Welche Soft Skills benötigt man als Anwalt?

Interview mit Dr. Klara Pototzky und Dr. Ulrich Spiegel

BECK Stellenmarkt-Autorin Veronika Gebertshammer hat sich mit Dr. Klara Pototzky, Senior Associate bei Taylor Wessing, und Dr. Ulrich Spiegel, Associate bei Taylor Wessing, über die Bedeutung von Soft Skills in ihrem jeweiligen Rechtsgebiet unterhalten. Welche Soft-Skills sie in ihrer täglichen Arbeit verwenden, erfahren Sie in diesem Interview.    

Frau Dr. Pototzky, Herr Dr. Spiegel, möchten Sie uns von Ihrem Arbeitsalltag in Ihrem jeweiligen Rechtsgebiet erzählen?    

Dr. Klara Pototzky:  
Ich bin Senior Associate in der Praxisgruppe Employment, Pensions and Mobility von Taylor Wessing. Das heißt, ich berate Unternehmen und Führungskräfte in nahezu der gesamten Bandbreite des Arbeitsrechts, sowohl im Individualarbeitsrecht als auch im Kollektivarbeitsrecht. Neben der klassischen Arbeitsrechtsberatung und Prozessführung liegt mein Schwerpunkt in der arbeitsrechtlichen Betreuung von M&A-Transaktionen, größeren Restrukturierungen und Sanierungen.  

An einem mehr oder weniger typischen Arbeitsalltag wenden sich Geschäftsführer:innen, Personalleiter:innen oder Kolleg:innen telefonisch oder per E-Mail an mich und schildern mir ihr Anliegen. Ich schreibe also E-Mails, führe Videokonferenzen und entwerfe angefragte Dokumente, wie beispielsweise einen Arbeitsvertrag oder eine Betriebsvereinbarung. Bei einem Rechtsstreit habe ich Termine vor dem Arbeits- oder Landgericht, schreibe Schriftsätze und führe Vergleichsverhandlungen mit gegnerischen Kolleg:innen. Bei größeren Projekten arbeiten wir bei Taylor Wessing in fachbereichsübergreifenden Teams. Hier beantworte ich viele Fragen, sichte Dokumente, überarbeite Verträge und diskutiere mit der Gegenseite. Dazu flankierend führen wir regelmäßig Verhandlungen mit Betriebsräten oder Gewerkschaften.  

Jeder Tag ist anders und kann sich kurzfristig verändern. Die Vielzahl der Aufgaben macht es schön abwechslungsreich.    

Dr. Ulrich Spiegel:  
Ich arbeite seit etwas mehr als zweieinhalb Jahren in der Praxisgruppe Commercial Agreements & Distribution und fokussiere mich auf die vertriebsbezogene Product Compliance. Sprich: Welche Anforderungen müssen Hersteller, Importeure, Händler und andere Personen erfüllen, damit sie ihre Produkte im Europäischen Wirtschaftsraum vermarkten dürfen. Aus Sicht der „klassischen“ Abgrenzung fungiere ich damit als Bindeglied zwischen dem zivilrechtlich geprägten Handelsrecht und dem europarechtlich geprägten Produktrecht.  

Einen Arbeitsalltag, im Sinne sich ständig wiederholender Abläufe, habe ich zum Glück nicht. Am ehesten finden sich solche Abläufe noch in meinem selbst gelegten frühen Arbeitsbeginn: Ich fange gegen 8 Uhr an. Die Ruhe am Morgen im Büro und noch etwas vom Abend zu haben, treiben mich früh an die Arbeit. Ansonsten verlaufen die Tage unterschiedlich: In einer Woche grabe ich mich tagelang in komplexe Vertriebssysteme ein und erstelle die entsprechenden Verträge in enger Abstimmung mit meinen Kolleg:innen und den Mandant:innen. Die nächste Woche kann davon gekennzeichnet sein, dass ich mich mit unseren Mandant:innen zu möglichen Product Compliance Herausforderungen bespreche, einen Workshop vorbereite oder Auswärtstermine wahrnehme. Dazwischen erreichen mich immer mal wieder Anfragen von besonderer Dringlichkeit, etwa wenn von einem Produkt unserer Mandant:innen ein vermeintliches Risiko ausgeht und in der Krisensituation schnelle Hilfe nötig ist, um Schäden abzuwenden.    

