Spezialisierung als Litigator – Was zeichnet den Anwaltsberuf im Rechtsgebiet Litigation aus?

Zwei Frauen stehen in einem Gerichtssaal einem Richter gegenüber, mit dem sie diskutieren
von Katrin Hanschitz

Anwältinnen und Anwälte, die sich auf Litigation spezialisiert haben, arbeiten meist international im Bereich großvolumiger Konflikte. Kern ihrer Tätigkeit ist die Vertretung der Mandantschaft vor Gericht. Tatsächlich gehört noch viel mehr dazu: Im Idealfall werden Litigators hinzugezogen, bevor es zu einem Gerichtsprozess kommt. Ein guter Litigator analysiert den Disput umfassend auf die jeweiligen Stärken der Rechts- und Sachposition des Mandanten und klopft ebenso umfassend alle offenen Flanken ab; das kann auch eine Internal Investigation beim Mandanten sein.

Daran schließt die taktische und strategische Überlegung, was genau die Ziele des Mandanten sind und wie man sie am effektivsten erreichen kann. Den Gerichtsweg zu beschreiten, ist oft die Ultima Ratio; kreative Problemlösungsansätze bieten Mandanten oft weitaus bessere Ergebnisse. Jeder Schritt muss aber so gewählt werden, dass der Mandant im Ernstfall vor Gericht reüssiert. Ist man in letzter Instanz siegreich, geht es um die Umsetzung des Erfolgs, einschließlich Asset Tracing und Vollstreckung, im schlimmsten Fall um Insolvenzszenarien.

Was ist am Rechtsgebiet Litigation besonders spannend?

Als Vertragsjuristin im Bereich Banking and Finance und Corporate/M&A – ebenso als Syndikus in der Rechtsabteilung einer Bank und im Bereich des Verwaltungsrechts – habe ich vor allem zu Beginn meiner Karriere einiges ausprobiert. Jeder Bereich hat seinen eigenen Reiz.

Bei High-End-Litigation bin ich aus dem schlichten Grund hängengeblieben, weil es mir am meisten Spaß macht. Ein großes Gerichtsverfahren ist für alle aufregend. Menschliche Emotionen und Eigenheiten spielen eine genauso große Rolle wie Fakten und juristische Argumente. Beim Arbeiten an Streitfällen mit hohem Streitwert und diffizilen Unternehmenskonflikten hat man den Luxus, sich in den Fall besonders vertiefen zu können, sowohl rechtlich als auch bei der Sachverhaltsaufarbeitung. Taktik und Strategie werden im Team und mit dem Mandanten besprochen. In den Schriftsätzen werden die Ergebnisse der rechtlichen und faktischen Untersuchungen zu einer schlüssigen und überzeugenden Story zusammengefügt und dann vor Gericht präsentiert. Detektivischer Spürsinn, Geschicklichkeit und Hartnäckigkeit werden letztlich im Urteil belohnt.

Litigation ist damit die perfekte Mischung aus Schreibtischtätigkeit und Auftritt – beim Mandanten, im Gerichtssaal, im Gespräch mit Zeugen und Behörden. Tägliche Routine und Alltag gibt es für Litigators kaum. Auch inhaltlich ist die Palette sehr bunt, so dass man bei jeder Causa etwas Neues dazulernt. Ich arbeite momentan an Konflikten in der Bauwirtschaft und im Bereich Social Media sowie für Energiekonzerne und Unternehmen in der Papierindustrie. Inhaltlich geht es um Datenschutz, B2B, B2C, Schadenersatz, Gewährleistung, Post-M & A Disputes, Insolvenzrecht, Asset Tracing und Vollstreckung, Betrug und Untreue, geografisch um Vorfälle in Deutschland, Liechtenstein, Irland und Großbritannien, Russland, USA, Indien, Brasilien, Singapur, Zypern und Österreich. Bei der nächsten Causa wird es wieder um neue Unternehmensbereiche gehen mit neuen kniffligen Rechtsfragen und Sonderkonstellationen.

Gibt es einen Wehrmutstropfen?

Wiederholungsgeschäft gibt es im Regelfall nur in der Zusammenarbeit mit internationalen Kanzleien. Die Mandanten selbst freuen sich selten auf ein Wiedersehen mit ihrem Streitanwalt in einer neuen Causa, selbst wenn der Erfolg im letzten Streitfall noch so groß war. Das macht die Akquisition etwas herausfordernder als im klassischen Anwaltsgeschäft.

