Brauchen wir ein Berufsgesetz für Sachverständige?

von Wolfgang Jacobs

Bereits mehrfach hatten sich in den letzten Jahrzehnten Arbeitskreise des Deutschen Verkehrsgerichtstages mit der Frage befasst, ob eine Berufsordnung für Sachverständige für Kraftfahrtwesen und Straßenverkehr, insbesondere für Fahrzeugschäden und -bewertung sinnvoll und notwendig sei. Entsprechende Forderungen an den Gesetzgeber wurden erstmals im Jahre 1985 gestellt und seitdem mehrfach wiederholt. Aktuell wurde diese Forderung beim diesjährigen 63. Deutschen Verkehrsgerichtstag am 30. und 31. Januar in Goslar erneut gestellt.

Mit Blick auf das jährliche Gesamtvolumen bei Schadensfällen mit Fahrzeugen in Höhe von über 30 Milliarden Euro und die Komplexität heutiger Fahrzeuge hielt der zuständige Arbeitskreis unter Berücksichtigung der Verkehrssicherheit und des Verbraucherschutzes eine hohe Qualität in der Schadensfeststellung und dessen Begutachtung durch Sachverständige für unverzichtbar, eine entsprechende berufsgesetzliche Grundlage zu schaffen.

Ausschlaggebend für die erneute Befassung mit diesem Thema war die Vorlage eines Richtlinienentwurfs des VDI, mit der allgemein anerkannte Mindestanforderungen an die Ausbildung und Qualifikation von Sachverständigen im Bereich Kraftfahrzeugschäden und deren Bewertung sowie die Berufsausübung definiert wurden. Der Gesetzgeber wird in der entsprechenden Empfehlung durch den Arbeitskreis V des diesjährigen Deutschen Verkehrsgerichtstages aufgefordert, eine entsprechende gesetzliche Grundlage unter Berücksichtigung der Richtlinie VDI-MT 5900 zu schaffen.

Die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung für die Ausbildung und die Berufsausübung durch Sachverständige ist nicht neu. Bereits Mitte der Neunziger Jahre hatte der Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger – BVS e. V. diese erhoben, damit aber beim Gesetzgeber kein Gehör gefunden. Mehrfache erneute Initiativen in diese Richtung wurden seitdem unternommen, zuletzt vor wenigen Jahren in Zusammenhang mit der Forderung nach einer öffentlichen Bestellung und Vereidigung für Sachverständige im Bereich medizinischer und psychologischer Gutachtenerstattung und der immer wieder erhobenen Kritik an der nicht nachvollziehbaren Qualifikation der diese erstellenden Sachverständigen.

Ob allerdings eine gesetzliche Berufsordnung für Sachverständige, die allein auf das Kraftfahrtwesen und den Straßenverkehr begrenzt ist, so wie dies vom 63. Deutschen Verkehrsgerichtstag gefordert wird, den Gesetzgeber zum Handeln veranlasst, darf bezweifelt werden. Damit würde zwar in diesem Bereich das vom Deutschen Verkehrsgerichtstag angestrebte Ziel einer Qualitätssteigerung in der Schadensfeststellung erreicht oder aber zumindest eine Verbesserung eintreten; es löst aber nicht das grundsätzliche Problem.

Denn die sich auf hunderten von Fachgebieten bei Sachverständigen und der von diesen erstellten Gutachten von hoher Qualität einerseits bis zu sprichwörtlichen „Schlechtachten“ andererseits hinziehende Spanne wird nicht dadurch aufgelöst, dass nur für ein, zugegebenermaßen sehr wichtiges, Fachgebiet, eine Berufsordnung durch den Gesetzgeber geschaffen wird. Die beim BVS immer wieder und leider regelmäßig eingehenden Kritiken an der Qualität der Gutachten und insbesondere der sie erstellenden Sachverständigen, Gutachter oder Experten zeigt, dass hier grundlegender Handlungsbedarf besteht.

Ob den Bauschadensbereich, die Immobilienbewertung, das Maschinenwesen, die Medizin mit ihren unterschiedlichen Fachgebieten sowie den Kunstbereich betreffende Gutachten - es ist dringend notwendig, bei dem diese Gutachten erstellenden Personenkreis die Spreu vom Weizen zu trennen. Sachverständiger, Gutachterin oder Experte kann sich jeder und jede Person nennen, die glaubt, auf einem oder mehreren Fachgebieten über eine besondere Expertise zu verfügen und meint, in der Lage zu sein, sich dazu fachlich äußern zu können. Die vorhandenen Instrumente zur Überprüfung der fachlichen Qualifikation dieser Sachverständigen und der Qualität der von ihnen erstatteten Gutachten sind zwar grundsätzlich vorhanden, beschränken sich jedoch nur auf einen Teilbereich dieser zahlenmäßig geschätzt sechsstelligen Berufsgruppe in Deutschland.