Das klingt nach abwechslungsreichen und spannenden Tätigkeiten. Sicherlich benötigt man in Ihren Positionen verschiedene Soft Skills. Sind diese denn für den Anwaltsberuf essentiell oder nur nice-to-have?  

Dr. Ulrich Spiegel:  
Essentiell. Universität (und immer noch zu häufig erst das Repetitorium) sowie Referendariat statten spätere Anwält:innen mit dem Rüstzeug aus, juristische Aufgabenstellungen bewältigen zu können bzw. zu wissen, wie man sich eine Lösung erarbeiten kann. Soft Skills sind für mich dann der „Adapter“ der die juristischen Fähigkeiten mit den Bedürfnissen unserer Mandant:innen zusammenbringt. Die berüchtigte anwaltliche Subsumtionsmaschine wird die Mandant:innen regelmäßig ratlos zurücklassen. Die Soft Skills sind daher Voraussetzung, wirklich zu verstehen, wie man den Mandant:innen helfen kann.    

Dr. Klara Pototzky:  
Da kann ich Ulrich nur zustimmen. Ein erfolgreicher Anwalt oder Anwältin braucht ein hohes Maß an Soft Skills. Vielleicht könnte man ohne Soft Skills als reiner „Schreibtischtäter“, der im Hinterzimmer für sich allein arbeitet, durchkommen. Dies entspricht jedoch nicht meinen Erfahrungen. Bei Taylor Wessing ist man schon kurz nach dem Eintritt in Kontakt mit Mandant:innen und beschäftigt sich täglich mit neuen, spannenden Herausforderungen.      

Welche Soft Skills benötigen Sie denn in Ihrer täglichen Arbeit?  

Dr. Ulrich Spiegel:  
Neugier und Einfühlungsvermögen sind bei uns gefragt.  Zum einen Neugier. Herausforderungen, welche die Product Compliance mit sich bringt, lassen sich nicht allein mit den „klassischen“ juristischen Arbeitsweisen bewältigen. Ein Beispiel: Eine Behörde, die an einer komplexen Maschine etwas zu beanstanden hat, kann dies aufgrund produktsicherheitsrechtlicher Vorschriften tun. Um zu verstehen, ob die Behörde die Maschine aber auch wirklich zurecht beanstandet, muss ich Funktionsweise, Aufbau und weitere technische Zusammenhänge hinreichend verstehen. Juristische Hard Skills – etwa Kommentare und Rechtsprechung auszuwerten – führen hier nur selten zum Ziel. Es kommt schon mal vor, dass ich den technischen Mitarbeiter:innen bei unseren Mandant:innen die sprichwörtlichen Löcher in den Bauch frage. Es ist Neugier, die hilft, den Sachverhalt auch aus technischer Sicht hinreichend zu begreifen.  

Zum anderen Einfühlungsvermögen. Häufig darf ich mit Mandant:innen zusammenarbeiten, die zwar eine vage Vorstellung von ihrem Ziel haben („ich möchte mein Produkt vertreiben“), aber nicht wissen, wie sie dahin kommen bzw. welche Möglichkeiten ihnen eigentlich dafür zur Verfügung stehen. Da hilft es nun nichts, wenn ich ihnen juristische Fachwörter an den Kopf werfe. Um meinen Mandant:innen bestmöglich helfen zu können, versuche ich durch gezielte Fragen, die Wünsche und Vorstellungen herauszuarbeiten und in den juristischen Kontext zu stellen. Häufig entwickelt sich erst im Gespräch mit unseren Mandant:innen die Idee, wie etwa ein Vertriebskonzept aussehen soll.    

Dr. Klara Pototzky:  
Da hast du Recht, Ulrich. Zum einen braucht man auch in meinem Bereich eine große Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere und deren Ziele hineinversetzen zu können und sich auf diese einzulassen. Man hat viel mit Menschen zu tun, sowohl von innerhalb als auch von außerhalb der Kanzlei und jede:r Ansprechpartner:in ist anders. Ich muss mich auf meine Mandant:innen einstellen und sie verstehen, um sie gut beraten zu können. Zudem arbeiten wir regelmäßig im Team. Auch hier kommt es darauf an, dass ich teamfähig bin und mit meinen Kolleg:innen gut zusammenarbeiten kann. Ich empfinde Empathie immer wieder als den entscheidenden Schlüssel.  

