„Bist du dir sicher, dass du deinen LL.M. in London nicht doch verschieben willst?“ Nicht nur einmal hörte ich diesen Satz im vergangenen Jahr. Ein Jahr, das nach meiner Zusage für ein LL.M-Studium an der renommierten London School of Economics and Political Science (LSE) und den äußerst unsicheren Bedingungen zu Corona-Zeiten, einer Achterbahnfahrt glich.
Mitten in der Pandemie ins Ausland ziehen?
Lange überlegen, ob ich meine Zusage wirklich annehmen und trotz Pandemie ins Ausland ziehen sollte, musste ich im Grunde nicht. Auf der Pro-Seite meiner Liste stand, dass ich viel Aufwand in den Bewerbungsprozess gesteckt und auch eine Menge Geld für beglaubigte Zeugnisübersetzungen und Sprachtests ausgegeben hatte.
Zudem stand damals der Brexit quasi unmittelbar vor der Tür, wodurch es wohl die letzte Gelegenheit sein könnte, als EU-Bürgerin in Großbritannien die Vorteile der deutlich niedrigeren Studiengebühren und Government-Darlehen zu genießen.
Ein weiterer großer Pluspunkt war natürlich die Zusage der Universität selbst, die LSE gehört immerhin zu den besten Law Schools der Welt. Wie hätte man so eine Chance nicht annehmen können? Corona-bedingt war auch eine Verschiebung des LL.M nicht möglich.
Was letztendlich aber den Ausschlag gab, war der eigentliche Grund, weshalb ich einen Master machen wollte. Ich wollte mich unbedingt akademisch weiterentwickeln, meinen Horizont erweitern und solche Rechtsbereiche vertieft kennenlernen, die für das Staatsexamen eher unbedeutend gewesen waren. Es ging mir nicht darum, meine Sprachkenntnisse auszubauen oder ein Auslandssemester mit Urlaubsflair zu erleben. Deshalb war ich auch bereit, das Risiko, meinen LL.M. im Online-Modus zu erleben, in Kauf zu nehmen.
Letztlich wurde mir auch bewusst, dass, selbst wenn mein Plan A durch die Pandemie nicht wie vorher ausgemalt laufen würde, auch mein Plan B oder C durch Corona beeinträchtigt sein würde. Warum dann also nicht einfach direkt doch Plan A angehen?
Das erste Trimester
Also wurden die Koffer gepackt und ab ging es nach London! Die LSE machte vorher deutlich, dass mit Unterricht in Präsenzform geplant wurde. Zu dieser Zeit waren die Restriktionen in London noch relativ locker. Nach einer „Welcome week“, inklusive einer Stadttour und einigen Pub-Abenden, fand das erste Trimester, das sogenannte Michaelmas term, statt.
Das Trimester ging von Ende September bis zu den Weihnachtsferien, wobei die Kurse tatsächlich teilweise in Präsenzform durchgeführt wurden. Der wöchentliche Unterricht an den britischen Universitäten unterteilt sich dabei grundsätzlich pro Kurs in eine „lecture“, die von Lehrpersonal geleitet wird, und in ein „seminar“. Beim „seminar“ werden die Inhalte der lecture nochmal diskutiert und es besteht die Möglichkeit, Fragen zu stellen.
Pandemiebedingt haben die Lehrenden ihre „lectures“ allerdings nicht auf dem Campus abgehalten. Diese wurden aufgezeichnet und jede Woche in ein Portal hochgeladen. Die „seminars“ hingegen fanden in Kleingruppen und unter Teilnahme des Lehrpersonals auf dem Campus statt. Dabei wurden gleichzeitig auch jene Studierenden per Videokonferenz hinzugeschalten, die pandemiebedingt nicht nach London kommen konnten.