Positiv herauszuheben sind die öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, die auf der Grundlage von § 36 der Gewerbeordnung oder § 91 der Handwerksordnung durch die vom Gesetzgeber dazu vorgesehenen Bestellungskörperschaften in Gestalt der Industrie- und Handelskammern, der Handwerkskammern sowie der Berufskammern für Ingenieure, Architekten und im Landwirtschaftsbereich tätig sind. Daneben gibt es weitere hoheitliche Beleihungen für Sachverständige nach einzelnen auf Landesebene bestehenden Gesetzen in Gestalt amtlicher Anerkennungen und/oder staatlicher Zulassungen.

Seit drei Jahrzehnten hinzugekommen sind zertifizierte Sachverständige, wobei auch hier die Qualitätsspanne von durch die Deutsche Akkreditierungsstelle - DAkkS akkreditierten Zertifizierungsstellen mit einer durch diese sichergestellten anspruchsvollen Qualitätssicherung einerseits bis hin zu selbsternannten Zertifizierungsstellen im In- und europäischen Ausland reicht und bei denen unter dem Gesichtspunkt der Qualitätssicherungen mehr als nur ein Fragezeichen anzubringen wäre.

Denn, ähnlich wie beim Begriff Sachverständiger oder Sachverständige, besteht auch für den Begriff der Zertifizierung keine grundlegende gesetzliche Regelung, die abschließend bestimmt, wer sich als zertifizierter Sachverständiger oder zertifizierte Gutachterin bezeichnen darf. Zwar stellt § 132 a StGB die unerlaubte Führung der Bezeichnung als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger unter Strafe, jedoch existieren zahlreiche phantasievolle Bezeichnungen von vereidigten, benannten oder qualifizierten Sachverständigen, bei denen die Qualifikation der sie führenden Personen nicht oder so gut wie nicht unabhängig überprüft werden kann, geschweige denn transparent ist.

Allein der wirtschaftliche Schaden, der bundesweit jährlich dadurch entsteht, dass verbraucherseits im privaten wie auch industriellen Bereich auf derartige „Sachverständigengutachten“ vertraut wird, dürfte mindestens im dreistelligen Millionenbereich anzusiedeln sein.

Um hier von vornherein eines klarzustellen, Sachverständige, die über eine öffentliche Bestellung und Vereidigung, eine amtliche Zulassung, staatliche Anerkennung oder seriöse Zertifizierung verfügen, haben ihre berufliche Laufbahn einmal ohne diese Attribute begonnen. Das heißt also, dass nicht jeder Sachverständiger und jede Sachverständige, die nicht oder noch nicht über ein derartiges von unabhängiger Seite ausgesprochenes Testat über das Vorhandensein ihrer hohen fachlichen Qualifikation, ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit und charakterlichen Eignung verfügen, schlechte Sachverständige sind. Dies gilt in gleicher Weise auch für von einzelnen Berufsverbänden im Sachverständigenwesen ausgesprochenen verbandseigenen Anerkennungen bzw. durchgeführten Prüfungen zur Qualitätssicherung ihrer Mitglieder.

Die im Rahmen des diesjährigen Deutschen Verkehrsgerichtstages ausgesprochene Empfehlung zur Schaffung einer gesetzlichen Berufsordnung für Sachverständige im Kraftfahrtwesen und im Straßenverkehr sollte daher als Anlass für den Gesetzgeber genommen werden, eine grundsätzliche gesetzliche Regelung für das Berufsbild von Sachverständigen zu schaffen. Dies würde dem Anliegen des Deutschen Verkehrsgerichtstages genauso entgegenkommen wie der seit vielen Jahren vom BVS, anderen Berufsverbänden und auch dem Deutschen Sachverständigentag erhobenen Forderung, dass zukünftig sich nur noch solche Personen als Sachverständige bezeichnen können und dürfen, die in für den Verbraucher nachvollziehbarer Weise eine auf dem Gebiet der von ihnen ausgeübten Sachverständigentätigkeit notwendige fachliche Ausbildung nachvollziehbar und zweifelsfrei durchlaufen haben und, wie in vielen anderen Berufen auch, einer grundsätzlichen Kontrolle hinsichtlich ihrer Berufsausübung unterliegen.

Solange sich in diesem weiten Berufsfeld neben den aufgeführten unabhängigen, die Berufsgruppe der Sachverständigen nur teilweise erfassenden Qualifikations- und Qualitätsnachweisen Personen bewegen können, die für sich die Berufsbezeichnung als Sachverständige, Gutachter oder auch Experten in Anspruch nehmen dürfen, ohne dass für den Verbraucher erkennbar und nachvollziehbar sichergestellt ist, dass hohe Sachkunde, wirtschaftliche Unabhängigkeit und charakterliche Eignung tatsächlich und nachweisbar vorhanden sind, funktioniert der Verbraucherschutz nur in eingeschränktem Maße. Hier ist nach oben noch sehr viel Luft.

 

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Über den Autor:

Wolfgang Jacobs - Rechtsanwalt
Geschäftsführer des Bundesverbandes öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger – BVS e. V.