Large Language Models (LLM) im Recht – Interdisziplinarität an der Schnittstelle von Recht und Informatik

Drei Holzwürfel mit den Buchstaben L, L und M auf einem Tisch
von Prof. Dr. Paulina Jo Pesch

Fragen der künstlichen Intelligenz (KI) beschäftigen die Rechtswissenschaften seit langem. Breitere Aufmerksamkeit genießt KI aber erst, seit im Jahr 2022 mit DALL-E mini ein erstes Bild-generatives Modell der Öffentlichkeit zugänglich wurde. In der Folge fluteten mittels DALL-E mini und anderen Diffusionsmodellen wie Stable Diffusion oder Midjourney erzeugte Bilder die sozialen Medien. Schnell beschäftigten die obskuren Bilder auch Juristinnen1, da die Modelle ohne Zustimmung von Rechteinhaberinnen mit Bildern aus dem Internet trainiert worden sind.2 Noch größere Aufmerksamkeit ziehen indes generative Large Language Models (LLM) wie ChatGPT, Gemini, Copilot oder Claude auf sich.

Innovative Entwicklungen brauchen zukunftsweisende Qualifizierungsangebote

Die wachsende Szene mit Informationstechnologien vertieft vertrauter Juristinnen speist sich bislang aus Absolventinnen der Rechtswissenschaft, die außerdem Informatik studiert haben, sowie aus Autodidaktinnen mit nicht selten ungeraden, risikobehafteten Karrierewegen.

Um den Bedarf an Juristinnen mit fundierten Kenntnissen im Bereich der Informatik zu decken, bedarf es allerdings breit zugänglicher, auf Juristinnen ohne technische Vorkenntnisse zugeschnittener interdisziplinärer Ausbildungsprogramme. Mittlerweile eröffnen interdisziplinäre LL.M. Studiengänge wie der von der Verfasserin an der FAU Erlangen Nürnberg koordinierte Studiengang „Recht und Informatik“ Absolventinnen in- und ausländischer juristischer Studiengänge einen planbaren und zeiteffizienten Weg zur Schärfung eines IT-rechtlichen Profils. Die Rechtswissenschaft wird den Herausforderungen Künstlicher Intelligenz und anderer Informationstechnologien nur gerecht werden und ihre Vorteile nur ausnutzen können, wenn viele junge Juristinnen diesen Weg gehen.

Recht und Informatik als Schnittstellendisziplinen

Im Kontext von LLM gewinnt juristische Expertise an der Schnittstelle von Recht und Informatik größte Bedeutung. Denn die rechtliche Beurteilung der Modelle und rechtskonforme Entwicklung von Legal-Tech-Anwendungen auf ihrer Basis bedarf eines fundierten technischen Verständnisses, eines Gespürs für absehbare Entwicklungen sowie interdisziplinärer Forschungsprojekte. So erfordert die Anwendung der risikobasierten Regulierungsvorschriften der DSGVO oder der KI-Verordnung auf LLM ein Verständnis der mit diesen tatsächlich verbundenen Risiken.

Die Ergebnisse vorhandener experimenteller Studien sind aber nicht modell- oder auch nur modellversionsübergreifend generalisierbar. Dass sich aus existierenden Modellen Trainingsdaten in signifikantem Ausmaß extrahieren lassen, lässt nicht darauf schließen, dass sich die regelmäßig urheberrechts- und datenschutzwidrige Memorisierung3 von Trainingsdaten bei generativen Modellen generell nicht verhindern lässt. Dass existierende Modelle inkonsistente4 Ausgaben generieren oder unwahre Fakten erfinden („halluzinieren“5) heißt nicht, dass generative LLM zur Automatisierung behördlicher oder gerichtlicher Entscheidungen per se ungeeignet sind. Dass bekannte Modelle stark eingeschränkte Fähigkeiten zur Lösung von Aufgaben zeigen, die logisches Denken erfordern, lässt nicht den Schluss zu, dass sich nicht deutlich performantere Modelle entwickeln lassen.

Juristinnen werden in enger Zusammenarbeit mit Informatikerinnen Modelle entwickeln, testen und evaluieren müssen, um effiziente und rechtskonforme Legal-Tech-Anwendungen zu schaffen und LLM differenziert rechtlich bewerten zu können.

