Ist Ihre Decke noch aus Glas? – Vielfältige Talentförderung auf dem Weg in die Partnerschaft

von Diane Manz

2018 waren 58,1% der AbsolventInnen des Jurastudiums weiblich (Pressemitteilung Bundesamt für Justiz 26.04.2020). Im Jahr 2017 wurden mit 52 Prozent erstmals mehr Frauen als Männer für den Anwaltsberuf zugelassen (Soldan Institut, 2019). Etwa 50% der Berufseinsteigerinnen in Kanzleien sind weiblich. Im Durchschnitt liegt der Anteil der Frauen, die dann später aus eigenen Reihen zur Partnerin ernannt werden, allerdings nur bei etwa 25%. Der grundsätzliche Anteil von Frauen in der Partnerschaft liegt aufgrund der langen Historie einer männerdominierten Profession bei den meisten Kanzleien noch deutlich darunter.

Strukturelle Barrieren als Ursache für die schleppende Veränderung?

Die Tendenz zur Veränderung ist da, die gläserne Decke nicht mehr überall so undurchdringbar wie früher, dennoch fällt es Kanzleien nach wie vor schwer, weibliche Talente dauerhaft zu binden und bis in die Partnerriege zu fördern. Und das ist letztendlich eine Lose-Lose-Situation für beide Parteien. Es ist ja nicht so, dass es einen Überfluss an männlichen Talenten gäbe, ganz abgesehen davon, dass es mittlerweile erwiesen ist, dass vielfältige Teams erfolgreicher sind. Karriere machen in einer Kanzlei ist für Frauen immer noch eine besondere Herausforderung, ebenso schwierig ist es für Männer als Anwalt in einer Kanzlei einen ausgewogeneren Work-Life-Fit zu bekommen. Die hier zugrundeliegenden Themen sind sich bei beiden Geschlechtern sehr ähnlich.

Zwar gibt es in vielen Kanzleien mittlerweile mehr oder weniger ausgefeilte Programme zur Frauenförderung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, häufig existieren diese allerdings stärker auf dem Papier als in der Realität. Rollenvorbilder, die diese Ansätze wirklich umsetzen und leben sind nach wie vor dünn gesät. Als Begründung, warum immer noch so wenig Partnerinnen ernannt werden, kommen aus Partnerschaft und Personalabteilung häufig die gleichen Argumente:

1) Viele Frauen gelangen gar nicht erst in den Pool der PartnerkandidatInnen

Sie machen zu einem früheren Zeitpunkt einen Karriereshift, da sie wenig Chancen in Kanzleien sehen, Familie und Karriere unter einen Hut zu bekommen. Eine Partnerin einer Großkanzlei hat auf die Frage ‚Welchen Rat würden Sie jüngeren Juristinnen mitgeben?‘ in einem Interview gesagt, dass man selbst als Frau die Initiative ergreifen muss: ‚Es wird keiner kommen und sagen: Toll, dass du da bist. Jetzt schauen wir mal, wie wir gemeinsam die Hürden beseitigen.‘ Warum eigentlich nicht?

2) Frauen wollen gar nicht Partnerin werden

Das mag auf manche Frauen zutreffen, mittlerweile auch auf manche Männer. Verallgemeinert man deshalb, dass niemand Partner werden will?

3) Teilzeitarbeit kann die Mandantenansprüche nicht in ausreichendem Maße erfüllen

Hier wäre es grundsätzlich einmal interessant, den Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu überprüfen. Man hört doch mittlerweile häufiger, dass MandantInnen sich sehr gut und ohne Nachteile auf flexible Arbeitszeitmodelle ihrer Anwältinnen einstellen können. Zumal von den Auftraggebern jetzt schon häufig Diversität im Beratungsteam explizit gefordert wird und sich gerade größere Unternehmen bereits als Vorbild für die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf präsentieren.

4) Jobsharing ist keine Option

Ein Personalchef einer großen Kanzlei hat einmal in einem Interview gesagt ‚Sich ein Mandat zu teilen, funktioniert nicht. Das ist wie bei einer Herz-OP: Die macht auch ein Chirurg von Anfang bis Ende‘. Nur dass ein Mandat eben keine Operation am offenen Herzen ist. Und bereits mindestens eine Kanzlei macht vor, dass Jobsharing sogar im Transaktionsbereich funktionieren kann.

So gelingt die Förderung in der Kanzlei – vorurteilsfrei und zukunftsorientiert

Nichtsdestotrotz können es sich Kanzleien auch in der Zukunft nicht leisten, den Aufstieg von Frauen in die Partnerschaft mit niedriger Priorität hintenanzustellen. Natürlich ist das keine reine Bringschuld der Kanzlei, auch frau selbst kann sehr viel dafür tun, ihre Karriereentwicklung positiv zu beeinflussen. Es ist grundsätzlich ein Geben und Nehmen, das am Ende dazu führt, dass alle AnwältInnen ihr volles Potential ausschöpfen können. Die folgenden Punkte geben eine Anregung, was man als Kanzlei tun kann, um diesen Prozess zu unterstützen:

1) Nehmen Sie die Sache ernst!

Es gibt wenig Schlimmeres als eine Kanzlei, die in sämtlichen Recruitment-Aktivitäten Frauenförderung und eine entsprechend vielfältige Kultur verspricht und im wahren Leben nichts davon einhalten kann. Es geht um mehr als um Programme, die vom oberen Management, der Personalabteilung und den wenigen Frauen in der Partnerschaft vorangetrieben werden. Es braucht eine offene Haltung, die sich durch alle Reihen der Kanzlei durchzieht und wirklich gelebt wird. Hierzu gehört auch, Rollenvorbilder zu stärken und zugänglich zu machen.

