
Gleich mehrere aktuelle Gesetzesvorhaben zielen auf das dauerhafte Nutzbarmachen der Vorteile von Digitalisierung für die Gerichte ab, etwa die digitale Aufzeichnung von Hauptverhandlungen oder die Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in Verfahren der Zivil- und Fachgerichtsbarkeiten.1 Ganz allgemein können dabei technische, organisatorische oder datenschutzrechtliche Hürden entstehen, die sich mittlerweile eigentlich alle durch Fachkompetenz und Geld überwinden lassen.
Im Folgenden sollen die Besonderheiten verdeutlicht werden, wenn zu einer Verhandlung per Videokonferenz ein Dolmetscher hinzugezogen wird. Referenz ist dafür der entsprechende Gesetzentwurf (Bundestag-Drucksache 20/8095, 23.08.2023).2
Grundsätzlich ist für Verhandlungen unter Einsatz von Dolmetschern zu berücksichtigen, dass
- zum Deutschen (zeitgleich) eine weitere Sprache gesprochen wird, und dass
- der Dolmetscher für seine Tätigkeit „schärfer“ hören und sehen muss.
Als Antwort auf die veränderten Bedingungen durch den Einsatz von Videokonferenztechnik im Gerichtssaal können wir auf die Expertise aus anderen Dolmetschsettings zurückgreifen, in denen das sog. Ferndolmetschen nicht erst „seit Corona“ zum Alltag gehört.
Ferndolmetschen: Komplexe Konstellationen durch unterschiedliche räumliche Anordnungen
Laptop aufklappen, los geht’s? So einfach ist es leider nicht. Allein die möglichen unterschiedlichen räumlichen Konstellationen – die jeweils eine andere Technische Ausstattung verlangen – zeigen die Komplexität auf:
- alle Personen bis auf eine sind vor Ort anwesend;
- zwei oder mehr Personen befinden sich an einem anderen, gemeinsamen Ort außerhalb des Gerichtssaals;
- zwei oder mehr Personen befinden sich an unterschiedlichen Orten außerhalb des Gerichtssaals;
- alle Personen befinden sich an unterschiedlichen Orten, niemand im Gerichtssaal.
Technische Komplexität erfordert kompetente Betreuung
Die technische Komplexität steigt, je mehr unterschiedliche „Orte“ vorhanden sind (Internetverbindung!); die (technische) Kontrollierbarkeit sinkt. Darüber hinaus wird das Setup umso komplexer, je mehr Dolmetscher für unterschiedliche Sprachen gleichzeitig eingesetzt werden. Eine Betreuung durch einen Techniker ist unumgänglich, auch um kurzfristige Störungen möglichst schnell beheben zu können. Die Konferenzsoftware sollte über mehrere Audiokanäle verfügen. Das, was der Dolmetscher der fremdsprachigen Person im Gerichtssaal zeitgleich leise ins Ohr dolmetscht, muss sonst zeitversetzt (und so für alle hörbar) erfolgen – mit dreifachem Zeitaufwand. Jede weitere simultan zu dolmetschende Sprache bedeutet also einen Audiokanal mehr.
Normgerechte Ton- und Bildübertragung sicherstellen
Damit der Dolmetscher eine Äußerung vollständig erfassen kann, muss er gut hören und die sprechende Person auch gut sehen können (Mimik, Gestik, Haltung). Entsprechend müssen Richtmikrofon, Kamera, Beleuchtung nicht nur vorhanden, sondern auch eingeschaltet und optimal ausgerichtet sein. Dabei sind jeweils die spezifischen technischen Anforderungen der einschlägigen Normen3 zu beachten. Da nicht nur aus der Fremdsprache ins Deutsche, sondern auch aus dem Deutschen in die andere Sprache gedolmetscht wird, muss jede anwesende Person optimal zu hören und zu sehen sein. Sollten mehrere Personen an einem Ort sein, ist eine Kamera für das Raumgeschehen erforderlich, um das Verständnis zu sichern.
