Es gibt zwei Gründe, sich für einen juristischen Beruf zu entscheiden: 1. Sie müssen ein Einkommen erzielen, um Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. 2. Sie brennen für die Juristerei und gehen darin auf. Im Idealfall motiviert der Beweggrund Nr. 2 Sie so sehr, dass Ihnen die Notwendigkeit der Nr. 1 leicht von der Hand geht.*
1. Vom Luxus, nach beruflicher Erfüllung zu suchen
Wir Juristen leben in einer Zeit, in der wir uns den Luxus gönnen dürfen, nicht nur die Notwendigkeit eines Lebensunterhalts erfüllen zu müssen. Vielmehr können wir danach streben, unsere Arbeit mit möglichst viel Erfüllung, Zufriedenheit, Selbstbestimmtheit und Freude zu verrichten, einfach nur, weil die Arbeitsmarktlage derzeit günstig für uns ist. In dieser Freiheit liegt aber auch viel Eigenverantwortung. Sie setzt voraus, dass wir wissen, was wir wollen, wohin wir wollen und vor allem, warum wir das wollen: Hier beginnt Ihre berufliche Reise.
2. Warum haben Sie sich für Jura entschieden?
Die klassischen Berufswege sind Juraabsolventen wohl bekannt: Großkanzlei, mittelständische Kanzlei, Staatsdienst oder Unternehmensjurist. So wird im Laufe des Studiums schnell der „Wunsch“ in einem geformt, es müsste genau diese Kanzlei, dieses Unternehmen oder ein bestimmtes Richteramt sein, um „glücklich“ zu werden und als „erfolgreich“ zu gelten. Wird die hierfür erforderliche Examensnote nicht erreicht, scheinen sich die verheißungsvollen Türen wieder zu verschließen. Andere hingegen haben keinerlei Vorstellung davon, wo es für sie hingehen soll, einfach weil der Beweggrund für das Jurastudium auf den Einkommenserwerb beschränkt war.
Was sich Jura-Absolventen aber vielleicht gar nicht bewusst machen ist, dass Sie nach dem Studium und Referendariat erstmals frei sind; es gibt keinen Studienplan mehr der den Weg weitestgehend vorzeichnet. Plötzlich steht einem die Welt offen. Ein bunter Strauß an beruflichen Möglichkeiten macht es fast schon schwer, sich auf einen bestimmten Weg festzulegen und diesem auch treu zu bleiben, und zwar unabhängig von der Examensnote.
Doch sehen Sie all diese Möglichkeiten?
Ich erkannte sie zunächst nicht. Es wird zwar überall gepriesen, dass Sie als Jurist oder Juristin sehr viele Möglichkeiten haben. Aber plötzlich stehen Sie dann sprichwörtlich im Wald und sehen ihn vor lauter Bäumen nicht. In der Realität befindet sich der eine oder andere vielleicht in einer Sackgasse und fragt sich, wo sind sie, die viel beschworenen Möglichkeiten für Juristen? Vielleicht haben Sie schon nach kurzer Zeit im Beruf festgestellt, dass das, worauf Sie jahrelang hingearbeitet haben, gar nicht (mehr) das ist was Sie wollen. Oder Sie sind einfach unschlüssig, welchen Weg Sie einschlagen wollen.
3. Die Antwort liegt in Ihrem „Warum“
„Frag immer erst: Warum“ lautet der Bestsellertitel von Simon Sinek, der in seinem Buch darüber schreibt, warum manche Unternehmen und Privatpersonen erfolgreicher sind als andere. Es geht bei seinen Betrachtungen aber nicht um den objektiv messbaren Erfolg, sondern um innere Zufriedenheit im Berufsleben, auch zur Verringerung von Fluktuation in Unternehmen. Im Kern geht es darum herauszufinden, wofür Sie ganz persönlich brennen. Vielleicht lieben Sie Sport, Musik, sind ein Zahlenfetischist, beherrschen mehrere Sprachen oder können programmieren? Warum diese Leidenschaft von Ihrem Beruf trennen? Sie könnten als Jurist und Juristin im Sportrecht arbeiten. Wenn Sie ein gutes wirtschaftliches Verständnis haben, als Insolvenzverwalter in Schieflage geratene Unternehmen sanieren oder mit Programmierkenntnissen in der Legal-Tech-Branche die Durchsetzung von Rechtsansprüchen automatisieren. Selbst juristische Influencer sind keine Seltenheit mehr.
4. Die Anwaltszulassung ist Ihre Eintrittskarte in eine freie kreative Welt
Die Juristerei ist Ihr Handwerkszeug, unabhängig davon in welchem juristischen Beruf Sie tätig sind. Doch die Anwaltszulassung ist Ihre Eintrittskarte zu einem Marktplatz, auf dem Sie bestimmte Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten dürfen. Dieser Marktplatz ist nicht mehr nur analog, sondern auch digital. Sie können sich eine Zielgruppe aussuchen und diese gezielt, ohne große finanzielle Investitionen, digital ansprechen. Anders als Tech-Startups die oftmals auf Investoren angewiesen sind, müssen Sie kein Produkt im klassischen Sinne entwickeln, Sie sind das Produkt! Wie Sie dieses Produkt gestalten, liegt ganz bei Ihnen. Wer nach Freiheit, Unabhängigkeit strebt und in sich einen kreativen Freigeist rufen hört, dem sei das Leben als Freiberufler ans Herz gelegt.
* Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter (m/w/d).
Über die Autorin:
Romy Graske
ist als Syndikusrechtsanwältin in einem SaaS-Unternehmen tätig. Zudem berät sie in ihrer Kanzlei für Künstler Expats, Freiberufler, Künstler aber auch Digitalunternehmen zum grenzüberschreitenden mobilen Arbeiten mit dem Schwerpunkt Steuerrecht und zu Fragen der Künstlersozialversicherung.
Hierüber berichtet sie in ihren Blogs unter www.romygraske.de.
Dieser Artikel erschien erstmals als Beitrag in der Printausgabe Beck-Stellemarkt 04/23.