Gut angekommen?

von Andreas Kortendick und Marie Groth

Der erste Tag im neuen Job ist immer etwas Besonderes. Bereits im Vorhinein ist so ein Neuanfang von vielen Fragen geprägt: Wie werde ich empfangen? Welche Erwartungen werden an mich gestellt? Werde ich mich schnell in das Team und die Unternehmenskultur einfinden?

Neugier wird dabei nicht selten von Unsicherheit begleitet. Arbeitgeber sind gefordert, diese Unsicherheit auf ein Minimum zu reduzieren, damit der neue Kollege* sein Potenzial schnell entfalten kann. Doch wie gelingt dies in einem Steuerteam? Mit Wertschätzung, Vertrauen und jeder Menge Guidance.

Der erste Eindruck zählt

Es mag trivial klingen und ist dennoch längst nicht überall zu finden: Der vorbereitete Arbeitsplatz (inkl. funktionierendem DATEV-Zugang) mit kleinem Begrüßungsgeschenk, die Lunch-Einladung vom neuen Chef in der ersten Woche oder die freundliche Begrüßung durch die Kollegen, die bereits meinen Namen kennen, signalisieren sofort: Hier bin ich willkommen! Der Grundstein ist gelegt.

Doch das gelingt nicht zufällig, sondern erfordert systematische Vorbereitungen an verschiedenen Schnittstellen. Höchstes Dienstleistungsniveau sollten nicht nur Kunden und Mandanten erwarten können. Professionalisierte Abläufe und Prozesse gewährleisten auch intern die idealen Voraussetzungen für Effizienz und Produktivität.

Einem vorausschauenden Arbeitgeber ist dabei auch bewusst, dass Erfolg ein Prozess ist und Onboarding-Aktivitäten sich nicht unmittelbar in messbare Kennzahlen umwandeln lassen. In die zielgerichtete Einarbeitung neuer Kolleginnen und Kollegen zu investieren, wird sich langfristig lohnen. Professional Service Firms berücksichtigen idealerweise in ihren Gewinnprognosen, dass der neu eingestellte Steuerberater mit seinen Billable Hours erst nach einiger Zeit das Niveau der routinierten Kollegen erreicht.

Es gilt Vertrauen zu schaffen: Wir glauben an Dich, Dein Potenzial und Deine Expertise, geben Dir aber auch die Zeit, die es braucht, damit Du sie im vollen Umfang ausschöpfen kannst.

Unterstützung ist keine Holpflicht

Wer gute und zielgerichtete Orientierungshilfe bietet, kann die Entwicklung seiner Mitarbeiter beschleunigen. Es beginnt mit dem persönlichen Empfang und mit dem Rundgang durch das Büro, über Informationen zur IT-Ausstattung und HR-Prozessen bis hin zu Details im Umgang mit bestimmten Mandanten: Als Arbeitgeber sollte ich diese Form der Unterstützungsmaßnahmen immer als meine Bringschuld empfinden, nicht als Holpflicht des Neuankömmlings.

Diesem obliegt bereits die Herausforderung, die neu erlangte Wissensflut zu verarbeiten und anzuwenden. Bei der Wahl der Formate helfen allgemeine bildungspsychologische Erkenntnisse: Das gelesene Wort wird zwar besser erinnert als das gehörte, tiefgehendes Verständnis setzt aber erst bei der Anwendung ein. So kann es hilfreich sein, nicht nur Guidelines zu gängigen IT-Anwendungen zur Verfügung zu stellen, sondern z. B. Video-Tutorials und Mitschnitte zu früheren Schulungsveranstaltungen. Für komplexe fachliche Inhalte hat sich der Einsatz von Nachschlagewerken, Wikis und natürlich Checklisten und Anleitungen, bewährt.

Prozessabläufe und Organisationsstrukturen wiederum lassen sich sehr gut visuell verarbeiten. Über allem steht immer das einfache Verfügbarmachen von Informationen, sodass sie jederzeit erneut abgerufen werden können. In der digitalen Welt werden dazu Sharepoints oder das Intranet genutzt, die jedoch – nicht ohne Aufwand – instandgehalten werden müssen, sodass die Inhalte leicht auffindbar und aktuell bleiben.