Zwingend: hochwertiges Dolmetschequipment und angemessene Umgebungsbedingungen
Daraus ergeben sich Anforderungen an die technische Ausstattung des Dolmetschers – mehrere große Bildschirme und gute Kopfhörer. Doch allein durch die Onlineübertragung sinkt die Tonqualität, oft kommen Störgeräusche oder Aussetzer hinzu. Es treten weitere störende Faktoren wie fehlende Synchronizität zwischen Ton und Lippenbewegung auf; Hall in einem Raum oder die Nichtverwendung eines Richtmikrofons erzeugen einen diffusen Klang. Jeder Störfaktor kostet Konzentration und lässt so (nicht nur) den Dolmetscher schneller ermüden. Und: die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt. Daher sind für den Dolmetscher ein schallisolierter Raum und regelmäßige Pausen absolut unverzichtbar. Vor diesem Hintergrund wird auch klar, warum es ebenso unzumutbar ist, im Anwaltsbüro zu dolmetschen, wie als Dolmetscher die fremdsprachigen Personen in den eigenen Räumlichkeiten. Letzteres auch aus dem praktischen Grund, dass die meisten Dolmetscher kein externes Büro haben.4
Unterschätztes Risiko Gehörschaden
Doch nicht nur die Konzentration leidet bei nicht dolmetschgerechten Arbeitsbedingungen, sondern auch das Gehör. Bei schlechtem Equipment liegt dies auf der Hand. Gefahren entstehen jedoch auch bei falscher Verwendung: durch unbeabsichtigte Knallgeräusche und sog. toxic noise beispielsweise, die Knalltraumata, Tinnitus, Geräuschüberempfindlichkeit und Schwerhörigkeit verursachen können. In einer internen Befragung unter den für das Europäische Parlament tätigen Dolmetschern gaben 43 % an, unter Beeinträchtigungen des Gehörs zu leiden, die subjektiv direkt auf die Arbeitsbedingungen beim Ferndolmetschen der vorangegangenen zwei Jahre zurückgeführt werden.5 Es kann davon ausgegangen werden, dass die Technik hier einwandfrei war.
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1 Bis Redaktionsschluss lagen die Gesetzesentwürfe der Regierung dem Bundestag zwar vor, die Abgeordneten hatten sich aber noch nicht damit befasst.
2 Alle folgenden Punkte betreffen durch das 5. VwVfÄndG auch das BAMF, Ausländerbehörden und alle weiteren Ämter.
3 DIN EN ISO 20108:2018 Simultandolmetschen – Qualität und Übertragung von Ton- und Bildeingang, DIN EN ISO 20109:2016 Simultandolmetschen – Ausstattung – Anforderungen, DIN EN ISO 24019:2022 Simultandolmetschplattformen – Anforderungen und Empfehlungen, DIN 8578:2021-11 Konsekutives Ferndolmetschen – Anforderungen und Empfehlungen.
4 Lebensweltlich wie steuerrechtlich ist der Mittelpunkt der Berufsausübung der Einsatzort.
5 „Gesundheitsrisiko Ferndolmetschen“ in MDÜ 5-6/21-22, https://xl8.link/MDUE_5-6_21-22_GesundhRisikoFerndolm.pdf
Erfahren Sie in weiteren Beiträgen mehr über die Arbeit von Dolmetscherinnen und Dolmetschern:
- Als Übersetzerin im Auswärtigen Amt
- Die Situation des Dolmetschers bei polizeilichen Vernehmungen
- Der Honoraranspruch von Dolmetscherinnen und Dolmetschern
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Über die Autorin:
Elvira Iannone, Dipl.-Dolm.,
ist Politische Geschäftsführerin im Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e.V. (BDÜ). Zuvor war sie viele Jahre als Dolmetscherin und Übersetzerin sowie in der außer-/universitären Aus- und Weiterbildung von Dolmetschern in Österreich und Deutschland tätig.
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Der Beitrag wurde erstmals in der NJW 44/23 veröffentlicht.