Wahlstation bei Amnesty International – Mit Jurawissen im Dienst der Menschenrechte

Amnesty International Hilfsorganisation
von Lea Weiser

Planänderung – Wahlstation im Inland dank Corona-Pandemie

Das juristische Referendariat soll einen Einblick in das geben, was vom Berufsleben zu erwarten ist. Insofern war es schade, dass die Covid-19-Pandemie mich für die meiste Zeit dieses praktisch orientierten Abschnitts der juristischen Ausbildung an den heimischen Schreibtisch fesselte. Dass ich mich dadurch aber gezwungen sah, für die Verwaltungs- und Wahlstation nach Stellen innerhalb des Landes zu suchen, die für meine berufliche Realität viel eher in Betracht kommen würden, hatte mit Blick auf den Sinn des Referendariats am Ende also auch etwas Gutes.

Jurakenntnisse sinnstiftend einsetzen in NGOs

Mein Interesse an der Wahlstation bei Amnesty International rührte vor allem daher, dass ich seit Beginn des Jurastudiums zwar thematisch Spaß an den meisten Rechtsgebieten hatte, ich mir aber kaum einen Job vorstellen konnte, in dem das Erlernte wirklich sinnvoll einzusetzen ist. Dass juristische Arbeit einen Mehrwert für die Gesellschaft schafft, war meiner Vorstellung nach nur in einem Bruchteil der Fälle gegeben. Auf der insofern konsequenten Suche nach einer Stelle in einer Nichtregierungsorganisation stieß ich auf das Angebot von Amnesty International. Hier findet man Stellen in verschiedenen Fachbereichen innerhalb des Teams „Regionen und Themen“, in dem neben Länderexpert*innen auch einige Volljurist*innen vertreten sind.

Bewerbungsverfahren bei Amnesty und Vorerfahrungen in der Menschenrechtsarbeit

Für die Bewerbung auf die Wahlstation bei Amnesty International wurden neben einem Anschreiben die üblichen Unterlagen gefordert. Angesichts der internationalen Ausrichtung der Organisation werden u.a. Vorkenntnisse im Bereich der internationalen und nationalen Menschenrechtsnormen und -regime sowie länderspezifische Kenntnisse erwartet. Da ich bereits in der Vergangenheit vermehrt ehrenamtliche Arbeit im Bereich der Geflüchtetenhilfe geleistet hatte, kam für mich vor allem der Bereich Asylpolitik und Asyleinzelfallbearbeitung in Betracht. Nach einem Online-Vorstellungsgespräch mit meinen zukünftigen Ausbilderinnen – beides Volljuristinnen – kam auch schon die Zusage.

Arbeitsalltag in Pandemiezeiten – Räumlich isoliert, aber digital vernetzt

Wegen der noch bestehenden Einschränkungen musste ich während meiner Wahlstation vollständig aus dem Homeoffice arbeiten. Meine anfängliche Enttäuschung hierüber hatte sich nach kurzer Zeit vollständig aufgelöst. Meine Abteilung bei Amnesty International hatte während der Pandemie allmorgendliche Videocalls eingeführt, mit denen wir gemeinsam mit Yoga, Fragerunden und Geschichten in den Tag starteten und die mir schon nach kurzer Zeit das Gefühl gaben, alle zu kennen. Auch die Projektarbeit mit anderen Referendar*innen bzw. Praktikant*innen aus dem Team machte die Arbeit sehr angenehm.

Einblicke in die Asylpolitik und eigenständige Projektarbeit in der Wahlstation

Im Bereich der Asyleinzelfallbearbeitung gehörte beispielsweise die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Berufungszulassungsantrags in einem Asylverfahren zu meinen größeren Aufgaben in der Wahlstation. Der Schwerpunkt meiner Arbeit lag aber im Bereich Asylpolitik und stellte sich im Vergleich zu dem anderen Bereich als deutlich weniger juristisch dar. Dementsprechend halfen mir primär die durch mein Ehrenamt erworbenen Kenntnisse, schnell in die Materie einzusteigen. Mir wurden einige langfristige Projekte übertragen, wie die Vorbereitung eines Vortrags zum Thema „Menschenrechtliche Implikationen der Covid-19-Pandemie“. Im Wesentlichen aber – und hier lag aus meiner Sicht der wahre Wert der Wahlstation – habe ich viele kleine Aufgaben und Projekte übernommen, die innerhalb kürzester Zeit bearbeitet werden mussten.

Vorbereitung auf das Arbeitsleben – Zwischen Multitasking und Prioritätensetzung

In allen meinen vorangegangenen Stationen lief die Arbeit stets nach dem Schema ab: Aufgabe – Bearbeitung – neue Aufgabe. Das war bei Amnesty anders. Ich musste lernen, meine Aufgaben zu priorisieren, zu multitasken und besonders effizient zu arbeiten. Ich wurde in die alltäglichen, meist spontan anfallenden Aufgaben eingebunden, erstellte Pressemitteilungen, kurze Artikel und Briefings zu aktuellen Geschehnissen im Bereich der Asylpolitik, arbeitete an politischen Forderungspapieren, nahm an ad-hoc-Meetings mit den Amnesty-Abteilungen aus der ganzen Welt teil und schrieb Lobby-Briefe an die jeweils zuständigen Ministerien.

Leidenschaftliches Engagement trotz belastender Realität

Wegen der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, die in die Zeit meiner Wahlstation fiel, habe ich mich schließlich intensiv mit tatsächlichen und rechtlichen Fragen rund um die Evakuierung von Ortskräften befasst. Dass die Arbeit insofern auch sehr belastend sein kann, versteht sich von selbst. Das Engagement und die Begeisterung, die die Menschen bei Amnesty trotz der mitunter nur kleinen Erfolge und der teils sehr schrecklichen Situationen, mit denen sie bei der täglichen Arbeit zwangsläufig konfrontiert werden, an den Tag legten, hat mich sehr fasziniert und angesteckt.

Fazit

Rückblickend bin ich unendlich dankbar dafür, dass ich einen Beruf kennenlernen durfte, bei dem ich am Ende des Tages das Gefühl hatte, etwas Wichtiges getan zu haben und der mich gleichzeitig auf die mitunter stressige Arbeitsrealität vorbereitet hat. Für jede*n, der*die ein Interesse an den Arbeitsfeldern und der Arbeitsweise einer international tätigen Menschenrechtsorganisation hat und sich mit den Zielen von Amnesty International identifiziert, kann ich eine Wahlstation dort nur empfehlen.

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Du bist noch Studentin oder oder Student und möchtest ein Ehrenamt mit juristischem Bezug ausüben? Dann erfahre in diesem Beitrag mehr über die Refugee Law Clinic.

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Über die Autorin:

Lea Weiser
studierte Jura in Münster und engagierte sich während des Studiums in verschiedenen ehrenamtlichen Projekten. Nach einem Traineeship im Legal Service des Rates der Europäischen Union in Brüssel und dem Referendariat in Köln ist sie seit April 2022 in der Rechtsabteilung der Stadt Köln tätig.

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Dieser Beitrag wurde erstmals in der JuS 09/23 veröffentlicht.