Frau Lingier, was begeistert Sie gerade am Steuerrecht?
Das Steuerrecht entwickelt sich permanent fort – und ist gerade deshalb so spannend und vielseitig. Davon konnte ich mich bereits in Kursen während meines Bachelors im Fach Europarecht überzeugen. Sie gaben den Impuls, mich im Masterstudiengang „International and European Tax Law“ einzuschreiben.
Steuerliche Strukturen und das Management steuerlicher Risiken sind essentiell für den Erfolg von Unternehmen. Durch laufende Gesetzesänderungen und Anpassungen des Steuerrechts bin ich als Steuerberaterin täglich mit neuen Herausforderungen konfrontiert.
Vor allem die wachsende Internationalisierung des Steuerrechts durch Maßnahmen der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und Harmonisierungsmaßnahmen der EU machen das Steuerrecht noch interessanter.
Meine Aufgaben wechseln täglich und durch die internationale Arbeit kann ich meine Begeisterung für das Steuerrecht mit meinen Sprachkenntnissen, vor allem Englisch und Französisch, kombinieren – gerade, wenn ich internationale Unternehmen in Sachen Verrechnungspreise berate.
Sie sind Steuerberaterin, kommen aus einer WP-Gesellschaft. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit von der Ihrer Anwaltskolleginnen und -kollegen? Und welche Möglichkeiten haben Sie in der Kanzlei?
Als Steuerberaterin bin ich besonders für die inhaltliche steuerliche Beratung unserer Mandanten verantwortlich. Meine Anwaltskolleginnen- und -kollegen setzen sich vor allem mit verfahrensrechtlichen Fragen auseinander und arbeiten im Dispute Resolution-Bereich.
Schwerpunktmäßig berate ich unsere Mandanten bei Betriebsprüfungen, Restrukturierungen, Verständigungsverfahren, Vorabverständigungsverfahren und anderen steuerrechtlichen Fragen – und nutze dabei täglich das internationale Netzwerk unserer Kanzlei. Ich finde die Idee reizvoll, auch eine Zeit lang in einem unserer ausländischen Büros aktiv werden zu können.
In unserer Tax Gruppe habe ich als Steuerberaterin die gleichen Chancen wie meine Anwaltskolleginnen und -kollegen. Aktuell bin ich auf dem Associate Partner Track und habe daher grundsätzlich die Möglichkeit, Partnerin zu werden. Diese Option, als Steuerberaterin in einer internationalen Kanzlei den Weg zur Partnerschaft zu gehen, zeichnet unsere Kanzlei aus.
Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus und mit welchen Fragen kommen Mandanten auf Sie zu?
Glücklicherweise gibt es in unserem Job keinen „typischen“ Arbeitsalltag. Da täglich neue Herausforderungen auf uns warten, ist es schwierig, typische Abläufe zu schildern. Unser Job und die Zusammenarbeit mit Kollegen weltweit zeichnen sich durch intensive Arbeitstage aus.
Es gehört für uns zum Alltag, Arbeitsabläufe laufend anzupassen und dringende Fragen unserer Mandanten kurzfristig und unerwartet einzubauen oder zu bearbeiten. Diese Art zu arbeiten erfordert ein hohes Maß an Flexibilität, ist jedoch gleichzeitig unglaublich spannend. Wir stimmen uns im ganzen Team eng – telefonisch oder in persönlichen Treffen – mit Mandanten ab, sei es zu Schriftsätzen, steuerlichen Analysen oder Antworten auf Betriebsprüferanfragen. Unsere Mandanten kommen mit den unterschiedlichsten Fragen auf uns zu. Das können Betriebsprüfungsfälle oder schwierige anspruchsvolle Sonderprojekte sein, die wir steuerrechtlich analysieren.
Was war Ihr komplexester Fall in Ihrer Praxis aus und wie arbeiten Sie hier mit Stephan Schnorberger zusammen?
Das Schöne ist, dass ich in meiner täglichen Praxis an sehr vielen komplexen Fällen arbeite. Es ist immer wieder eine Herausforderung, weltweit bekannte und globale Unternehmen zu beraten. Stephan Schnorberger und ich tauschen uns hierzu laufend aus. In gemeinsamen „Brainstorming“-Gesprächen erarbeiten wir Ideen und diskutieren unsere Beratungsansätze für die Fälle, die wir anschließend detailliert ausarbeiten.