Um ihre neuen Mitarbeiter nicht im Informationsdschungel allein zu lassen, geben viele Kanzleien ihnen Mentoren oder Buddys an die Hand, die als erste Ansprechpartner bei Fragen zur Verfügung stehen. Eine transparente Rollendefinition erleichtert das Erwartungsmanagement für beide Seiten.

Nicht selten wird ein erfahrener Kollege in vergleichbarer Position als fachlicher Mentor eingesetzt, der den Berufseinsteiger bei typischen Abläufen wie der Erstellung einer Steuererklärung oder eines Jahresabschlusses, kommentierend über die Schulter schauen lässt und Fragen beantwortet. Die Wirkung des Beobachtungslernens sollte keinesfalls unterschätzt werden, weshalb es sich auch anbietet, Paarungen aus neuen und erfahreneren Mitarbeitern in den ersten Wochen oder Monaten in räumliche Nähe zu bringen.

Auch das einfache Zuhören bei Telefonaten kann zum besseren Verständnis des Umgangs mit Mandanten beitragen. Gemeinsames Brainstorming zu einer Steuerechtsthematik oder die eigenständige Erarbeitung von Strukturvorschlägen für Mandanten ist im Lernprozess ebenfalls hilfreich. Die Arbeit am konkreten Projekt oder Mandat schließlich lässt die Lernkurve in aller Regel exponentiell steigen. Erst die wahren Details und Fallstricke eines Jahresabschlusses und die eigene Verantwortung, diesem Herr zu werden, lassen Synapsen entstehen, die nicht so einfach trennbar sind.

Der oft verteufelte Sprung ins kalte Wasser kann also durchaus beim Schwimmenlernen helfen, sofern sichergestellt ist, dass am Beckenrand eine helfende Hand zur Seite steht, die mir auch erklärt, wie ich es beim nächsten Mal noch besser machen kann. Regelmäßiges Feedback sowohl von Kollegen als auch Vorgesetzten ist hochrelevant im learning-on-the-job. Damit es im Alltagsgeschäft nicht untergeht, hilft der Einsatz von Regelkommunikation, wie ein 20minütiges Catch-up pro Woche.

Auch das Vorleben von Rückmeldung auf Teamebene, zum Beispiel in Team Jours fixes, gibt Vertrauen und trägt zu einer Fehlerkultur bei, die Raum für persönliche und fachliche Weiterentwicklung gibt. Mindestens ein umfangreiches Rückmeldegespräch, bestenfalls unter Zuhilfenahme von Tools oder Leitfäden, sollte dem neuen Kollegen als Anker in Aussicht gestellt werden.

Onboarding Remote

In Zeiten des coronabedingten Lockdowns wurde das Onboarding neuer Mitarbeiter vor besondere Herausforderungen gestellt. Wer bereits zuvor systematische Einarbeitungskonzepte und routinierte Feedbackkultur hatte, dürfte bei der Umstellung auf Remote keine allzu großen Probleme gehabt haben. Der Wissenstransfer expliziter Inhalte, egal ob auf Fach- oder Prozessebene, ist zweifelsohne elementar.

Darüber hinaus entsteht nun die Erkenntnis, auch dem Dialog über sonst eher versteckte, implizite Dinge, wie Kultur und Umgang miteinander, Raum und Formate zu geben. Hier müssen wir anknüpfen, um die Candidate Experience zu optimieren und auf allen Seiten zu einem gelungenen Start beizutragen. Wer seine Einarbeitung
und damit auch seine berufliche Entwicklung nicht dem Zufall überlassen will, fragt am besten schon im Bewerbungsgespräch nach dem Onboarding-Konzept – hier trennt sich schnell die Spreu vom Weizen.

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* Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter

Über die Autoren:

Andreas Kortendick
verantwortet IT-Projekte für Kommunikationslösungen und
kollaborative Arbeitsprozesse.
Mitgründer der 5FSoftware GmbH, die eine neuartige
Collaboration-Plattform für Berufsgeheimnisträger entwickelt.

Marie Groth
beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit Digitalisierung,
Schwerpunkt Wirtschaftsprüfung und Rechnungswesen.
Nach Erfahrungen bei großen WP-Gesellschaften im Prozessmanagement
ist er nun Teil der 5FSoftware GmbH.

Quelle DStR 43/2020