Klientenpflege als Überlebensstrategie?

von Prof. Dr. Bruno Mascello

Vergessen wir für einmal, dass wir Anwälte und Anwältinnen als Organ der Rechtspflege gelten. Und denken wir hier stattdessen daran, dass wir als Unternehmer Sorge dafür tragen müssen, mit unserer Arbeit den Lebensunterhalt für uns und unsere Angestellten verdienen zu müssen. Elementar dafür ist, was für alle Marktteilnehmer gilt: Kunden müssen
gewonnen, zufriedengestellt und schliesslich behalten werden.

Die erste dieser drei Phasen hat für Anwälte zwei Ausprägungen. Die bekanntere der beiden zielt auf die Fachexpertise, die man über Fachpublikationen und gute juristische Arbeit beweist. Ist man bei Kollegen und Richtern als guter Jurist bekannt, kann das durchaus zu Aufträgen führen; sofern man im persönlichen Umgang nicht abfällt. Wirtschaftlich viel interessanter und wirkungsvoller sind jedoch Empfehlungen von ehemaligen Kunden. Diese Empfehlungen wirken authentischer, weil sie von gleichermaßen «Betroffenen» kommen, die mit dem besagten Anwalt schon
«echte» Erfahrungen gemacht haben.

Hat man dann einen neuen Kunden gewonnen, muss seine Erwartung so erfüllt werden, dass er mit der Leistung zufrieden ist und am Ende auch das in Rechnung gestellte Honorar bezahlt. Nichts leichter als das, würde man meinen, man muss ja nur einen juristisch korrekten Rat geben! Fachexperten, und hierzu zählen auch Anwälte, unterliegen leider gerne diesem Irrtum. Denn nicht juristisch ausgebildete Kunden setzen die Fachexpertise als selbstverständlich voraus und können sie ohnehin nicht angemessen beurteilen. Sie fällen ihr Urteil, ob es am Ende ein «guter» Anwalt ist, basierend auf den sogenannten Service- und Beziehungselementen. Diese beantworten Fragen wie zum Beispiel: Wie werde ich behandelt und hat man Zeit für mich? Fühle ich mich aufgehoben und verstanden? Spricht man verständlich mit mir? Welchen (subjektiven) Eindruck hinterlässt der Anwalt bei mir? Es geht also gerade um alles andere als die „harten“ bzw. fachlich-juristischen Kriterien, sondern vielmehr um die sozialen Kompetenzen.

Damit kommen wir zu Phase drei: Einen einmal gewonnen Kunden nicht zu verlieren. Das bedeutet nicht nur, dass er bei neuen Rechtsfragen zurückkehrt, sondern dass er den Anwalt bei Verwandten, Freunden und Bekannten weiterempfiehlt. Ist der Kunde mit der Leistung und vor allem dem Verhalten und Service eines Anwalts zufrieden, wird er das von allein machen, um wiederholte Suchkosten und Auswahlrisiken zu vermeiden. Bei der Erbringung der juristischen Dienstleistung ist also weniger die eigene Fachexpertise ins Zentrum zu stellen, die ohnehin erwartet wird, sondern es ist vielmehr wie ein Kunde, also „outside-in“ zu denken. Dann steht auch der Rolle als „Trusted Advisor“ nichts mehr im Wege.

Damit wäre der Aufbau des Fundaments, die Bildung einer tragenden und nachhaltigen Beziehung zwischen Anwalt und Klient, geschafft, und man kann sich nun den weiteren nicht weniger wichtigen Herausforderung widmen. Diesen finden sich als innere und äußere Rahmenbedingungen.

Bleiben wir zunächst im Innenbereich. Hierzu zählt, die Leistung nach bewährten und modernen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu erbringen. Dazu bedarf es insbesondere einer überlegten Positionierung im Markt, einer entsprechenden Organisation der Ressourcen, der Rekrutierung und modernen Führung der Mitarbeitenden, eines angemessenen Risiko- und Krisenmanagements und schließlich der finanziellen Steuerung des Unternehmens. Natürlich spielt auch das Querschnittthema Digitalisierung an verschiedenen Punkten mit hinein und verlangt unter anderem die Bereitstellung einer angemessenen technischen Infrastruktur, einen funktionierenden Fernzugriff und digitale Akten und Datenbanken. Schließlich kann überlegt werden, wie das eigene Geschäftsmodell für Kunden attraktiver gestaltet werden kann, zum Beispiel mit neuen Preismodellen und der Implementierung von digitalen Produkten und Services.

Schauen wir als Kanzlei auch nach außen, fällt folgendes auf:
Kunden, insbesondere informierte Unternehmenskunden mit Rechtsabteilungen, stellen neue Ansprüche und haben höhere Erwartungen. Eine korrekte Rechtsauskunft allein reicht nicht mehr aus, sondern es wird Zusatzwissen im Kontext des Geschäftsumfelds erwartet und die Dienstleistung muss passgenau, schnell und kostengünstig erbracht werden. Überdies wächst die Konkurrenz nicht nur in den traditionellen Reihen mit neuen Kanzlei- und Syndikusanwält/innen an, sondern es versuchen vermehrt die Rechtsarme der Revisionsgesellschaften, Rechtsschutzversicherungen und neue Rechtsdienstleister (z.B. NewLaw und LegalTech) ein Stück vom Kuchen zu gewinnen. Das Marktangebot wird zwangsläufig fragmentierter und man muss die Wettbewerber kennen. Man muss verstehen und dem Kunden erklären können, wie man da reinpasst und wie man mit diesen anderen optimal zusammenarbeitet. Als Resultat davon wird sich das Netzwerk erweitern müssen, will man einen umfassenden Service bieten. So wird man für einen Kunden unersetzbar.
Klientenpflege als Überlebensstrategie?

Quelle: NJW 34/2020

Über den Autor:

Prof. Dr. Bruno Mascello
Akademischer Direktor Law & Management, Uni St. Gallen
sowie Direktor des Weiterbildungsprogramms
"Management for the Legal Profession"