Zum anderen ist in meinem Beruf ein gutes Maß an Flexibilität und Improvisationstalent förderlich. Egal ob bei einer Gerichtsverhandlung, bei der immer etwas Unvorhergesehenes passieren kann, oder ob es Mandant:innen sind, die anrufen und einen spontanen Ratschlag möchten, wie diese mit einer schwierigen Situation im HR-Bereich umgehen sollen: Es ist immer wieder etwas Neues. Hier hilft Erfahrung und Kreativität zur Problemlösung.      

Dem Weltwirtschaftsforum zufolge werden zu den „wichtigsten Soft Skills im Jahr 2025“ neben analytischem Denken auch Eigenschaften wie Kreativität, Sozialkompetenz und Resilienz zählen. Wie stehen Sie hierzu?  

Dr. Klara Pototzky:  
Ich benötige sicherlich alle diese Soft Skills immer wieder. Analytisches Denken zum Beispiel trifft die Arbeitsweise eines/einer Anwalts/Anwältin ziemlich gut. Ich muss das Problem zunächst einmal erfassen. Anders als im Studium oder Referendariat bekomme ich keinen vorformulierten Sachverhalt, sondern muss mir meine Informationen erst zusammensuchen und erfragen. Im nächsten Schritt analysiere ich die Situation und arbeite die entstehenden Rechtsfragen heraus, bevor ich mich an eine Lösung machen kann. Am Ende dieses Prozesses steht meine Empfehlung für den/die Mandant:in. Aus einer vermeintlich einfachen Frage („muss ich hier irgendwas beachten?“) wird eine komplexe Angelegenheit, bei der man den Durchblick behalten muss.  

Lassen Sie mich aber auch auf den Punkt Resilienz eingehen: Als Anwalt oder Anwältin kann man auch einen gewissen „Verantwortungsdruck“ spüren. Mandant:innen möchten sich auf unseren Rechtsrat und unsere Empfehlungen verlassen können und danach handeln. Dies ist im Arbeitsrecht gar nicht immer so einfach, weil die Fragen der Mandant:innen rechtlich nicht immer eindeutig beantwortet werden können und vieles einzelfallabhängig ist. Auch mit Druck und stressigen Situationen muss man umgehen können. Dies erfordert schon eine gewisse Belastbarkeit. Hier hilft aber auch die Erfahrung, die mit der Zeit kommt, und die Sicherheit, dass man bei Taylor Wessing nicht auf sich allein gestellt ist.    

Dr. Ulrich Spiegel:  
Die vorgenannten Skills treffen meine tägliche Arbeit schon sehr gut. Ich meine, „analytisches Denken“ und „Resilienz“ sind notwendige Skills für die meisten Anwält:innen. Probleme zu erkennen und zu lösen ist schlicht Teil der essentiellen Aufgabenbeschreibung von Jurist:innen. Resilienz, insbesondere im Zusammenhang mit unserem Verantwortungsdruck, ist ein wichtiger Wegbegleiter.  

Meine Arbeit erfordert dann zusätzlich ein hohes Maß an Kreativität und Sozialkompetenz.  Kreativität ist nötig, um den/die oben schon beschriebene(n) Mandant:in zu beraten, der/die eine vage Vorstellung von ihren Wünschen (etwa: dem Aufbau eines Vertriebssystems) hat, aber noch nicht weiß, wie er/sie es umzusetzen wünscht. Ich freue mich immer wieder sehr, wenn ich gemeinsam mit Mandant:innen „auf der grünen Wiese“ ein Vertriebssystem etablieren oder anpassen darf: Vertriebsstrukturen gemeinsam zu entwickeln (etwa als Mindmap) und dann in Dokumentenform (etwa Kooperationsverträge, Vertragshändlerverträge etc.) zu gießen, ist ein kreativer Schaffensprozess in Reinform.