Um der Internationalität unserer Mandanten gerecht zu werden, bilden wir Teams mit Kollegen aus anderen Büros weltweit. So arbeite ich fast täglich mit Kollegen aus den USA und anderen Ländern zusammen.
Können Sie ein Beispiel für einen besonders komplexen Fall nennen?
Ja, das sind z. B. bilaterale Betriebsprüfungen der Steuerbehörden zweier Länder, sog. Joint Audits. Das ist eine neuere Entwicklung im Bereich des internationalen Steuerrechts – und genau deshalb ist es nicht möglich, auf umfangreiche Erfahrungswerte und Kommentierungen zurückzugreifen. Man entwickelt neue Beratungsfelder und -möglichkeiten und begleitet den Mandanten in einer solch speziellen Betriebsprüfung.
Ein anderes Beispiel für einen komplexen Fall: eine internationale Restrukturierung eines Mandanten. Hier beraten wir im täglichen Schulterschluss mit anderen Büros und unterstützen unseren Mandanten darin, die ungewollte Realisierung stiller Reserven in Milliardenhöhe zu vermeiden.
Herr Dr. Schnorberger, was erwartet einen Berufseinsteiger im Tax-Bereich und wo liegen die größten Herausforderungen?
Die beruflichen Perspektiven im Steuerrecht sind nach wie vor hervorragend. In unserem Beruf kommt nie Langeweile auf, denn Unternehmen und Wirtschaftswelt entwickeln sich dynamisch weiter.
Wir haben es mit hochinteressanten und anspruchsvollen Ansprechpartnern zu tun. In unserer Kanzlei zum Beispiel arbeiten Steuerberater mit Juristen, Wirtschaftsprüfern, Wirtschaftsjuristen und Projektmanagern in Teams zusammen und finden Lösungen für komplexe rechtliche Fragen. So können wir in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung schnell auf Veränderungen reagieren und neue Wege finden. Engagierte und unternehmerisch denkende Wirtschaftswissenschaftler und Juristen sind bei uns daher sehr willkommen.
Welche Themen beschäftigen derzeit Ihre Branche?
Entwicklungen im Steuerrecht ändern sich in rasanter Geschwindigkeit und die Komplexität im Tax-Bereich nimmt kontinuierlich zu. Das sind große Herausforderungen für alle Steuerrechtler. Hier wird es spannend sein zu beobachten, welche Wege die verschiedenen Beratungseinheiten und Berater oder Anwälte finden, um mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten. Das betrifft neben Compliance v. a. die Steuerplanung. Auch Steuerstreitigkeiten beschäftigen uns mehr und mehr.
Welche Eigenschaften muss man heute und in der Zukunft – im Zeitalter der Digitalisierung – mitbringen, um im Steuerrecht erfolgreich zu sein?
Nach wie vor wesentlich sind Interesse, Menschen und wirtschaftliche Vorgänge nicht nur oberflächlich zu verstehen, unablässige Neugier, präzise Analytik und ein breites systematisches Verständnis, gerade im Zeitalter digitalisierten, universell verfügbaren Wissens.
Ihre Tipps für Nachwuchsjuristen bzw. Steuerrechtler, die über einen Einstieg in den Tax Bereich nachdenken?
„Probieren geht über Studieren!“ Also alle sinnvollen Möglichkeiten nutzen, Erfahrungen und Einblicke in den praktischen Arbeitsalltag eines Steuerberaters, Steueranwalts, Inhouse Tax Managers oder Finanzrichters etc. zu bekommen. Nach dem Einstieg ist es am Wichtigsten, sich Zeit zu nehmen, um Verständnis für die verschiedenen Teilrechtsgebiete und Arbeitsformen im Steuerrecht zu bekommen. So hat man die Chance, sich bewusst und nachhaltig zu spezialisieren und zu profilieren.
Über die Interviewpartner:
Dr. Stephan Schnorberger
Partner der Praxisgruppe bei Baker McKenzie, Düsseldorf
Rabea Lingier
Associate der Praxisgruppe Tax bei Baker McKenzie, Düsseldorf
Mehr Infos zum Arbeitgeber finden Sie im Arbeitgeberprofil.
Quelle DStR 43/2019