Beeidigte Dolmetscher bzw. Übersetzer – braucht man die überhaupt?

von Dr. Thurid Chapman, staatlich geprüfte und öffentlich bestellte Dolmetscherin und Übersetzerin für die englische Sprache

Juristen, die häufig mit fremdsprachigen Mandanten oder Betroffenen konfrontiert sind, werden zum Zwecke der Kommunikation schon häufiger die Dienste auch eines allgemein beeidigten Dolmetschers oder Übersetzers in Anspruch genommen haben. Da die Gerichtssprache in der Bundesrepublik Deutsch ist, werden mündliche Verhandlungen mit nichtdeutschsprechenden Beteiligten regelmäßig unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers durchgeführt. Die Erfahrungen in solchen Verhandlungs- oder Kommunikationssituationen sind sicher in der Regel unproblematisch, aber auch nicht immer positiv. Dafür ist in vielen Fällen bereits die durch den Einsatz eines Dolmetschers geänderte Gesprächssituation verantwortlich, denn der eigentliche Diskurspartner ist nur durch ein zwischengeschaltetes Element – den Dolmetscher – kommunikativ erreichbar. Überträgt der Dolmetscher simultan, entstehen Nebengeräusche, die sonst nicht da sind und die die Konzentrationsfähigkeit der Anwesenden durchaus herausfordern können. Überträgt der Dolmetscher konsekutiv, also nachdem der jeweilige Sprecher seine Rede beendet hat, gibt es zwar keine als störend empfundenen Nebengeräusche, aber der Zeitaufwand hat sich nahezu verdoppelt. Gleichzeitiges Reden oder schnell wechselnde Sprechersituationen mit mitunter sogar teilweisen zeitlichen Überlappungen der Redebeiträge sind in der natürlichen mündlichen Kommunikation nicht unüblich, bei verdolmetschter Kommunikation aber in der Regel eine Herausforderung für den Dolmetscher oder die Dolmetscherin.

Diese Besonderheiten treffen universal auf alle nicht durch technische Anlagen unterstützte Dolmetschsituationen zu und sind auch durch den Einsatz eines beeidigten Dolmetschers nicht vermeidbar. Vermeidbar sind allerdings Situationen, in denen der Dolmetscher nach Worten ringt, Begriffe nicht kennt, auch mit speziellen Verhandlungs- oder Gesprächsinhalten (wie z. B. Gutachten) oder -situationen (z. B. emotional angespanntes Verhalten, Videokonferenzen usw.) nicht souverän umgehen kann oder mit Beteiligten fraternisiert.

Übersetzungen wiederum betreffen das geschriebene und nicht das gesprochene Wort und stellen in der Regel diejenigen, die sich der Übersetzung eines Dokuments bedienen müssen, vor keine besonderen Probleme. Dennoch treten – und nicht immer nur sehr selten – in Bezug auf die Übersetzung selbst Schwierigkeiten auf. Übersetzungen können fehlerhaft, unvollständig oder unverständlich sein. Es können unzulässige Zusammenfassungen oder Inhaltsänderungen vorgenommen worden sein. Wahrscheinlich kennt gerade bei für den Rechtsverkehr wichtigen Unterlagen jeder Übersetzer die Situation, in der der Kunde „kleine“ Änderungen zu seinen Gunsten wünscht und nicht erfreut ist, wenn der verantwortungsbewusste Übersetzer dem Kunden mitteilt, dass er diese weder vornehmen kann noch wird und zwar auch dann nicht, wenn er aufgrund dessen den Auftrag nicht erhält und dadurch einen finanziellen Verlust erleidet.

Anforderungsprofil von Dolmetschern / Übersetzern im Bereich Recht

Angesichts dieser Sachverhalte ist der im Bereich Recht tätige Dolmetscher und/oder Übersetzer in eine besondere Verantwortung gestellt und muss einem bestimmten Anforderungsprofil gerecht werden. Für dieses Anforderungsprofil gibt es in der Bundesrepublik Deutschland das Tätigkeitsbild des allgemein beeidigten Übersetzers bzw. Dolmetschers. Allgemein beeidigte Übersetzer bzw. Dolmetscher müssen in der Regel ihre Expertise bzw. ihre Qualifikation für den Bereich Rechtsdolmetschen/Rechtsübersetzen wie auch ihre persönliche Eignung nachweisen. Erfordernisse wie Geheimhaltung, Vertraulichkeit oder Neutralität gelten für alle Dolmetscher und Übersetzer generell, aber für die allgemein beeidigten ganz besonders. Auch beim Einsatz eines solchen Übersetzers oder Dolmetschers lassen sich Probleme nicht vollständig ausschließen; auch qualifizierte Übersetzer oder Dolmetscher können von bestimmten Situationen oder Gegebenheiten überfordert sein. Sie leisten jedoch in der Regel eine gute Arbeit und sind bei gravierenden Mängeln über die Haftungsregelungen des BGB hinaus weiteren Sanktionen oder Korrektiven ausgesetzt, von denen im Bedarfsfalle auch Gebrauch gemacht werden sollte.

