Prüfungsvorbereitung in Krisenzeiten

von Andrea Jost

Die Digitalisierung ist nicht erst seit der Corona-Pandemie auch in der Prüfungsvorbereitung ein zentrales Thema. Schon seit längerem werden die Forderungen nach zeitgemäßen Lehrgangsformaten immer drängender. Gefragt sind möglichst kleine Einheiten auf vielen Kanälen: Hören, Sehen, Sprechen, Mitmachen… Lernen darf nicht als lästige Pflicht, sondern soll vielmehr als multimediales Erlebnis mit größtmöglicher Flexibilität wahrgenommen werden. Weniger Text und mehr Schemata, der Lernstoff soll eher konsumiert als erarbeitet werden. Je jünger die Teilnehmer, desto digitaler denken und lernen sie.

Spagat zwischen Digitalisierung und erfolgreicher
Prüfungsvorbereitung 

Das stellt die Kursanbieter nicht nur vor die Herausforderung, den digitalen Wandel in technischer und finanzieller Hinsicht zu meistern. Es erfordert darüber hinaus den Spagat zwischen einer zeitgemäßen und gleichzeitig „prüfungsnahen“ Vorbereitung zu schaffen. So besteht beispielsweise die Steuerberaterprüfung aus drei sechsstündigen Klausuren, die an drei aufeinanderfolgenden Tagen geschrieben werden – und zwar nicht am Computer, sondern seit vielen Jahrzehnten unverändert mit Stift und Papier. Eine Klausurbearbeitung umfasst nicht selten mehr als 50 Seiten. In den Prüfungsaufgaben geht es um komplexe Sachverhalte, deren Bewältigung ein langes Training erfordert, nicht nur intellektuell, sondern auch physisch, da in der Praxis immer weniger handschriftlich gearbeitet wird.

Wie gelingt es, einerseits dem Wunsch nach einer digitalen Prüfungsvorbereitung zu entsprechen und andererseits den Teilnehmer möglichst prüfungsnah und erfolgreich auf eine Prüfung vorzubereiten, die mit Stift und Papier geschrieben wird?

Digitalisierung der Prüfungsvorbereitung ist ein langwieriger Prozess

Neben den technischen und organisatorischen Herausforderungen müssen die Kursanbieter insbesondere über Dozenten verfügen, die sich ohne Scheu auf das digitale Abenteuer einlassen und neue Lehrmittel und Unterrichtsformen wie Tablets, Webinare und Livestreams einsetzen, um nur einige zu nennen. Gerade im Steuerrecht ist es eine besondere Herausforderung, komplexe Themen so aufzubereiten, dass dem Lernenden das notwendige strukturierte Wissen auch in digitaler Form vermittelt wird, ganz zu schweigen von der richtigen Klausurtechnik.

Da in diesen Formaten insbesondere der persönliche Kontakt der Teilnehmer zum Dozenten sehr eingeschränkt ist und das Gefühl der „Leidensgemeinschaft“ eines Präsenzkurses fehlt, ist es wichtig, den Unterricht so aufzubereiten, dass der Teilnehmer auch über einen längeren Zeitraum hinweg motiviert mitarbeitet. Dies gelingt nur, indem der Lehrstoff und dessen Vermittlung mit interaktiven Elementen gestaltet wird, bei dem der Lernende nicht einfach nur von der Stimme des Dozenten „berieselt“ wird, sondern sich aktiv in den digitalen Unterricht einbringen kann. Wenn diese Angebote bestehen, werden sie auch rege angenommen: Unsere Erfahrungen zeigen, dass im Vergleich zum Präsenzunterricht die Teilnehmer bis zu viermal so viele Beiträge liefern, wenn dieselbe Veranstaltung als Live-Online-Training mit Feedback- und Interaktionsmöglichkeiten durchgeführt wird.

Die größere Anonymität ermutigt die Teilnehmer zudem, schneller und häufiger Fragen zu stellen. Damit der Unterricht für alle Teilnehmer einen didaktischen Wert hat und der Dozent sich auf die Stoffvermittlung konzentrieren kann, ist es sinnvoll, die Teilnehmerbeiträge – die manchmal auch lediglich Kommentare zum Unterricht darstellen – vorab für den Dozenten zu filtern, z. B. durch den Einsatz von fachlich versierten Co-Moderatoren, die während des Live-Online-Trainings auch inhaltliche Fragen der Teilnehmer beantworten. Damit ist auch der Kontakt des Lernenden zum Dozenten und zur Gruppe hergestellt. Auch die für das Selbststudium konzipierten Lehrmaterialien sollten mit zahlreichen Übungsfällen und Lehrvideos durchsetzt sein, um die Eintönigkeit langer Texte am Computer zu durchbrechen und dem Lernenden Interaktionsmöglichkeiten und somit ein digitales Erfolgserlebnis zu verschaffen.

