Millennials haben Kanzleien entweder verändert oder verlassen

von Chan-jo Jun

Reichtum oder Hundeschlittenführer? Es war der letzte Seminartag in einem Fünf-Sterne-Hotel. Der Kollege von der Großkanzlei hatte sich sein Weinglas erneut auffüllen lassen und empfahl: „Machen Sie es doch bis zum Rand voll, dann müssen Sie nicht so oft laufen“. Am Tisch geht es um den „War for Talents“.

Dass freche Kandidaten gleich in der ersten Runde nach ihren Arbeitszeiten und Urlaubsansprüchen fragen, daran haben wir uns schon gewöhnt. Jetzt kommt noch hinzu, dass auch die vorhandenen Associates, darunter auch jene Leistungsträger, die man mit Partneraussicht noch einige Jahre halten wollte, eigenartige Allüren an den Tag legen.

„Da kündigt ein junger Anwalt und erklärt, er wolle jetzt Richter werden“ berichtet ein inzwischen weinloser Kollege. „Willst du denn nicht reich werden, habe ich ihn gefragt“. Der Associate habe abgewunken und auf bereits reiche Eltern verwiesen. Schulterzucken am Tisch. Was will man mit dieser Generation anfangen, die Aussicht auf Reichtum in den Wind schlägt und Hundeschlittenführer in Lappland werden wollen.

Veränderte Spielregen und das Versprechen von geregelten Arbeitszeiten

Kanzleien jeder Größe haben auf die veränderten Spielregeln reagiert. Am Anfang stand das Wort bei den legendären Absolventenabendessen. Bei denen die sympathischen jungen Kollegen gegenüber Studenten von fantastischen Herausforderungen und gar nicht so schlimmen Arbeitszeiten erzählten, nur um sich um 22 Uhr doch noch für einen dringenden Call ins Hotel zurückzuziehen, was als wahre oder lediglich passende Anekdote unter Studierenden noch jahrelang kursiert.

Mag sein, dass Großkanzleien mit ihren auch am Wochenende anspruchsvollen Mandanten an Grenzen des Geschäftsmodells gelangen, wenn es um das glaubwürdige Versprechen einer 40-Stunden-Woche geht. Diese verlangt jedoch auch kaum ein Bewerber der nach dem Examen in den Beruf einsteigen will. Das riesige Gap zwischen Erwartung und Angebot lässt sich ohne Mühe überzeichnen, wenn man es bloß darauf anlegt, Kopfschütteln zu provozieren und das Ausloten einer Kompromisslinie vermeiden will.

Frühzeitiges Überdenken ebnet den Weg

Natürlich reichen platte Slogans im Recruiting nicht mehr aus, da Bewerberinnen und Bewerber jeden Grund haben, ihnen zu misstrauen. Wer jedoch vor fünf bis zehn Jahren ernsthaft seine Beschäftigungsmodelle hinterfragt hat, kann heute bereits eine Generation von Führungskräften präsentieren, die genau das vorleben, was Millennials von ihrem Beruf erwarten: Wirksamkeit, Wertschätzung, Work-Life-Balance und das bei einem angemessenen Gehalt pro Arbeitsstunde.

Wenn zwei Associates bisher 250 billable Hours im Monat produziert haben, lässt sich das bei gleichem Gesamtgehalt auch auf drei Anwälte und Anwältinnen verteilen. Kostenneutral sind auch Sabbaticals und unbezahlte Urlaubstage, die sich bei projektbezogener Arbeit oder größeren Teams leichter darstellen lassen. Der Umstand, dass man dann ja noch mehr Personal braucht, ist entweder – je nach Sichtweise – ein Teil des Problems oder ein Teil der Lösung.

Das richtige Mischungsverhältnis ist wichtig

Bei Arbeitszeiten hat man einen plausiblen Maßstab. Wenn es um die richtige Balance zwischen spezialisierter Routine vs. neuen Herausforderungen oder eigenständigem Arbeiten vs. engmaschiger Betreuung geht, ist das richtige Mischungsverhältnis von subjektiven Vorlieben abhängig. Diese kennt der Kandidat oder die Kandidatin aber meist selbst noch nicht. Da glaubt einer, er arbeite gerne mit Menschen, insbesondere Mandanten, sehnt sich dann jedoch nach einiger Zeit nach einem ruhigen Schreibtisch mit dicken Akten.

Das richtige Mischungsverhältnis muss nicht punktgenau getroffen werden, es reicht schon, die Extrempole zu vermeiden. Die Mindestdosis für Anerkennung, neue Herausforderungen oder moralischen Sinn müssen möglicherweise gar nicht täglich bedient werden, wenn sie jedoch über Monate ausbleiben, kann das einen Anreiz für einen Jobwechsel darstellen. Das gleiche gilt für jene Störfaktoren, die man vermeiden will. Kein Jurist stellt in Frage, dass für die Telefonkonferenz mit der US-Westküste der Feierabend auch einmal verschoben werden muss.

Millennials als Hedonisten?

Millennials wurden anfangs häufig als Hedonisten missverstanden, die wegen ihres Bedürfnisses nach Wirksamkeit nicht leistungsbereit seien. Das ist Unsinn. Wollte man überhaupt verallgemeinern, käme man genau zu dem gegenteiligen Ergebnis. Die Generation Instagram steht unter immensen Druck, selbstgesteckte und aufoktroyierte Zielvorgaben in ein einziges Bild zu pressen. Auch wir haben junge Kolleginnen erlebt, die mit dem Job gleich das ganze Jurastudium hingeworfen haben, weil ihnen der Kampf gegen Hasskriminalität vom Schreibtisch aus sinnlos erschien gegenüber einem Engagement in Moria oder wenigstens im Hambacher Forst.

Man kann jetzt hinterfragen, ob der dann gewählte Weg über das Politologie- Studium effektiver zum Erfolg führt. Der bequemere Weg ist er jedoch nicht. Mag sein, dass die jungen Kolleginnen einen Yoga-Kurs um 18 Uhr belegen, am nächsten Tag wissen sie aber trotzdem, was die Kanzlei über Rassismus gegen Deutsche herausgefunden hat – sei es auch über unseren YouTube-Kanal.

 

Über den Autor:

Chan-jo Jun
Gründer, Rechtsanwalt und
Fachanwalt für IT-Recht