Arbeit in Online-Kanzleien – eine Chance für Juristen und Juristinnen in Zeiten von Corona

von Florian Rosing

Kaum ein Wirtschaftsbereich in Deutschland ist technisch so rückständig wie der Rechtsmarkt. Dass das beA als Meilenstein gefeiert werden muss und der BGH gleichzeitig auf einen Fristenkalender aus Papier beharrt, spricht Bände. Wer sich bisher nur halbherzig auf die E-Akte eingelassen hat, wurde vom Corona-Lockdown eiskalt erwischt. Einige Anwälte haben indes die Vorteile der digitalen Transformation frühzeitig erkannt und richten ihre tägliche Arbeit stringent daran aus. Vor allem Legal Tech-Kanzleien haben Methoden entwickelt, die Kanzleileben und Mandatsbearbeitung erheblich vereinfachen. Klassische Themen wie Dokumentenverwaltung und Kanzleimanagement, aber auch Online-Akquise und Automatisierungssoftware erschließen so neue Arbeitswelten.

Die Coronakrise: Stresstest und Chance

Mit dem ersten Corona-Lockdown Anfang 2020 wurde das öffentliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland weitestgehend lahmgelegt. Der Zwang zu Homeoffice und Video-Besprechungen wirkt indes als Katalysator für eine längst überfällige Modernisierung des Rechtsmarkts, der Generationenwechsel in der Anwaltschaft hat sich so nochmals beschleunigt. Das Arbeiten mit einer elektronischen Akte ist keine Option mehr – es ist zum notwendigen Standard geworden, genauso wie sich der Videocall endlich generationsübergreifend durchgesetzt hat. Dass sich die Richterschaft hier oft flexibel gezeigt hat, ist sehr zu begrüßen. Diese Entwicklung wird sich spätestens durch die disruptive Evolution der Legal Tech-Kanzleien fortsetzen und beschleunigen. Um die Unabhängigkeit der Anwaltschaft in ihrer Vielfalt zu erhalten und eine Monopolisierung durch einige wenige Online-Kanzleien zu verhindern, führt kein Weg an einer Auseinandersetzung mit der Digitalisierung vorbei. Papierakten sind wie Videotheken: ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Gerade für junge Juristen ist dies die Chance, den Rechtsmarkt als Digital Natives mitzugestalten.

Die Umstellung auf Legal Tech: Möglichkeiten erkennen

Die Arbeit als Online- und Legal Tech-Kanzlei bedeutet im Wesentlichen eine Konzentration auf den Kernbereich juristischen Denkens: Fallarbeit anhand komplexer Prüfungsschemata.

Die BRR Verbraucherkanzlei Baumeister Rosing hat den Wandel zur Online-Kanzlei bereits 2015 vollzogen. Das Ziel: Verbrauchern schnell und einfach barrierefreien Zugang zu ihrem Recht zu verschaffen. Dazu wurden alle Arbeitsabläufe einschließlich des Posteingangs digitalisiert, verschlankt und den Mitarbeitenden so die Konzentration auf ihre individuellen Fähigkeiten ermöglicht. Nicht zuletzt während der Corona-Krise hat sich diese Entscheidung ausgezahlt. Der gesamte Betrieb konnte an einem Wochen ende vollständig auf Homeoffice umgestellt werden. Der Weg hierhin war indes mit viel Arbeit verbunden.

»Wer macht wann was warum und gibt es an wen weiter?«

Im ersten Schritt haben wir uns den »Lebenszyklus« einzelner Mandate angesehen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet und so Mandatskategorien innerhalb einzelner Rechtsgebiete identifiziert. Mandate und damit verbundene Rechtsfragen wurden in Datenpunkte und Verfahrens schritte zerlegt und jeder Schritt durch akribische Arbeit in einen vollständigen Workflow.