Dieses aufwändige Konzept der LSE empfand ich als besonders. Meines Wissens nach sind die Anstrengungen der LSE, allen Studierenden gerecht zu werden, auch einmalig in England: Die meisten Universitäten, so etwa auch das berühmte King’s College nebenan, hielten ihren gesamten Unterricht von Anfang an ausschließlich digital ab.
Ein relativ normales Studienleben
An der LSE hatte dagegen sogar die Kantine auf - selbstverständlich alles unter Beachtung strenger Hygieneauflagen. Dadurch war es mir möglich, trotz Pandemie, ein relativ normales Studienleben in London zu führen: vor dem Unterricht auf dem Flur schwatzen, während der Pause zusammen in der Mensa essen oder abends in Kleingruppen auf der Dachterrasse Bier trinken – all dies sind Erfahrungen, welche den meisten Studierenden weltweit im vergangenen Jahr leider zumeist verwehrt geblieben sind.
Dass die LSE uns ein relativ normales Studienleben ermöglichen konnte, lag natürlich auch an den finanziellen Kapazitäten der Universität. Die LSE investiert viel in neue Ausstattungen und in die Entwicklung von Konzepten, die auf die Umstände der Pandemie ausgerichtet sind. So wurden allen Studierenden sowie dem gesamten Personal monatelang kostenlose Coronatests angeboten, die auf dem Campus in gesondert eingerichteten Räumlichkeiten durchgeführt wurden. Sogar gegen die Grippe konnte man sich kostenlos impfen lassen. Ein solcher Aufwand ist an einer staatlichen Universität in Deutschland wohl kaum vorstellbar.
Das zweite Trimester
Als Ende Dezember die Fallzahlen in die Höhe schnellten und das Land wieder in einen Lockdown versetzt wurde, wendete sich leider das Blatt. Die LSE kündigte an, dass das zweite Trimester, das sogenannten Lent term, vollständig digital stattfinden würde. Gerade auch als sogenannter „Student Representative“ meines LL.M.-Jahrgangs bekam ich hautnah mit, dass viele meiner Mitstudierenden von dieser Entscheidung sehr enttäuscht waren. Auch ich war nicht gerade begeistert von der Aussicht, keinen Präsenzunterricht mehr genießen zu können. Allerdings konnte ich die Entscheidung natürlich gut nachvollziehen.
Ich freute mich, dass uns die Universität aber die Möglichkeit einräumte, auf dem Campus zu lernen und dort auch Coronatests durchzuführen. Somit entschied ich mich dafür, das Beste aus der Situation zu machen. Ich richtete mir weiterhin Studientage in der Bibliothek oder den sogenannten „study spaces“ der LSE ein, um das Gefühl eines Auslandsstudiums in London weiterhin aufrecht halten zu können.
Die Klausuren im dritten Trimester
Die Prüfungen im dritten Trimester wurden dann, meiner Meinung nach fairerweise, jeweils als take-home Examen mit einem 24-Stunden-Zeitfenster abgehalten. Mit diesem Open-Book-Konzept wurde nichts Auswendiggelerntes abgefragt. Es wurde viel mehr das Anfertigen von originellen und kritischen Essays zu juristischen Fragestellungen geprüft – ein wahrer Kontrast zum deutschen Staatsexamen. Im Anschluss daran wird die Masterthesis geschrieben, die im August einzureichen ist. Da diese ohnehin auf reiner Eigenarbeit beruht, beeinflusst die Pandemie diesen Prozess nicht.
Fast normal: das LL.M Ende
Und so klingt das akademische Jahr 2020/21 in London langsam aus. Die ersten Abschiedstreffen am Campus werden geplant, mittlerweile sind fast alle Erwachsenen in England zumindest mit der ersten und viele bereits mit der zweiten Impfung ausgestattet, die Pubs haben schon lange wieder auf … Fühlt sich eigentlich fast normal an, dieses LL.M-Ende.
Über die Autorin:
Julia Richter
LL.M. an der LSE
Rechtswissenschaftsstudium
an der Universität Hamburg
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