2) Sprechen Sie über langfristige Karriereziele, Erwartungen und Möglichkeiten!

Viel zu oft wird – nicht nur mit Frauen – zu wenig konkret über langfristige Karriereziele gesprochen. Und wenn sie dann schwanger sind, erübrigt sich das ja von selbst. Je früher in der Karriere klare Ziele sowie die daran geknüpften Erwartungen von beiden Seiten thematisiert werden, umso deutlicher eröffnen sich Möglichkeiten, auf die dann ganz gezielt hingearbeitet werden kann. So kann schon lange vor einer möglichen Schwangerschaft deutlich gemacht werden, dass ein Kind keinen Karriereknick bedeuten muss.

3) Schaffen Sie ein sicheres Umfeld, in dem Frauen sich trauen!

Leider ist es immer noch häufig so, dass Frauen sich weniger zutrauen und dementsprechend weniger nach vorne treten, wenn es um Herausforderungen und Innovation geht. Ein angstfreier Raum, in dem Vertrauen herrscht, eine angemessene Fehlerkultur praktiziert wird und Mitarbeitende gleichermaßen gefordert wie gefördert werden, eröffnet die Möglichkeit, hier ein wenig ‚wagemutiger‘ zu sein.

4) Implementieren Sie vorurteilsfreie Prozesse!

Klar strukturierte Prozesse für Einstellungen, Gehaltserhöhungen, Boni und Beförderungen, die durch eine neutrale Gruppe an Entscheidern, wie z.B. ein entsprechendes Komitee, begleitet werden, geben beiden Geschlechtern gleichwertigere Chancen und fördern damit vorurteilsfreie Entscheidungen. Führungskräfte zu z.B. Unconscious Bias zu schulen, liefert hier einen weiteren Mehrwert.

5) Bieten Sie Elternzeit-Coaching an!

Die Begleitung von Vorbereitung der Elternzeit bis zum Wiedereinstieg durch einen professionellen Coach erleichtert insbesondere die Umstellung auf die neue Doppelrolle als Mutter und Berufstätige und unterstützt klare Kommunikation, Zielfindung mit der Kanzlei und die erfolgreiche Umsetzung. Mit diesem Angebot machen Sie deutlich, dass Ihnen die langfristige Zusammenarbeit wichtig ist und Sie eine entsprechende erfolgreiche Weiterentwicklung fördern möchten.

6) Unterstützen Sie Ihre Mitarbeitenden durch ganz praktische Dinge!

Ob das jetzt die Zusammenarbeit mit einem Familien-Service zur Notfall-Kinderbetreuung ist, das Eltern-Kind-Büro oder ein Platzkontingent in einer Kita mit besonders guten Öffnungszeiten, alles was Sie anbieten, um eine bessere Organisation zu unterstützen, ist hilfreich und wird von Mitarbeitenden sehr geschätzt. Auch ein Reinigungs- oder Einkaufsservice schenkt Zeit, die besser genutzt werden kann, ebenso der Yogakurs oder das Massageangebot vor Ort. Jeder praktische Mehrwert spart Zeit, Energie und Nerven.

7) Distanzieren Sie sich deutlich von herabsetzendem Verhalten!

Es mag zwar nicht immer gleich in der Zeitung stehen, aber stillschweigend geduldetes herabsetzendes Verhalten schadet der Kanzleikultur sehr. Ob das jetzt dumme Sprüche sind wie ‚Zieh Dir morgen zum Mandanten-Meeting was Schönes an‘, die Hand auf dem Po oder Schlimmeres, irgendwer hat es mitbekommen und darüber wird geredet. Und in einem solchen Umfeld fühlt man sich weder sicher noch respektiert, und wohl schon gar nicht. Vermitteln Sie nicht, dass man lernen muss, damit professionell und ohne Zicken umzugehen, sondern dass ein solches Verhalten ausdrücklich nicht geduldet und gegebenenfalls entsprechend geahndet wird. Und tun Sie es dann auch.

8) Fördern Sie das Netzwerken!

Eine erfolgreiche Karriere lebt von einem guten Netzwerk. Je früher dieses aufgebaut wird, umso besser. Das betrifft sowohl das Netzwerken mit potentiellen und bestehenden Mandanten als auch das Kennenlernen möglichst vieler Menschen innerhalb der Kanzlei, standort- und länderübergreifend. Fördern Sie, dass man sich austauscht, über Erfolge, Herausforderungen und Ideen. Ermutigen Sie insbesondere Frauen, sich z.B. branchenspezifischen Netzwerken anzuschließen und in den aktiven Austausch zu gehen. Das erhöht die Sichtbarkeit und stärkt dazu noch das Selbstvertrauen.

Die Umsetzung solcher Maßnahmen und insbesondere die Entwicklung hin zu einer vorurteilsfreien, vielfältigen und talentfördernden Kultur funktioniert nicht von heute auf morgen. Jeder einzelne Schritt macht jedoch bereits einen Unterschied. Insbesondere eine entsprechende Haltung kann schon sehr viel verändern. Wichtig ist auch, sich von Stolpersteinen nicht beirren zu lassen. Die Arbeit an der gläsernen Decke ist mühsam, aber sie lohnt sich.

 

Über die Autorin:

Diane Manz
Dipl.-Psychologin und systemischer Business Coach