Zwei Jahre Zwangsdigitalisierung

von Matthias Glahn

Die pandemiebedingt galoppierende digitale Transformation hat den Berufsstand der Steuerberater in kürzester Zeit radikal verändert. Innerhalb kürzester Zeit mussten in der Kanzlei und nach außen zum Mandanten hin die notwendigen Anpassungen vorgenommen werden.

So werden Herausforderungen zu Chancen

Eine der größten Herausforderungen war im ersten Schritt die eigenen Mitarbeiter technisch und auch mental darauf einzustellen, nicht mehr nur in der Kanzlei Mandate zu bearbeiten, sondern auch von zuhause aus. Keine leichte Herausforderung für alle Beteiligten. Glücklich konnten sich die Kanzleien schätzen, die ihre IT-Infrastruktur schon in der Vergangenheit bei Ihrem Systemhaus oder direkt beim Softwareanbieter gehostet haben.

Die sogenannten Cloud-/ASP-Dienste ermöglichen heute ein vollkommen ortsunabhängiges Arbeiten und im Worst Case reicht auch nur irgendeine Hardware mit Internetzugang, um sich am Kanzleiserver anzumelden. Die zweite große Herausforderung bestand darin, nun auch den letzten Mandanten dazu zu bewegen, seine Daten und Belege digital in der Kanzlei einzuliefern. Wer zu diesem Zeitpunkt bereits eine Mandantenplattform oder besser gesagt, eine Kanzlei-Cloud etabliert hatte, konnte diesen Prozess zumindest technisch smart skalieren.

Mit jedem einzelnen Mandanten zu sprechen und den digitalen Weg in die Kanzlei zu erklären, das kann leider keine IT-Lösung selbstständig übernehmen. Zu individuell sind da das einzelne Mandat und der Mensch dahinter. Dennoch bieten die modernen technischen Möglichkeiten, wie

• ein vollständig digitaler Belegaustausch über die Kanzlei-Cloud
• eine direkte Anbindung des Kanzlei-DMS-Systems
• eine in die Kanzleidatenbank integrierte Vorerfassung
• eine Kommunikationsmöglichkeit über Video-Call / Live-Chat-System

so entscheidende Vorteile, dass eine nie geahnte Akzeptanz dieser Techniken erreicht werden konnte.

Die Frage, die sich stellt: Was mache ich als Kanzleiinhaber nun aus diesen entstandenen Vorteilen?

Durch die enge Verzahnung der Wertschöpfungsketten zwischen Kanzlei und Mandant ergeben sich zwangsläufig neue Dienstleistungs- und auch Beratungsangebote an den Mandanten. Das fängt mit Zusatzdiensten wie dem Zahlungsverkehr oder dem Mahnwesen des Mandanten über die Kanzlei-Cloud an und geht weiter über ein schlankes Faktura-Programm, eine TSE-konforme Registrierkasse oder sogar bis zu einem vollwertigen ERP-System. Immer je nach Lösungsportfolio des Kanzleisoftwareanbieters!

Der Verkauf von Software ist zugegebenermaßen keine klassische Vorbehaltsaufgabe der Steuerberatung. Wichtiger ist daher die qualifizierte Beratung des Mandanten im Sinne einer umfassenden Digitalisierungsberatung. Dazu gehört grundlegend die strukturierte Prozessaufnahme, -analyse und -dokumentation beim Mandanten. Damit dieser bedient werden kann, ist es zwingend erforderlich, das notwendige Knowhow in die Kanzlei zu bekommen.

Eine Weiterbildung z.B. zum zertifizierten Digitalisierungsberater bildet hier einen guten Anfang. Mit diesem Schritt können auch viele andere und teils schon länger bei den Mandanten notleidende Themen aufgegriffen und abgeschlossen werden. Ist doch die allseits notwendige Verfahrensdokumentation bei einer strukturierten Herangehensweise in der Digitalisierungsberatung ein „Abfallprodukt“ der Prozessaufnahme.

Mit dem richtigen Softwaretool zur Unterstützung der Digitalisierungsberatung, ist ein Schritt in Richtung Compliance-System beim Mandanten, ein IKS und weiteres leicht zu realisieren.

Digitalisierung und das neue Potential für eine ausgeweitete Mitarbeiterakquise

Eine andere Perspektive und Chance: Die erweiterte und überregionale Mitarbeitersuche! Denn mit der heute bestehenden IT-Infrastruktur, sowie den mittlerweile erprobten Home-Office-Prozessen, steht dem bundesweiten Recruiting von Mitarbeitern nichts mehr im Wege. Mitarbeiter können quasi von jedem Ort der Welt für die Kanzlei tätig werden.

Das bietet Mitarbeitern die Chance, sich ohne Arbeitgeberwechsel z.B. regional zu verändern. Das ist für alle Beteiligten, insbesondere vor dem Hintergrund des andauernden Fachkräftemangels im Bereich der steuerberatenden Berufe, ein riesen Gewinn. So binden Sie nicht nur Ihre Mandanten, sondern auch Ihre Mitarbeiter an die Kanzlei!

 

Über den Autor:

Matthias Glahn
Geschäftsführer der BMD GmbH
in Hamburg