Chancen innovativer generativer LLM

Die Modelle, die auf Grundlage von Textprompts neuartige Texte ausgeben, werfen nicht nur diverse Rechtsfragen etwa in den Bereichen des Urheber-, Datenschutz- und Regulierungsrechts auf, sondern können – bei verständiger Nutzung6 – auch das juristische Arbeiten erheblich erleichtern.

Durch das „Finetuning“ vortrainierter LLM mit fachspezifischen Trainingsdaten wie Gesetzen, Kommentaren, Urteilen oder Verwaltungsakten lassen sich domänenspezifische Legal-Tech-Anwendungen entwickeln. Erprobt werden etwa generative LLM für die Justiz7 sowie zur Erleichterung der Arbeit von Menschenrechtsanwältinnen oder zur juristischen Unterstützung besonders vulnerabler Gruppen ohne Zugang zu Rechtsberatung8. Hinreichend performante generative LLM könnten sich auch zur Automatisierung von Entscheidungen fruchtbar machen lassen, weil sie ganze, sprachlich variantenreiche Entscheidungen einschließlich von Gründen ausgeben können.

Juristische Expertise mit Zukunft denkt Informationstechnologien mit

Eine Vielzahl auf Informationstechnologien bezogener juristischer Arbeiten krankt traditionell an einem unzureichenden oder vom Stand der Technik längst überholten technischen Wissensstand. Angesichts der rasanten Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz und deren erheblicher Innovationskraft erweist sich insbesondere hier die juristische Unart als tödlich, das technische Verständnis der betrachteten Technologien ausschließlich auf rein juristische Publikationen zu stützen.

Nötig ist es vielmehr, aktuellste technische Erkenntnisse einordnen zu können und in juristische Überlegungen einzubeziehen. Dies erfordert eine Vertrautheit mit technischen Grundlagen und die Fähigkeit zum fachlichen Austausch und zur Zusammenarbeit mit Informatikerinnen. Schwerpunktstudien im Bereich des IT-Rechts im weitesten Sinne können dazu zwar eine ausgezeichnete Grundlage schaffen, allein jedoch nicht die nötige Interdisziplinarität gewährleisten.

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1 Um die Ansprüche an Geschlechtergerechtigkeit und Lesbarkeit in Einklang zu bringen, wird das generische Femininum verwendet. Die weibliche Form schließt Personen männlichen Geschlechts und Nichtbinäre mit ein.
2 Siehe nur Image generator litigation, https://imagegeneratorlitigation.com/ (Abruf: 6.6.2024).
3 Zum Urheberrecht Pesch/Böhme, GRUR 2023, 997; zum Datenschutzrecht dies., MMR 2023, 917.

4 Tatsächlich ermöglicht ein Update der GPT-API bereits die Generierung konsistenter Ausgaben mit GPT-4. Gibbs, GPT Seed Selection is a Game Changer for Consistent & Fair AI Classification (2023), https://medium.com/@jordan_gibbs/gpt-seed-selection-is-a-gamechanger-for-consistent-fair-ai-classification-5200635b54da (Abruf: 6.6.2024).
5 Der Begriff der Halluzination ist insofern irreführend, als LLM nichts wahrnehmen. Dazu Millidge, LLMs confabulate not hallucinate (2023), https://www.beren.io/2023-03-19LLMs-confabulate-not-hallucinate/ (Abruf: 6.6.2024).
6 Einen hervorragenden Zugang zum effizienten juristischen Einsatz generativer LLM bieten die vielfach öffentlich abrufbaren Vorträge, Seminare und Interviews von RA Tom Braegelmann
7 Beck aktuell, NRW und Bayern entwickeln „ChatGPT-Analogon“ für die Justiz (2023), https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/nrw-und-bayern-entwicke... (Abruf: 6.6.2024).
8 Siehe Hack To The Rescue, Challenges (2023) https://web.archive.org/web/ 20231202225502/https://hacktotherescue.org/generativeai/challenges (Abruf: 6.6.2024).

 

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Über die Autorin:

Prof. Dr. Paulina Jo Pesch - Juniorprofessur an der FAU Erlangen-Nürnberg
Prof. Pesch hat ihr IT-rechtliches Profil in interdisziplinären Forschungsprojekten und an Instituten für Informatik und Wirtschaftsinformatik geschärft. An der FAU Erlangen-Nürnberg hat sie die Juniorprofessur für Bürgerliches Recht und Recht der Digitalisierung inne, koordiniert dort den interdisziplinären LL.M.-Studiengang „Recht und Informatik“ und bietet einen neuen Schwerpunkt im IT-Recht an.