Bezüglich der Sozialkompetenz: Wir Jurist:innen entwickeln im Laufe unserer Ausbildung unsere eigene Sprache und Denkweise. Sprache und Denken äußern sich im Umgang mit unseren Mitmenschen. Vor diesem Hintergrund könnten wir nun darüber diskutieren, ob Sozialkompetenzen (etwa Dialogfähigkeit) etwas sind, was wir Jurist:innen im Umgang mit unseren Mitmenschen erst wieder lernen müssen. Schließlich übersetzen wir „Jura“ in die Sprache, in der unsere Mandant:innen kommunizieren. Dies gilt bei meinem Schwerpunkt im Besonderen: Ich kommuniziere regelmäßig mit Mitarbeiter:innen aus den Bereichen Technik, Qualität, Forschung und Entwicklung, Exportkontrolle, Steuer – eben nicht nur mit den Mitarbeiter:innen einer Rechtsabteilung. Insofern achte ich besonders darauf, mich verständlich auszudrücken. Der Begriff Vindikationslage ist herrlich prägnant. Gesprächspartner:innen ohne juristischen Hintergrund ließe ich damit aber regelmäßig „im Regen stehen“.      

„Soft Skills hat man – oder man hat sie nicht.“ Das ist eine Aussage, die man oft hört. Wie haben Sie denn Ihre Soft Skills entwickelt?    

Dr. Klara Pototzky:  
Der Berufsstart fällt einem sicher leichter, je mehr Soft Skills man bereits mitbringt. Es ist aber auch völlig normal und wichtig, sich hier noch weiterzuentwickeln. Zu Beginn war auch ich es aus der Zeit des Studiums und Referendariats nicht so stark gewohnt, im Team zu arbeiten, zu kommunizieren, flexibel und spontan auf neue Anforderungen zu reagieren oder Projekte zu organisieren. Den Umgang mit Mandant:innen muss fast jede:r erst einmal lernen. Hierfür bekommt man bei Taylor Wessing aber auch die Zeit, die nötige Unterstützung und kann sich von den erfahrenen Partner:innen und Kolleg:innen viel abschauen. Ich bin sehr dankbar, dass man in unserem Team immer fragen kann und zu Verhandlungen oder in Meetings mitgenommen wird. Dadurch lernt man extrem viel. Mittlerweile unterstütze ich selbst die nächste Generation der neu anfangenden Associates, Referendar:innen und Wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und gebe als Mentorin weiter, was ich gelernt habe. Ich glaube aber auch, dass wir Jurist:innen gewisse Soft Skills, wie Belastbarkeit, Konzentrationsfähigkeit, Motivation, strukturierte Arbeitsweise, Selbständigkeit und Zielorientiertheit, bereits durch unsere lange und zehrende Ausbildung mitbringen. Dies ist ein echter Pluspunkt, der uns Jurist:innen auszeichnet.

Dr. Ulrich Spiegel:  
Allgemein spielt die „Realität“ in der juristischen Ausbildung eine (zu) untergeordnete Rolle. Das ist zumindest an der Universität noch verständlich – Inhalt des Studiums ist das Recht als Wissenschaft. Im Rahmen des Referendariats wünsche ich mir eine stärkere Förderung von Soft Skills. Wie in jedem anderen Bereich auch, gibt es Naturtalente, aber auch Bereiche, die sich Einzelnen nicht erschließen wollen. Ich bin überzeugt, dass jede angehende Anwältin, jeder angehende Anwalt, das für unseren Beruf notwendige Soft Skill Set „on the job“ lernen kann. Viele meiner Soft Skills habe ich in meiner im Studium begleitenden Rettungsdiensttätigkeit sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kanzleiwelt gelernt. Seit meinem Berufsstart kam noch das zuvor genannte Training „on the job“ hinzu – das bei Taylor Wessing übrigens durch verschiedene Kurse gefördert wird, etwa im Rahmen unseres Taylor Wessing „RISE“-Programms.      

Vielen Dank für das Gespräch!      

 

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Über die Interviewpartner:

Dr. Klara Pototzky  
Senior Associate in der Praxisgruppe Employment, Pensions and Mobility bei Taylor Wessing.

Dr. Ulrich Spiegel  
Associate in der Praxisgruppe Commercial Agreements & Distribution bei Taylor Wessing.

Das Interview führte:

Veronika Gebertshammer 
Texterin, Lektorin, Schreibcoach 
https://www.veronika-gebertshammer.de/