Die Digitalisierung kann umständlich und aufreibend sein. Muss sie aber nicht, weiß Heinz Kammers, Sozius bei Kammers & Partner in Herbolzheim. Seine Maxime: Automatisierung ist dann gut, wenn sie die Arbeit erleichtert und Freude bringt. Für die DStR beschreibt er drei Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation in Steuerberatungskanzleien. Best Practice einer digitalisierten Kanzlei.
Veränderung ist ein permanenter Prozess. Neu ist das atemberaubende Tempo, mit dem die digitale Transformation die Arbeitswelt auf den Kopf stellt. Diesen Fortschritt als natürlich gutzuheißen und ihn positiv zu begleiten, ist chancenreich. Aus der digitalen Vernetzung resultiert ein System, das sich selbst prüft. Fehler nehmen ab. Routinearbeiten fallen weg. So gelingt es, Aufträge intensiver zu bearbeiten. Wach und kritisch Auswertungen auf Plausibilität zu prüfen, bleibt selbstverständlich. Das Gute ist: Antwortzeiten sind viel kürzer. Und wir gewinnen Freiheiten. Denn die Jobs in der Kanzlei funktionieren flexibler. Zum ‚daily business‘ kommen Fragen zur Informationstechnologie und Tücken rund um Hard- und Software hinzu. Dann heißt es: Wer ist zuständig? Die Datev, externe Dienstleister oder wir selbst? Unsere Branche braucht neue Berufsbilder. Dessen sind wir sicher. Wir konzentrieren uns auf unser Kerngeschäft. Das zahlt sich aus. Dass uns unsere Mandanten oft weiter empfehlen, ermutigt uns. Die Konsequenz: Wir wachsen auch personell und wollen uns in der Partnerschaft verstärken.
Erfolgsfaktor 1: Mitarbeiterinnen übernehmen Verantwortung
Es sind die Menschen in einer Kanzlei, die wissen, wie Prozesse sinnvoll zu standardisieren sind. Unsere Mitarbeiterinnen sind diejenigen, die seit Jahren buchen, verwalten, Löhne abrechnen oder Daten auswerten. Sie alle erkennen: „Wir können und wissen ganz schön viel. Digitalisierung gelingt nur gemeinsam. Wir bilden uns weiter. Es geht um unsere Zukunft im Job.“ Eine erfahrene Fachkraft steuert bei uns die Kanzleiorganisation. Sie priorisiert, strukturiert und stimmt sich mit der Leitung ab. Sie hat den Hut auf, wenn es darum geht, Prozesse festzulegen und zu beschreiben. Das alles geschieht gemeinsam im Team. Es ist so wichtig, dass Angestellte bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
‚Was der Chef sagt, wird gemacht‘ ist out
Auch Projektleiterinnen und -leiter engagieren sich, die eigeninitiativ ihr Team formen, um ‚ihre‘ Themen voranzubringen. Wir Equity-Partner unterstützen. Wir legen genau fest, wer für welches Thema Pate steht. Mandate betreut jeweils ein festes Tandem aus einem Partner und einer Mitarbeiterin.
Erfolgsfaktor 2: Die Führung garantiert hohe Transparenz und Kooperation
Weil sich unser Business so rasant entwickelt, nehmen wir uns Zeit. Wir reflektieren: Was wollen wir verbessern und wie? Wer übernimmt was? Bis wann? Wie priorisieren wir? Mitarbeiterinnen und Partner arbeiten eng zusammen. Dann gilt: Augenhöhe statt Hierarchie. Eigenverantwortung statt Erfüllungsmentalität. Alle sind von Anfang an im Boot. Das war schon 2009 so, als wir mit dem Dokumenten-Management-System an den Start gingen. Offen zu kommunizieren gibt die Richtung vor. Informiert die Führung nur vage, ‚streikt‘ das Team. Der Schlüssel ist, einander zuzuhören, miteinander zu sprechen, sich gegenseitig zu achten, zu stärken und zu fördern. Dass wir zusammen feiern und unser Personal überdurchschnittlich gut honorieren, ist Ausdruck unserer Kanzleikultur. Und: Wir handeln fehlerfreundlich. Wir lernen alle aus Erfahrungen. Läuft etwas schief, stehen wir Partner hinter unseren Leuten. Wir sprechen oft miteinander. Dann löst sich bislang Unausgesprochenes, Belastendes leichter auf. Ja, Ängste gibt es immer wieder. Auch das Gefühl, überfordert zu sein, ist uns nicht fremd. Als digitalisierte Kanzlei leben wir damit, nicht jedes Detail zu überblicken. Wir lernen loszulassen. Dann hilft nur eines: sich klar zu fokussieren und Prioritäten deutlich zu artikulieren. Und: Gelassen bleiben, wenn man Dinge selbst nicht ändern kann.