Fortschritt durch die Krise

Die Corona-Pandemie hat auch die Kursanbieter vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Die Einzelheiten sind bekannt: Homeoffice, Quarantäneverfügungen, Veranstaltungsverbote, Wiederaufnahme des Lehrbetriebs mit Hygienekonzepten etc. Für Prüfungskandidaten mit Kindern war oftmals bis zu den Sommerferien der Besuch von Präsenzkursen – wenn überhaupt zulässig – angesichts geschlossener Kitas und Schulen organisatorisch gar nicht möglich. Im Ergebnis hat die Corona-Krise damit den Digitalisierungsprozess auch in der Prüfungsvorbereitung
unerwartet beschleunigt und die Akzeptanz, digital zu lehren und zu lernen bei allen Beteiligten deutlich erhöht. Dozenten, die sich früher ausschließlich im Präsenzunterricht sahen, entwickelten sich zu Leinwandhelden, aus E-Learning-Phobikern wurden Digitalprofis.

Ein schlüssiges und durchgängiges digitales Vorbereitungskonzept bietet den Kursanbietern die Möglichkeit, auf alle denkbaren Entwicklungen reagieren zu können, ohne Einschränkungen an der Qualität und am Umfang ihres Lehrangebotes hinnehmen zu müssen. Den Teilnehmern gibt die Möglichkeit, ihre gesamte Prüfungsvorbereitung auch in Krisenzeiten bei Bedarf vollumfänglich mit digitalen Medien absolvieren zu können, ein Höchstmaß an Sicherheit, das für die Vorbereitung auf die Prüfung und die
erforderliche Konzentration entscheidend ist.

Der Umstieg auf die digitalen Unterrichtskonzepte war jedoch ohne Zweifel auch für die Teilnehmer eine große Herausforderung. Die Verlagerung der beruflichen Tätigkeit in die eigene Wohnung, oftmals kombiniert mit Kinderbetreuung und Homeschooling, stellen die häusliche Ruhe und Konzentration vieler Teilnehmer auf eine harte Probe. Wer im Homeoffice arbeitet, hat oftmals schon viele Stunden am Computer verbracht, bevor er mit dem Lernen auf die Prüfung beginnen kann. Außerdem ist Selbstdisziplin gefragt: Schnell mal auf Facebook neue Posts zu checken oder der Gang zum Kühlschrank erscheint zuweilen attraktiver als die Voraussetzungen für die Wirksamkeit eines Einspruchs nach den Vorschriften der AO zu pauken.

Andererseits wäre vielen Teilnehmern in Zeiten von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen ohne die Möglichkeiten der digitalen Prüfungsvorbereitung eine Teilnahme an der diesjährigen Steuerberaterprüfung nicht möglich gewesen. Sei es, wegen persönlicher Bedenken, eine Präsenzveranstaltung zu besuchen oder weil es organisatorisch aufgrund der Kinderbetreuung nicht möglich gewesen wäre. Viele Teilnehmer sind positiv überrascht von den Möglichkeiten und Vorteilen des Online-Lernens und haben ihre Vorbehalte schnell überwunden. Hinzu kommen die bekannten Vorteile des E-Learnings wie die Ersparnis von Zeit und Kosten.

Wenn es dem Lehrgangsanbieter gelingt, durch ein stringentes und qualitativ hochwertiges Konzept, das auf die speziellen Anforderungen des Lehrens und Lernens mit digitalen Medien abgestimmt ist, den vermeintlichen Nachteil der fehlenden räumlichen Präsenz auszugleichen, stellt diese Unterrichtsform eine absolut gleichwertige Alternative zu einer klassischen Prüfungsvorbereitung in Präsenzkursen dar. Die Corona-Pandemie hat damit im Ergebnis die Entwicklung hin zu einer zeitgemäßen Prüfungsvorbereitung deutlich beschleunigt. Abzuwarten bleibt, ob sich die Digitalisierung des Steuerberaterexamens selbst einem ebenso raschen Wandel unterziehen wird – im Juristischen Staatsexamen gibt es dazu bereits die ersten Schritte.

Über die Autorin:

Andrea Jost
Dipl.-Kauffrau, Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin
geschäftsführende Gesellschafterin des Steuerrechts-Instituts
KNOLL GmbH in München

Quelle DStR 43/2020