Die Digitalisierung der Justiz und ihrer Verfahren schreitet voran – Anwälte haben ihr beA, Notare ein beN, Behörden das beBPo und die Gerichte stellen auf elektronische Aktenführung um, damit diese im Akteneinsichtsportal eingesehen werden können. Und was ist mit Gerichtssachverständigen? Diese konnten bisher mit Governikus Justiz Edition entgeltfrei elektronisch Sachverständigenleistungen an die EGVP-Infrastruktur der Gerichte übertragen. Da das Einreichen zwar technisch sicher, aber ohne Identifizierungsverfahren für die Nutzer nicht zu den sicheren Übertragungswegen (§ 130a ZPO) gehört, war eine qualifizierte elektronische Signatur bei der Nutzung erforderlich. Zudem konnten Gerichte die Sachverständigen über diesen Weg nicht verfahrensrechtlich zulässig erreichen. Und schließlich war auch eine sichere Kommunikation mit anderen Verfahrensbeteiligten und Prozessvertretern nicht möglich.
Neue Gesetzeslage
Durch das „Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften“ vom 05.10.2021 ist die ZPO und die Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) geändert sowie das „Elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO)“ rechtlich als weiterer sicherer Übermittlungsweg geschaffen worden (§ 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO). Ein eBO kann auch Sachverständigen ermöglichen, auf einem sicheren Übermittlungsweg mit den Verfahrensbeteiligten zu kommunizieren; die qualifizierte elektronische Signatur ist hierbei verfahrensrechtlich nicht erforderlich (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO; BGH, Beschluss vom 19.01.2023 – V ZB 28/22 –, juris).
Schwachpunkt Kosten
Alles gut? Nicht wirklich. Das als kostenneutrale Lösung angekündigte eBO kostet die Nutzer bei den bisher auf dem Markt befindlichen Applikationsanbietern mehr als ein beA. Zudem ist bei eBO-Anwendern zwar eine Kommunikation mit Anwälten und der Justiz vorgesehen, nicht aber untereinander. Das für Sachverständige möglicherweise attraktivere – und voraussichtlich kostenfreie – OZG-Nutzerkonto des Bundes (§ 130a Abs. 4 Nr. 5 ZPO) steht noch nicht für die Kommunikation mit den Gerichten zur Verfügung. DE-Mail ist zwar ebenfalls als sicherer Übermittlungsweg normiert (§ 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO), hat sich aber in der Praxis kaum durchgesetzt. Das derzeit vom BMI gemeinsam mit der Justiz in der Umsetzung befindliche „Mein Justizpostfach“ (MJP) als kostenfreies Web-Frontend, das in erster Linie für Bürger als „Gelegenheitsnutzer“ gedacht ist, kann wohl auch von Sachverständigen verwendet werden, bietet aber voraussichtlich nur eingeschränkte Funktionen.
Hoher Zeit- und Arbeitsaufwand durch ineffiziente Abläufe
Viel verfahrenspraktische Erleichterung bringt auch das Akteneinsichtsportal für die Sachverständigen noch nicht. Hier bestehen zudem Medienbrüche: die Zugangsdaten werden postalisch versendet und gelten regelmäßig vier Wochen. Weitere Aktualisierungen der Akte sind für Sachverständige nicht dauerhaft einsehbar; wird später ein Ergänzungsgutachten oder eine mündliche Erläuterung erforderlich, muss ein erneuter Zugang eingerichtet werden. Hinzu kommt, dass das Durchdringen der Akte für Sachverständige mehr Zeit in Anspruch nimmt. Wird die Akte strukturiert im Akteneinsichtsportal hinterlegt, werden immer noch zahlreiche Empfangs- und Sendeprotokolle mit abgespeichert. Diese müssen dann zusätzlich zumindest gesichtet und aussortiert werden. Außerhalb des Akteneinsichtsportals erhalten Sachverständige teilweise neben unstrukturierten Akten auf CD oder USB-Stick auch Akten mit nicht durchsuchbaren Dateien. Inwieweit dieser Aufwand nach dem JVEG abrechnungsfähig ist, ist unklar.
Ungeklärte Nutzungspflicht
Offen ist letztlich die Frage, ob und welche Sachverständigen ab 2024 einer passiven Nutzungspflicht unterliegen. Die ab 01.01. 2024 geltende Fassung des § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO regelt, dass in „professioneller Eigenschaft am Prozess beteiligte Personen, bei denen von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann“, einen sicheren Übermittlungsweg für die elektronische Zustellung zu eröffnen haben. Das Gesetz gibt hierzu keine Auskunft; dies soll wohl im Einzelfall seitens der Justiz entschieden werden. Ein Ansatz, der sich in der Praxis bewähren muss.
Fazit
Die Möglichkeiten der Einbindung von Sachverständigen in einen effizienten und reibungslosen digitalen Verfahrensablauf vermitteln eher den Eindruck von „workarounds“ als von zielorientierten Lösungen. Das ist unverständlich, wenn man bedenkt, welche Bedeutung der Sachverständigenbeweis für die Entscheidungsfindung hat und dass der Anteil der Dauer des Sachverständigenbeweises an der Verfahrensdauer durchschnittlich 40 % beträgt (s. Ergebnisse der von den OLG Hamm, Nürnberg, Jena und dem KG durchgeführten Studie über langdauernde Zivilverfahren, vgl. Keders/Walter, NJW 2013, 1697).
Über die Autorin:
Katharina Bleutge,
ist Rechtsanwältin und Justiziarin beim Institut für Sachverständigenwesen e.V. in Köln. Neben ihrer Dozenten- und Autorentätigkeit gibt sie unter anderem das im C.H.BECK-Verlag erschienene Praxishandbuch Sachverständigenrecht mit heraus.
Der Beitrag ist erstmals in der NJW 14/23 erschienen.