In der Stille liegt die Kraft

Marte Kamzelas im Gespräch mit Susanne Kleiner

Ständige Erreichbarkeit und eine hohe Komplexität dominieren den Alltag in Kanzleien. Psychischer Stress ist die Folge. Aus gutem Grund also integrieren immer mehr Unternehmen Achtsamkeit in ihre Personalentwicklungsprogramme. Marte Kamzelas ist Achtsamkeitstrainerin. Im Gespräch mit Susanne Kleiner berichtet sie, wie Rechtsanwälte Meditation lernen und wie bewusste Stille die Beratungspraxis bereichert.

Sie bringen Anwältinnen und Anwälten Mindfulness, also Achtsamkeit, näher. Was steckt dahinter?

Meine tiefe Überzeugung ist es, Menschen mit Meditation zu mehr Wohlergehen zu verhelfen und dabei zu begleiten, ihr persönliches Potenzial zu entfalten. Achtsamkeit und Meditation in Unternehmen, in Banken oder Anwaltskanzleien zu etablieren, ist meine große Herausforderung. Denn dort ist das Stresslevel enorm hoch. Jedenfalls ist mir das in New York so deutlich begegnet, während ich fast siebzehn Jahre dort gelebt habe.

Folglich habe ich sehr bewusst den Entschluss gefasst, mit Rechtsanwälten und Investmentbankern zusammenzuarbeiten. Mein Gedanke war: Wenn sich New Yorker Law Firms der Themen Meditation und Achtsamkeit annehmen, erreiche ich ein wichtiges Ziel. In US-amerikanischen Unternehmen konnte ich in den letzten vier Jahren eine beeindruckende Entwicklung beobachten.

Heute stelle ich in Deutschland einen ähnlichen Trend fest. Besonders Kanzleien, die zukunftsorientiert denken, nehmen sich der Themen mentale Gesundheit und Achtsamkeit an.

Wie reagieren Kanzleien, wenn Sie Achtsamkeit als Maßnahme zur Personalentwicklung vorstellen?

Anfangs war es nicht so leicht, einen Einstieg in große Kanzleien zu schaffen. Manche Menschen befürchten, Meditation nehme zu viel Zeit in Anspruch, sei zu schwierig zu erlernen oder sie sei zu religiös geprägt. Auch begegnet mir Widerstand gegen ein weiteres To-Do auf einer ohnehin schon langen Liste.

Meine Erfahrung zeigt: Es bedarf einer Führungskraft in den Unternehmen, die visionär denkt. Es hilft sehr, wenn es einen Kopf gibt, der von der Wirksamkeit der Achtsamkeit überzeugt ist und die Tür für den Wandel öffnet. So wurde ich immer wieder zu Probe-Sessions eingeladen. Und schließlich folgten Achtsamkeitsprojekte, die sich über längere Zeiträume erstreckten. Andere Kanzleien zeigten sich grundsätzlich offen, warteten jedoch mit der Umsetzung.

Ich verstehe meine Funktion so: Ich gebe Impulse und stoße einen Reifungsprozess an. Dabei freut es mich zu sehen, dass immer mehr Menschen Interesse daran haben, ihre innere Ruhe zu finden. Stetig mehr Berufstätige erkennen den Bedarf, in der Hektik der Zeit bei sich anzukommen. Im Zuge dessen hat Achtsamkeit auch in der Juristenwelt Fuß gefasst.

Was erwartet Anwältinnen und Anwälte, die an einem Achtsamkeitsprogramm teilnehmen, und wie wirkt Meditation?

Meine Arbeit basiert auf drei Komponenten: Atmung, Bewegung und Meditation.

Atmung und Bewegung bereiten den Geist auf die stille Konzentration vor. So erleichtere ich Neulingen den Einstieg. Die Teilnehmer bemerken bereits nach der ersten Session die angenehm zentrierende Wirkung. Mittlerweile gibt es schon viele Studien, die den überaus positiven Effekt auf das Nervensystem belegen.

Meditation fokussiert und stärkt den Geist. Sie klärt Gedanken, beruhigt Körper und Sinne. Eine Meditationspraxis verhilft uns zu einem bewussteren und achtsameren Umgang mit uns selbst und unserem Umfeld. Wir sensibilisieren uns dafür, den gegenwärtigen Moment wertfrei und bewusst zu erleben. So finden wir innere Ruhe und schöpfen immense Kraft daraus. Gleichzeitig erkennen wir destruktive Verhaltensmuster und lernen, gesünder mit Stress und Anspannung umzugehen.

In New York habe ich zunächst mit einer 24-minütigen Einheit „Digital Detox“ begonnen. Das war für viele Juristen gerade am Anfang sehr ungewohnt. Stille ist keine leichte Aufgabe für ein Nervensystem, das permanent unter Strom steht. Die Teilnehmer entwickeln nach und nach die Fähigkeit, diesen ‘Entzugserscheinungen’ standzuhalten und sie zu überwinden.

Was motiviert Kanzleien, Sie einzuladen und wie organisieren Sie die Zusammenarbeit?

Immer mehr Entscheider in Kanzleien erkennen, dass mentales Wohlergehen unser größtes Gut ist. Sie verstehen, dass Unternehmen gesund sind, wenn ihre Mitarbeiter gesund sind. Zunehmend mehr Führungskräften ist dies eine Herzensangelegenheit.

Beim ersten Gespräch in einem Unternehmen schauen wir gemeinsam, welche Kursformate am besten passen. Je nach Bedarf entscheiden sich meine Kunden für eine einmalige Einführungs-Session, oder sie fragen einen mehrwöchigen Kurs mit unterschiedlichen Optionen an. Auch als Teil eines Workshops, Konferenzen oder Mandantenveranstaltungen sind Sessions beliebt und öffnen die Tür für Achtsamkeit und Meditation im Berufsalltag.

Es macht mir Freude zu erleben, wie Menschen, die Meditation praktizieren, die Praxis der Stille mehr und mehr schätzen und im Alltag etablieren. Sie profitieren von einer guten Konzentration, einem klaren Fokus, stärken ihre Gesundheit, gestalten bewusst das Miteinander und verbessern so die Zusammenarbeit. Achtsamkeit entwickelt sich in Zeiten der Digitalisierung zu einem immer bedeutenderen Wettbewerbsvorteil.

Über die Interviewpartnerinnen:

Marte Kamzelas
Meditations- und Achtsamkeitstrainerin

www.calma.us

Susanne Kleiner
freie PR-Beraterin, Texterin, Journalistin
und Mediatorin, München

www.susanne-kleiner.de

www.trainings-workshops-seminare.de

Quelle BECK Stellenmarkt 21/2018