Trauer am Arbeitsplatz

von Susanne Kleiner, freie PR-Beraterin, Texterin, Journalistin und Mediatorin, München

Wer einen geliebten Menschen verliert, gerät aus der Bahn. Führungskräfte und Kollegen sind oft unsicher und weichen aus. Betroffene funktionieren nicht mehr so wie vor dem Tag X. Die Stimmung im Büro leidet. Verantwortungsvolle Arbeitgeber lassen verzweifelte Kollegen nicht allein. Denkanstöße für einen mitfühlenden und wertvollen Umgang mit Trauer im Kanzleialltag.

Sprachlosigkeit überwinden

Todesfälle spülen die eigene Vergänglichkeit an die Oberfläche. Nicht ohne Grund tabuisieren Menschen das Sterben. Auch der dynamische Kanzleialltag – exzellente Leistungsversprechen inklusive – hat persönliche Tiefschläge nicht auf dem Radar. Das heißt: Wenige wagen sich an Trauernde heran. Nach dem Motto „Ich sage lieber nichts, dann kann ich nichts falsch machen“ distanzieren sich unsichere Gemüter genauso wie jene, die denken: „Er oder sie kann ja etwas sagen, wenn ihm oder ihr danach ist.“ Totschweigen isoliert. Es geht nicht darum, große Reden zu schwingen. Brücken baut, wer sich ehrlich zuwendet und die Überforderung thematisiert. Etwa so: „Mir fehlen die Worte. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Gibt es etwas, das ich für Sie tun kann?“ Wer selbst betroffen ist und das beklemmende Schweigen wahrnimmt, kann Berührungsängste eindämmen. Starke Charaktere sprechen aus, was ihnen gut tut und sie benennen, was sie im Moment zu leisten außerstande sind.

„business as usual“ funktioniert nicht

Wertschätzung und Interesse bekunden Führungskräfte, die sich direkt persönlich an trauernde Mitarbeiter wenden. Dabei gilt: Das Beileid mitfühlend zu bekunden, ist unverzichtbar. Schriftlich oder mündlich den richtigen Ton zu treffen, verbindet. In Tränen auszubrechen ist fehl am Platz. Denn nur wer selbst stark ist, unterstützt andere wirksam. Erleichternd sind Fragen wie „Was brauchen Sie jetzt?“, „Wollen Sie darüber sprechen?“, „Wie möchten Sie im Team kommunizieren oder soll ich das in Ihrer Abwesenheit übernehmen?“. Sensibilität beweisen Chefs, die klären, ob ihre Teilnahme an der Beerdigung willkommen ist. Wer ein Kind oder den Partner verloren hat, möchte sich womöglich in diesem emotionalen Augenblick nicht zeigen. Hinzu kommt: Für verwitwete Mütter oder Väter kann es sinnvoll sein, die Arbeitszeit vorübergehend flexibler zu gestalten. Wichtig ist es, im Gespräch zu bleiben und gemeinsam zu entscheiden. Wertebewusste Chefs gehen mit gutem Beispiel voran und prägen die Kultur der Verbundenheit in schwierigen Zeiten. Und sie kommunizieren im Team. Damit brechen sie das Schweigen und beleben die Werte der Kanzlei als unterstützender Arbeitgeber.

Ratschläge sind auch Schläge

Jeder trauert anders. Was dem einen geholfen hat, muss für jemand anderen noch lange nicht richtig sein. Manche begrüßen Normalität und erholen sich bei der Arbeit regelrecht. Andere wiederum stellen sich die Sinnfrage, der Abschiedsschmerz nagt oder sie schwelgen dankbar in Erinnerungen. Diese Trauernden sind oft unkonzentriert oder überfordert. Achtsame Kollegen nehmen bewusst wahr, wie Trauernde „ticken“. Sie verzichten auf Ratschläge wie „Das Leben muss weitergehen. Stürz dich in die Arbeit“, „Die Zeit heilt alle Wunden. Lass dich nicht hängen“ oder „Ich habe das so gemacht. Das hilft auf jeden Fall.“ Mitfühlende Mitmenschen haben ein offenes Ohr und sind zurückhaltend präsent. Ein Beispiel: Mit Fingerspitzengefühl bieten sie an, gemeinsam Pause zu machen und eine Runde um den Block zu drehen. Während der normale Alltag das Team rasch einholt, hält die Trauer bei den Betroffenen an. Trauer ist Stress. Angehörige realisieren nach und nach, dass der Verlust endgültig ist. In der Langzeitphase helfen Fragen wie: „Wie geht es Ihnen inzwischen? Was macht die Trauer?“ So zeigen gute Gesprächspartner, dass die Trauer etwas Losgelöstes ist, das gehen darf und keineswegs eine neue Identität des Trauernden für den Rest seines Lebens begründet.

Wenn im Büro eine Lücke klafft

Wenn ein Schreibtisch unbesetzt bleibt, ist Trauerarbeit besonders wichtig. Ganz gleich, ob Kollegen überraschend versterben oder nach langer Krankheit gehen: Besonnene Führungskräfte kommunizieren den Todesfall klar und einfühlsam. Das tun sie mündlich oder schriftlich – so wie es organisatorisch passt. Und sie geben Raum zum Innehalten. Das kann eine Schweigeminute sein. In gravierenden Fällen binden sie Trauerbegleiter ein und ermöglichen es den Mitarbeitern, sich über Gefühle und Gedanken auszutauschen. Auch Rituale zum Jahrestag können erbaulich sein. Genauso elementar ist es, mit der Familie des Verstorbenen in Kontakt zu treten, Beileid zu bekunden und Unterstützung anzubieten. Ein individuell formulierter Trauerbrief vermittelt Wertschätzung. Vorsicht vor Textbausteinen. Trauernde sind sehr sensibel. Eine würdigende Traueranzeige dokumentiert Respekt.

Umgang mit Trauer kultivieren

Bewusste Kanzleien gestalten eine Unternehmenskultur, die Sterbefälle einschließt. Sie regeln in normalen Zeiten: Wer ist Ansprechpartner für die Betroffenen? Welcher Mitarbeiter ist als Kommunikator gegenüber Mandanten, Geschäftspartnern oder der Presse geeignet, wenn der Chef stirbt? Welche Angebote helfen uns und Individuen, gestärkt aus Krisen hervorzugehen? Kanzleien, die menschlich punkten, gestalten Verbundenheit im Team, fördern Loyalität und entwickeln Charakter, der auch nach außen ausstrahlt.  

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Quelle BECK Stellenmarkt 3/2017