Akquise

Diese akribische Vorarbeit ermöglicht es, Anfragen bereits bei der Akquise zu kanalisieren. Mit wenigen Klicks können Mandanten ihre Daten online an die Kanzlei übermitteln. Durch deutsche Server und strenge DSGVO-Vorgaben wird dabei auch dem Datenschutz Rechnung getragen. Das System erkennt, welche Fallgruppe einschlägig ist, welche Unterlagen noch nicht hochgeladen und welche Fragen noch nicht beantwortet wurden. Durch automatisierte E-Mails wird innerhalb von Minuten ein erster Kontakt zum Mandanten hergestellt und die nächsten Verfahrensschritte individuell erklärt. Neben einer schnelleren und effizienteren Mandatierung hat dies vor allem eine hohe Mandantenzufriedenheit zur Folge.

Arbeitsalltag

Ähnlich verläuft es in der konkreten Fallbearbeitung. Anhand der überprüften Daten aus der Akquise liefert unsere Software für jedes Man dat in jedem Rechtsgebiet für jeden Verfahrensschritt individualisierte Textbausteine und Arbeitshilfen. Einfache Datenpunkte werden ebenso leicht in den Text eingefügt wie komplexe Berechnungen und »Wenn-dann-Beziehungen«. Um schwierige Fälle zu prüfen, können mehrere Bearbeiter zeit gleich auf eine Akte zugreifen und – gerade zur Zeit des Lockdowns – sich ortsunabhängig gemeinsam im Chat oder Videocall austauschen. Der Postversand erfolgt per beA, digitalem Fax oder klassisch per Papierpost – wobei der Versand durch den Scan eines Bar-Codes auf den Schriftstücken unmittelbar in der Software registriert wird.

Die zentrale Auswertung dieser digitalen Daten ermöglicht schließlich ein effektives Qualitätsmanagement und eine zentrale Fristen- und Arbeitsplanung. Teamübergreifende, anonyme Übersichten zu Erledigungszahlen und Verfahrensschritten sichern so nicht nur die Einhaltung juristischer Standards, auch die Wirtschaftlichkeit der Fallbearbeitung insgesamt wird analysierbar. Durch umfangreiche anonymisierte Datenbanken zu Fallarten, Klageanträgen, Gerichten und einzelnen Spruchkörpern können für Mandanten bundesweit Erfolgswahrscheinlichkeiten exakter berechnet werden

Jenseits der konkreten Fallbearbeitung hat der Lockdown schließlich auch die Digitalisierung der Kanzleiverwaltung vorangetrieben. Während Anwälte und leitende Angestellte nach wie vor noch zu persönlichen Gesprächen geladen werden, haben neue Mitarbeitende teilweise die Kanzleiräume noch nie von innen gesehen. Diese neuen Teammitglieder dennoch in die bestehenden sozialen Strukturen einzubinden, inspiriert aber auch zu neu en Wegen des sozialen Miteinanders. Statt des gemeinsamen Barbecues auf der Dachterrasse bot besonders im Corona-Sommer 2020 das Freitag-Feierabend-Online-Meeting mit »Sundowner« und bis zu 30 TeilnehmernInnen eine schöne Abwechslung vom Heimbüro-Alltag.

Fazit

Selbstverständlich kann die Digitalisierung nicht für jede Kanzlei gleich verlaufen. Viele Mandanten benötigen eine intensive persönliche Betreuung, sei es im Familien-, Sozial- oder auch im Wirtschafts- oder Strafrecht. Die Rolle des rechtlichen Seelsorgers oder komplexen Beraters kann keine Automatisierung übernehmen. Jede Kanzlei sollte indes prüfen, wo Digitalisierung die persönliche Arbeit erleichtern kann – und sei es nur die Einrichtung eines digitalen Faxgeräts. Sonst geht es den Anwälten eines Tages wie den Videotheken..

 

Über den Autor:

Florian Rosing
Partner der BRR Verbraucherkanzlei
Baumeister Rosing und Gründer des Legal
Tech-Softwareentwicklers Legislayer GmbH
sowie des Kanzleidienstleisters Rosenmeister
LegalTech GmbH.