, ist allerdings hinter den Kulissen harte Arbeit. Einerseits steht und fällt die Qualität mit der hohen Qualifizierung der Dolmetscherinnen und Dolmetscher (Studium, Praxiserfahrung, Weiterbildungen), andererseits mit der umfassenden Vorbereitung. So können Dolmetschende in Sprachendiensten wie dem SCIC (Dolmetschdienst der EU-Kommission) oder den Dolmetschdiensten des Auswärtigen Amtes oder des EuGH auf viele (auch mehrsprachige) Unterlagen und konsolidierte Terminologie zurückgreifen. Qualifikation und Vorbereitung sind grundlegende Bestandteile der Dolmetschqualität.

Vorbereitung von Gerichtsdolmetschern

Oft wird von den Geschäftsstellen oder Richterinnen und Richtern kritisch hinterfragt, warum Dolmetscher vor dem Einsatz Informationen zum Verfahren erfragen bzw. Vorbereitungsmaterial anfordern. Als Grund der Verwehrung solcher Informationen wird bei den Gerichten oft der Datenschutz vorgeschoben, obwohl beeidigte Dolmetscherinnen und Dolmetscher allein schon aufgrund ihres Eides (§189 GVG, Landesgesetze…) zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Wer Dolmetschende als qualifizierte Partner zum Gelingen des Gerichtsverfahrens sieht, sollte wissen, dass die Verstehensleistung und die Übertragung in eine andere Sprache unter großem Zeitdruck eine sehr hohe kognitive Leistung darstellt. Diese ist umso besser, je mehr sich die Dolmetscher inhaltlich und terminologisch (in zwei Sprachen!) vorbereiten können.

Es ist auch einiges an Hintergrundwissen zu dem konkreten Fall und zu dem betroffenen Kulturkreis erforderlich, um bei mündlichen Aussagen situationsgebunden die richtige Interpretation zu treffen. Wenn z. B. das Wort „Erinnerung“ fällt, muss die dolmetschende Person entscheiden, ob es sich in dem jeweiligen Kontext um eine Gedächtnisleistung, eine Mahnung oder einen Rechtsbehelf handelt. „Nur übersetzen“, wie es oft gefordert wird, ist meistens überhaupt nicht zu leisten. Sprachstrukturen und Kulturen sind sehr unterschiedlich und können häufig nicht eins-zu-eins übertragen werden. Man möchte sich an das Diktum der Juristen halten: „Es kommt drauf an“. Ja, es kommt auf den Kontext, den konkreten Fall, die Kultur bzw. die Sprache und auf die Vorbereitung an, dass Inhalte richtig und vollständig in eine andere Sprache übertragen werden.

Personen in richterlicher und staatsanwaltlicher Funktion bereiten sich auf die Verhandlungen vor, von Dolmetscherinnen und Dolmetschern wird allerdings erwartet, dass sie im Blindflug komplexe Sachverhalte in zwei Sprachen unter erschwerten Bedingungen (z. B. Raumakustik, Redegeschwindigkeit, dialektale Prägungen) erfassen und in der anderen Sprache terminologisch korrekt aus dem Ärmel schütteln. So kann auch bei einfacheren Strafverfahren bei Amtsgerichten die schiere Auflistung von gestohlenen Gegenstände in der in Hochgeschwindigkeit verlesenen Anklageschrift eine erhebliche Schwierigkeit darstellen: Flexofit Wasserschlagdämpfer, Gassteuerungsautomat, Gewindenachschneider, Synchronservomotor, Akkukompaktsäbelsäge, Bypass-Impellerpumpe usw. Sicherlich kann auch eine Juristin oder ein Jurist ohne vorherige Befassung nicht genau wissen, worum es hier geht.

In der Berufspraxis professioneller Dolmetscherinnen und Dolmetscher ist es gang und gäbe, dass Vorbereitungsmaterial angefordert wird (z. B. Rednerhinweise der AIIC).1 Die ISO-Norm 20228:2019 zum juristischen Dolmetschen sieht dies ebenfalls vor: „Judicial and other authorities as well as clients in general are encouraged to provide legal interpreters access to case-related and other reference materials in order to enable them to prepare for the interpreting service.“

Dolmetscherinnen und Dolmetscher als Verbündete von Gerichten und Behörden

Qualifizierte Dolmetschende sind Gehilfen der Gerichte,ohne sie kämen viele Verfahren gar nicht zustande: „Als Hilfsorgan der Entscheidungsträger trägt er [Dolmetscher und Übersetzer] dazu bei, die ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip verwurzelte Garantie eines fairen Verfahrens sicherzustellen“.3 Als solche sollten sie alle Möglichkeiten der Vorbereitung bekommen, die zur Erfüllung der Dolmetschaufgabe notwendig sind. Oft führen die Gerichte auch an, dass Dolmetscherinnen und Dolmetscher im Voraus keine Informationen über das bevorstehende Verfahren haben sollen, damit sie unvoreingenommen und somit unparteiisch oder neutral handeln. Hier scheint mir eine falsche Analogie zur Rolle von Schöffen vorzuliegen, denn allgemein beeidigte Dolmetscher sind nach §189 (1) GVG verpflichtet, treu und gewissenhaft zu übertragen, was die Unparteilichkeit mit einschließt. Außerdem sollen sie nach §189 (4) GVG Verschwiegenheit wahren, was in manchen Landesgesetzen sogar noch strenger formuliert ist (z. B. SächsDolmG).

Allgemein beeidigte versus ad-hoc beeidigte Dolmetscherinnen und Dolmetscher

Der Unterschied ist sehr einfach: Allgemein beeidigte Dolmetschende erfüllen die formalen Voraussetzungen (Qualifikation, d.h. Prüfung, Sprach- und Kulturkenntnisse, Dolmetschtechniken, Kenntnisse der deutschen Rechtssprache, keine Vorstrafen/Insolvenz), die anderen nicht. Zudem sind qualifizierte Dolmetschende häufig in Berufsverbänden organisiert (BDÜ, AIIC, VbDÜ u.a.), die sich zu einem Berufsethos (insbesondere der Verschwiegenheit) bekennen. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit der ad-hoc-Beeidigung bei bestimmten Sprachen sollten Gerichte stärker darauf achten, dass allgemein beeidigte Dolmetscherinnen und Dolmetscher geladen werden und nicht irgendwelche Personen, die über Agenturen geschickt werden, die diese Voraussetzungen schlichtweg nicht erfüllen.

Um noch einmal auf den Titel zurückzukommen: Es gilt auch anders herum. Gute Vorbereitung ermöglicht gutes Dolmetschen. Vor allem im Recht.

 
1 https://aiic.de/service/beratung/rednerhinweise/
2 BGH Urteil 2 StR 485/17 4. Juli 2018. S. auch Kommentare zu GVG § 185.
3 M. Ronellenfitsch/R. Dorn, Rechtsfragen des Vergütungsanspruchs von Dolmetschern und Übersetzern nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) [Gutachten], 2006, (https://bb.bdue.de/fileadmin/files/PDF/Gut_ zu_wissen/fragen_gutachten_14_jveg.pdf), S. 32.

 

 

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Über die Autorin:

 

Autoren Name

Prof. Dr. Tinka Reichmann - Universitätsprofessorin
Sie ist Universitätsprofessorin für Dolmetschwissenschaft und Rechtstranslatologie an der Universität Leipzig sowie vereidigte Übersetzerin und Dolmetscherin am LG Saarbrücken (Portugiesisch, Spanisch, Französisch und Englisch) und Autorin des Aufsatzes „Übersetzen und Dolmetschen im Rechtswesen“ (eucrim Sept. 2025).