Von vielen Insellösungen zum digitalen Ökosystem - Steuerberater profitieren von der branchenübergreifenden Vernetzung

von Bernd Meyer, Wirtschaftsinformatiker (BA), verantwortet bei der DATEV eG, Nürnberg, den Bereich Softwarekooperationen

Die Verbindung zwischen Steuerberater und Mandanten ist in der Regel sehr beständig und vertrauensvoll. Die Mandanten haben wiederum häufig langjährige Beziehungen mit ihren Lieferanten und Kunden. Bei all diesen Geschäftsbeziehungen werden Daten untereinander ausgetauscht. Zukünftig fließen diese über branchenübergreifend vernetzte digitale Systeme frei von Medienbrüchen elektronisch zwischen den Beteiligten – und wie in einem natürlichen Ökosystem profitieren alle in dem digitalen Ökosystem, wenn sie sich aneinander anpassen und gemeinsam weiterentwickeln.

Das Smartphone hat in kürzester Zeit eine unglaubliche Erfolgsgeschichte hingelegt. Über das kleine Multifunktionsgerät könnten wir heute im privaten Umfeld fast alle unsere Vorhaben erledigen – von der Planung des Abendmenüs über die Fitnesskontrolle und unsere Bankgeschäfte, Shopping und Spielen bis zur Partnersuche. Dabei laufen komplexe Prozesse im Hintergrund, unter anderem damit die Anwender nur einen geringen Aufwand haben. Eine ähnliche Logik wird sich auch im geschäftlichen Umfeld durchsetzen: Alle kaufmännischen Prozesse werden von Anfang bis Ende digitalisiert sein und die Datenströme über Branchen und Aufgabenfelder hinweg wie in einem Ökosystem von einem zum anderen fließen und dort weitere mehr oder weniger automatisierte Prozesse auslösen.

Kanzleien und Unternehmen im automatisierten Datenaustausch

Der Begriff des Ökosystems passt gut zu unserem sich rasant wandelnden Arbeitsumfeld. Die verschiedenen Softwarelandschaften in den Unternehmen wachsen zusammen zu einem integrierten System, das wiederum mit seinen externen Partnern ein größeres unternehmens-, branchen- und auch länderübergreifendes Netzwerk bildet. So wie in einem natürlichen Ökosystem, wie zum Beispiel dem Biosphärenreservat Donaudelta.

In diesem 5.800 km² großen Gebiet gibt es unter anderem schwimmende Inseln, Auwälder oder extreme Trockenbiotope. Jede dieser spezifischen Umgebungen bildet ein eigenes Ökosystem, in dem Pflanzen und Tiere gedeihen, die perfekt diesem Umfeld angepasst sind. Über Stoff- und Energieflüsse stehen diese verschiedenen Organismen miteinander und darüber hinaus mit den Nachbarsystemen in Beziehung, so dass sie zu einem großen Ökosystem wie dem Biosphärenreservat zusammengewachsen sind.

Die Analogie: Die meisten Unternehmen haben seit vielenJahren eine eigene IT- Infrastruktur. Kleinere Unternehmen, die keine IT- Abteilung unterhalten können, setzen dabei auf branchen- und aufgabenspezifische Lösungen vieler verschiedener Softwareanbieter, die sich den jeweils spezifischen Anforderungen der Branchen gestellt haben. Häufig ist ein Datenaustausch zwischen den verschiedenen Lösungen mit Aufwand verbunden, da die einzelnen digitalen Insellösungen nur punktuelle Schnittstellen zu anderen haben. In Zukunft werden diese Lösungen ihre Daten jedoch weitgehend automatisch untereinander austauschen und so ein zusammenwachsendes digitales Ökosystem bilden. So entstehen durchgängige Prozesse, in denen komplementäre Aufgaben mit Hilfe der gegenseitigen Datenlieferungen automatisiert erledigt werden.

Steuerberatungskanzleien sind mit ihren technischen Lösungen und Dienstleistungen Teil dieses digitalen Ökosystems. Als aktives Bindeglied zwischen Finanzbehörden und Mandanten arbeiten sie mit den Daten, die sie aus den heterogenen digitalen Systemen ihrer Mandanten erhalten. Damit dieser Datenaustausch so automatisch und stetig wie oben beschrieben abläuft, entsteht rund um die von den meisten Steuerberatern genutzte Plattform ein Ökosystem, zu dem insbesondere die große Anzahl der etablierten oder auch neuen Softwareanbieter rund um betriebswirtschaftliche Abläufe eingeladen sind.

Mehr als ein Algorithmus

Je mehr Anbieter sich diesem Ökosystem anschließen, desto mehr profitieren alle Beteiligten. Denn wenn die Daten aus den verschiedenen Systemen schneller in den Systemen der Kanzleien vorliegen, können diese stets aktuell die Mandanten dort unterstützen, wo diese häufig einen großen Bedarf haben: bei den betriebswirtschaftlichen Prozessen, Analysen und Entscheidungen. So wie Amazon – auch ein Beispiel für ein digitales Ökosystem – heute schon wissen will, was wir morgen kaufen werden, weiß der Steuerberater dann heute, wo der Mandant morgen investieren sollte – und das viel individueller und treffender als die Kaufvorschläge von Amazon, weil der Steuerberater kein Algorithmus ist. So wird das Ökosystem rund um diese Lösungen zu einem Wachstums- und Innovationstreiber.

Auch wenn das als Ganzes noch nach Zukunftsmusik klingt, sind wir bereits mitten in diesem Transformationsprozess. Wer heute noch auf papierbehaftete Prozesse setzt, wird morgen den Anschluss an die digitale Entwicklung komplett verlieren und bald kein Marktteilnehmer mehr sein.

Die Zukunft hat bereits begonnen

Schon heute gibt es zahlreiche Software-Partnerschaften und offene Schnittstellen, sodass sich Systeme verschiedener Anbieter einfach an die Anwendungen etwa für das Rechnungswesen und die Personalwirtschaft anbinden lassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie im Unternehmen selbst oder in der betreuenden Steuerberatungskanzlei im Einsatz sind.

Ein gutes Beispiel für diese neue Offenheit zwischen den Softwareanbietern sind leistungsfähige Schnittstellen, über die zum Beispiel digitale Buchführungsbelege samt ergänzender Informationen zwischen den Systemen ausgetauscht werden. Der Anwender im Unternehmen stößt die Übergabe der Belege aus seiner gewohnten branchenspezifischen Umgebung an. Die Kanzlei hat die Belege sofort über ihre eigenen Systeme im digitalen Zugriff.
Daraus ergibt sich für beide Seiten eine medienbruchfreie Verlängerung der Prozesskette ihrer Zusammenarbeit, weil die einzelnen Softwareanbieter digitale Verbindungskanäle aufgebaut haben und so langsam aber sicher ein Ökosystem entsteht.

Quelle DStR 41/2017