Unser Credo: Die Arbeit dient dem Menschen – nicht umgekehrt. So beugen wir blankem Aktionismus vor, der negativen Stress produziert.
Change-Prozesse brauchen Klarheit und Kommunikation, auch um die Potenziale der Generationen zu heben. Oft zweifeln Ältere: „Machen Jüngere das besser? Werde ich noch gebraucht?“. Natürlich sind ‚digital natives‘ im digitalen Alltag zuhause. Jüngere profitieren wiederum von der Praxis der Erfahrenen. Erfolgsentscheidend ist, dass wir alle zusammenstehen und jede und jeder das auch so erlebt. Dann engagieren sich Menschen gerne. Zur Personalauswahl: Ein Partner führt gemeinsam mit einer Angestellten das Erstgespräch mit Bewerbern. Interessenten lernen die Führung kennen und erfahren von ihrer künftigen Kollegin, wie der Laden läuft. Wir Partner nehmen den Rat der Mitarbeiterin sehr ernst.
Erfolgsfaktor 3: Mitarbeiterinnen und Partner begleiten Mandanten persönlich
Regelungen überfluten Unternehmen. Viele Betriebe arbeiten seit Corona daran, ihr Online-Business zu starten oder es zu professionalisieren. Zeit und Kapazitäten sind so knapp wie Fachkräfte rar. Es überrascht nicht, dass die kaufmännische Digitalisierung mehrheitlich ausbaufähig ist. Unser Auftrag ist es, unsere Mandanten zu begleiten. Wir verstehen uns als Botschafter, die Sicherheit vermitteln. Ohne die Gewissheit, dass die Digitalisierung machbar ist, mobilisieren wir niemanden. Wir sind professionelle ‚Freunde‘, die ihren Auftraggebern den Rücken freihalten, damit sie ihr Kerngeschäft meistern.
Digitalisierung hat immer die Veränderung der Arbeitsprozesse im Gepäck. In unserer Verantwortung liegt es, Vertrauen für die Transformation zu gewinnen.
Wenn wir Start-ups betreuen, legen wir fast ausschließlich digital los. Wechseln Unternehmen von einer anderen Kanzlei zu uns, ist der Transfer oft komplexer. Der Mandant steht in der Regel ganz woanders. Dort holen wir ihn ab und fragen: „Was möchten Sie? Und was möchten Sie nicht?“ Wir hören zu und bohren nach. Ja, wir hören auch das, was sie oder er nicht sagt. Dann prüfen wir „Was passt? Was braucht sie oder er wirklich?“. Was uns treibt, ist die Frage: „Ist das, was die Software und die Abläufe versprechen, wirklich besser für das Unternehmen? Ist der Nutzen tatsächlich größer?“ Es darf nichts komplizierter werden. Die Mandantschaft darf nicht mehr Aufwand haben als vorher, eher weniger. Was wir anbieten, soll zumutbar, hilfreich und nützlich sein. Wir setzen also nicht um jeden Preis das volle Programm um. Wenn es heißt: „Wir wollen unsere Belege vorbeibringen“, dann ist das in Ordnung. Wir gehen auch diesen Weg mit. Gäbe es eine Zauberformel, hieße sie für uns: „Jeder bekommt die Zeit, die er braucht.“ Wir unterstützen solange, bis die Scheu schwindet. Sätze wie „Es muss nicht von Anfang an tipptopp laufen“ machen Mut. Damit nehmen wir Druck raus. So wie Mandanten Schritt für Schritt eine Beziehung zu ihrer Steuerberaterin oder ihrem Steuerberater aufbauen, so braucht auch die Digitalisierung Zeit zu reifen. Es gibt keinen Grund, Angst davor zu haben. Es gibt ja uns, die digitalisierten Steuerberatungskanzleien.
Über den Autor:
Dr. Heinz Kammers
Diplom-Kaufmann, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer