Zuhören erzeugt Zugehörigkeit

von Susanne Kleiner

Wortgewandtheit ist zweifelsohne ein Erfolgskriterium des Anwaltsberufs. Doch viele Rechtsberater unterschätzen die Macht des Zuhörens.

Wer anderen geneigt Gehör schenkt und sich aufrichtig zuwendet, überwindet Gräben. Wie gute Zuhörer Gespräche veredeln, beschreibt Susanne Kleiner. Impulse für die Kanzleipraxis.

Wertschätzung öffnet

Zuhören bedeutet, anderen Raum zu geben. Ehrlich Interessierte öffnen sich für die Position anderer und sind bereit, sich aufmerksam einzulassen.

Wertschätzende Mitmenschen wissen: Wer sich gehört, gesehen und verstanden fühlt, ist loyal. Ein offenes Ohr ist ein großes Plus, besonders wenn das Gegenüber angespannt oder gestresst ist. Wer aufgeregt, nervös, traurig oder wütend ist, agiert emotionsgeleitet. Dann überlagert die Emotion die Ratio und die rechte Gehirnhälfte, die für Intuition und Gefühle steht, gewinnt die Übermacht. Die linke Gehirnhälfte, die das logische Denkvermögen steuert, unterliegt.

Anwälte, die sich aufmerksam Kollegen, Mitarbeitern, Mandanten oder Geschäftspartnern widmen, fördern ein gutes Miteinander. Wenn es knirscht, deeskalieren empathische Zuhörer. Denn wenn gestresste, frustrierte oder überhitzte Gemüter Dampf ablassen dürfen oder eingeladen sind, sich ungebremst mitzuteilen, entspannen sie sich. Zuhören dimmt Stress herunter und hilft dabei, gut in Kontakt zu treten.

Verständnis ist nicht gleich Einverständnis

Wichtig für ambitionierte Wortführer: Gut zuzuhören bedeutet keineswegs, mit dem Gehörten einverstanden zu sein. Es heißt vielmehr: Ich lasse mich darauf ein, mich in den anderen hineinzuversetzen. Und ich stelle meine ichbezogenen Gedanken für diesen Moment zurück. Nur so nehme ich wahr, was andere in ihrer höchstpersönlichen Art und Weise fühlen, sprechen und handeln lässt – ohne zu bewerten. Goldwert ist: Wer gehört wird, ist eher bereit, sich für den Gesprächspartner zu öffnen und rüstet mental ab.

Zuhören vermittelt das Gefühl der Zugehörigkeit. Ein offenes Ohr ebnet das Feld für respektvolle Begegnungen. Das beginnt mit ehrlich empfundenem Respekt. Wer sich gedanklich über andere stellt oder sie von vornherein in eine Schublade steckt, schafft Distanz. Und die Mitmenschen merken das. Denn die innere Haltung sendet deutliche nonverbale Botschaften. Wer aufmerksam hinhört, erhöht hingegen die Chance, anschließend selbst Gehör zu finden und den anderen wirklich zu erreichen.

Verständnis baut Brücken

Bei Verhandlungen geht es zunächst primär darum, eine Wellenlänge herzustellen. Das gelingt mit Verständnis. Erfahrene Kommunikatoren ignorieren Positionen („Ich bestehe darauf, weil …“). So bleiben sie gelassen und ihr Ehrgeiz, mit einem Gegner den Kampf aufzunehmen, schwindet.

Wer sich bewusst zuwendet, Blickkontakt hält und mit dem Kopf nickt, zeigt ehrliches Interesse. Ein natürliches „Aha“, „Ach so“ oder „Mmh“ motiviert das Gegenüber, weiterzusprechen. Versierte Zuhörer wiederholen das Gehörte in denselben Worten. Der Gehörte dankt es mit einem beherzten „Ja, genau!“. Oder der Sprechende sorgt für Klarheit und offenbart, was ihn stattdessen bewegt. Etwa so: „Nein, das trifft es nicht. Im Kern geht es mir um Gleichberechtigung.“

Wertschätzung leben angesehene Anwälte auch vor, wenn sie das, was sie gehört und verstanden haben, in eigenen Worten schildern. Empathie beweist, wer das Gemeinte hinter dem Gesagten benennt und zwischen den Zeilen liest oder besser: hört. So kann es angesehenen Sprechern gelingen, sich den wahren Motiven introvertierter Menschen sensibel zu nähern.

Mit Einfühlungsvermögen punkten Gesprächspartner überdies, wenn sie Bedürfnisse des anderen aussprechen. Etwa so: „Ich verstehe, Ihnen geht es um Anerkennung.“ Ebenso verbindend wirkt es, einen Wunsch des anderen herauszufiltern: „Und jetzt wünschen Sie sich, dass Sie in dieser Sache mehr Entscheidungsfreiheit genießen?!“

All das bewahrt davor, eilig in Gedanken einen Konter zurechtzubasteln, während andere noch reden.

Präsenz wirkt

In der Hektik des digitalisierten Alltags laufen Menschen Gefahr, nur halb oder teilweise zuzuhören. Die Folge ist: Es bleiben nur Schnipsel hängen, die aus dem Kontext gerissen sind. Intelligentes Nachfragen ist so nicht möglich. Das registriert der sich Mitteilende als mangelnden Respekt oder fehlendes Interesse. Besser ist es, kurz innezuhalten und zu bekennen: „Ich bin noch nicht richtig angekommen, lassen Sie uns fünf Minuten Pause machen. Mir ist es wichtig, ganz bei Ihnen zu sein.“

Nicht umsonst kultivieren immer mehr Unternehmen die Routine, Besprechungen achtsam zu beginnen. Eine Minute Stille genügt schon, um sich auf den Moment einzulassen, zu atmen, den Alltag bewusst draußen zu lassen, das Gedankenkarussell zu stoppen. So gelingt es, gegenwärtig zu sein.

Eine Kanzleikultur, die den Rahmen dafür schafft, dass sich Kollegen gegenseitig Gehör schenken und selbst Gehör finden, stärkt die Zugehörigkeit und festigt die Identifikation mit dem Team. Zentral ist: Präsenz und feine Antennen helfen dabei, sich verbindlich auf andere einzulassen.

Aus gutem Grund zeichnen sich erfolgreiche und charismatische Zeitgenossen als aufmerksame Zuhörer aus. Sie haben innere Ruhe und mentale Stärke entwickelt.

Über die Autorin:

Susanne Kleiner
Kommunikationsexpertin, Autorin,
Texterin, Trainerin (dvct) und Coach (dvct)
in Freiburg im Breisgau

www.susanne-kleiner.de

Quelle BECK Stellenmarkt 4/2020