Welche Eigenschaften sollte eine Anwältin oder ein Anwalt für Litigation mitbringen?

Die klassischen Anwaltstugenden – dazu gehören Empathie, scharfer Verstand, Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein, Verhandlungsgeschick und juristische Begabung – sind der Grundstock. Weil man als Litigator oft international tätig ist, wird regelmäßig verhandlungssicheres Englisch vorausgesetzt. Ausgezeichnete High-End-Litigators sind in der Regel Menschen, die gut mit Druck zurechtkommen, die die Sprache lieben, gerne Geschichten erzählen und die keine Scheu haben, in jeder Situation für ihre Mandanten einzutreten.

Die „Königsdisziplin“ bei Litigation ist die Gerichtsverhandlung. Weil es dort immer wieder überraschende Wendungen gibt, müssen Litigators rasch und flexibel reagieren können. In der Verhandlung ist – neben der perfekten Vorbereitung – Multitasking gefragt: Während ein Zeuge aussagt, muss man auf die richtige Protokollierung seiner Aussage achten, dessen Aussage mit Aussagen früherer Zeugen und Urkunden vergleichen, die nächste Frage und Fragetaktik überlegen und die Auswirkung der Aussage auf den eigenen und gegnerischen Rechtsstandpunkt einschätzen. Währenddessen beobachtet man genau, was wie beim Richter/bei der Richterin ankommt, um darauf reagieren zu können. Neues Vorbringen der Gegenseite in der Verhandlung muss rechtlich und inhaltlich analysiert, ggf. die Prozessstrategie angepasst und darauf – im Idealfall mit passenden Beweisanboten und ggf. Rechtsausführungen – repliziert werden. Das alles geschieht unter Zeitdruck und auf „offener Bühne“. Wer solche Herausforderungen liebt, bringt gute Voraussetzungen mit 

Es gibt nicht „den“ richtigen Weg, Litigator zu werden.

Zu uns kommen Juristinnen und Juristen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Assistenten und Universitätsprofessoren aus den Fächern (Internationales) Zivil- und Zivilverfahrensrecht, Handelsrecht und Insolvenzrecht gehören dazu. Der Wechsel von Litigation-Kanzleien zu Gericht oder umgekehrt ist nicht selten. Einige der jüngeren Kolleginnen und Kollegen kommen aus kleineren „Wald- und Wiesenkanzleien“ oder haben beim Schnuppern in der Litigation-Abteilung in Großkanzleien ihre Begeisterung für Dispute Resolution entdeckt. Wer sich für Strafrecht interessiert und aus dieser Ecke kommt, passt perfekt für die Schnittstelle zwischen White-Collar-Crime und Zivilrecht. Der Weg kann auch über Auslandseinsätze – z. B. bei EU-Instanzen – in eine Litigation-Kanzlei führen.

Litigator zu werden ist aber ein lebenslanger Prozess. Dabei geht es nicht nur um das Einarbeiten in neue Rechts- oder Geschäftsbereiche oder das Einstellen auf neue Mandanten und unterschiedliche Richterinnen und Richter. Kritische Soft Skills müssen laufend dazu gelernt werden und die „Trickkiste“ um neue Fähigkeiten erweitert werden. In Gerichtsverfahren lernt man laufend von den anderen Beteiligten, auch von der Prozessgegenseite. Der Blick über den Tellerrand in internationale Vereinigungen wie die International Bar Association oder AIJA International Association of Young Lawyers bringt frischen Wind und neue Ideen.

Wer bereits im Jurastudium meint, dass Litigation als Berufsweg in Frage kommt, dem lege ich die (internationalen) Moot Court Angebote der jeweiligen Universität ans Herz. Beim Durchfechten fiktiver Gerichtsverfahren am Moot Court kann man bestens testen, ob Litigation Spaß macht und ob man sich dafür eignet. Wer dabei Feuer fängt, hat schon den ersten Schritt auf die Berufsleiter des Litigators gesetzt.

 

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Über die Autorin:

Katrin Hanschitz - Gründungspartnerin der Kanzlei KNOETZL , Lead-Litigator Hanschitz vertritt multinationale Unternehmen aus den Branchen Banking & Finance, Immobilien/Bau, (erneuerbare) Energien und Life Sciences in hochkomplexen Wirtschaftsstreitigkeiten. Als Co-Chair des International Litigation Committee der American Bar Association ist sie international bestens vernetzt.