In jedem Falle gilt, dass die korrekte und adäquate Sprachmittlung im juristischen Bereich auch vom dort tätigen Dolmetscher bzw. Übersetzer die Kenntnis nicht nur der zutreffenden Terminologie verlangt, sondern auch die Kenntnis der jeweiligen national verschiedenen Rechtssysteme und, vor allem, der Rechtsinhalte. Das deutsche Jugendgerichtsgesetz ist – um nur ein Beispiel herauszugreifen – sowohl vom Grundsatz, von seinen Rechtsnormen und der gängigen Auslegung her durchaus anspruchsvoll. Begrifflichkeiten wie „Zuchtmittel“, „Jugendarrest“ oder „Jugendstrafe“ machen es nicht nur erforderlich, die einzelnen Wortbestandteile zu kennen, sondern der Dolmetscher bzw. Übersetzer muss für die korrekte Sprachübertragung auch wissen, wofür diese Begriffe stehen, was sie bedeuten. Die Begriffe der Rechtssprache sind klar und eindeutig definiert – sie sind weder miteinander austauschbar noch durch Synonyme ersetzbar. Begriffe, die auf den ersten Blick vielleicht einfach erscheinen, können in verschiedenen Sprachen durchaus unterschiedliche Bedeutungsinhalte oder -verschiebungen aufweisen, die der Sprachmittler kennen und berücksichtigen muss.

Daher ist es wichtig, Dolmetscher und Übersetzer einzusetzen, die die notwendige Expertise und Qualifikation aufweisen und bei denen man davon ausgehen kann, dass die Übersetzung bzw. die Verdolmetschung korrekt, adäquat und unter Beachtung der Leistungsgrundsätze wie Vertraulichkeit, Geheimhaltung und Neutralität vollständig und gewissenhaft vorgenommen wird.

Kein geschützter Beruf

Und hier sind wir beim springenden Punkt: Der Beruf des Dolmetschers bzw. Übersetzers ist in der Bundesrepublik Deutschland kein geschützter Beruf. Diese Tätigkeiten können rechtmäßig von jedem ausgeübt werden, der sie ausüben will. Zwar werden in Deutschland und auch andernorts entsprechende Studiengänge an Universitäten und Hochschulen (bei einigen sogar mit Fokus auf den Bereich Gerichtsdolmetschen/-übersetzen) oder auch staatliche Prüfungen zur Überprüfung der Leistungsqualität für Quereinsteiger angeboten, sie sind jedoch für die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit und das Anbieten der Dienstleistung nicht verpflichtend (mit Ausnahme des Justiz- und Polizeibereichs, in dem die Ländergesetze in der Regel die Heranziehung von beeidigten Sprachmittlern vorschreiben).

Die allgemeine Beeidigung, die den jeweiligen Regelungen der einzelnen Bundesländer unterliegt, kann angesichts der oben beschriebenen Situation zumindest ein bestimmtes Maß an Sicherheit liefern, dass der Dolmetscher bzw. Übersetzer die Mindestqualitätsanforderungen an das Dolmetschen und/oder Übersetzen in gerichtlichen und behördlichen Verfahren erfüllt. Die in den einzelnen Regelungen der Länder festgelegten Anforderungen für die allgemeine Beeidigung sind durchaus nicht einheitlich und können sich gerade in Bezug auf die erforderliche Qualifikation und ihren Nachweis erheblich unterscheiden. Einige Bundesländer sind dabei strenger als andere. Hier wäre eine Vereinheitlichung der Beeidigungsvoraussetzungen äußerst wünschenswert. Gleichzeitig gilt es, die praktische Handhabung im Blick zu halten – gerade auch in Bezug auf seltene Sprachen, für die es keine allgemein anerkannten Prüfungen gibt. Vereinheitlichte Rahmenbedingungen könnten denjenigen, die sich der Dienste eines Dolmetschers/Übersetzers bedienen müssen, ein höheres Maß an Sicherheit verschaffen.

Dennoch ist die allgemeine Beeidigung als einziges staatlich geregeltes und in Bezug auf die fachliche und persönliche Eignung durch Nachweis unterlegtes Instrumentarium unverzichtbar, wenn es um die Mindestzusicherung eines Qualitätsversprechens geht. Wer zur Durchführung von Aufgaben einen Dolmetscher und/oder Übersetzer benötigt, braucht Mindeststandards, deren Einhaltung er verlässlich erwarten und, im Falle der Nichteinhaltung, wirkungsvoll einfordern kann. Gegenwärtig ist in Deutschland die allgemeine Beeidigung tatsächlich der einzige Standard.

Quelle NJW 34/2015