Die Digitalisierung hat massive Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft. Davon bleibt auch der Berufsstand des Steuerberaters nicht verschont. Statt passiv den Veränderungen zuzuschauen und womöglich zum Opfer von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) zu werden, haben einige Kanzleien den Spieß umgedreht. Sie nutzen die Digitalisierung zu ihrem Vorteil – und sichern damit nicht nur langfristig ihre Existenz, sondern auch ihr Wachstum.
Drei Beispiele digitaler Kanzleien
Wir haben mit drei Steuerberatern gesprochen, die sich schon vor längerer Zeit auf den Weg der Digitalisierung begeben haben:
mit Dr. Marcus Staub, Steuerberater, Diplom-Kaufmann, Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.) in der Kanzlei Dr. Staub & Partner,
Birgitta Bruder, Steuerberaterin und Partnerin der Kanzlei Laufenberg Michels und Partner mbB und
Carsten Schulz, Steuerberater und Partner der Kanzlei HSP Steuer Hannover, Teil der HSP Gruppe.
Digitalisierung der Kanzleiprozesse
Alle drei Steuerberater betonten die Wichtigkeit eines zentralen DMS-Systems für die internen Kanzleiprozesse.
„Für uns als Kanzlei mit verteilten Standorten hat das zentrale DMS den Vorteil, dass alle Mitarbeiter Zugriff auf alle Unterlagen haben“, erläutert Marcus Staub. „Das ist auch Teil unserer Philosophie. Wir wollen keine Informationsfürstentümer, sondern eine unternehmensweite Transparenz und effiziente Prozesse für unsere Mitarbeiter.“
Ähnlich sieht es Carsten Schulz. Für ihn war „die Auslagerung der IT und die Einführung der digitalen Mandantenakte“ ein wichtiger Meilenstein.
Auch Birgitta Bruder unterstreicht: „Für uns ist klar, dass wir so viele interne Prozesse und Bereiche wie möglich digitalisieren müssen, um zu den Vorreitern zu gehören.“
Doch nicht nur, was die internen Prozesse angeht, auch über die Grenzen der Kanzlei hinaus hin zur Zusammenarbeit mit dem Mandanten spielt die Digitalisierung eine große Rolle.
Digitalisierung der Mandanten-Zusammenarbeit
Für die digitale Zusammenarbeit und den Belegaustausch mit den Mandanten benötigen Steuerberater ein kollaboratives System.
„Das Ziel ist, eine digitale Basis zu schaffen, mit der unsere Mandanten und wir gemeinsam digital arbeiten können. Ohne Papier, ohne Medienbrüche, ohne großen Aufwand und natürlich nach den gesetzlichen Vorschriften“, erläutert Birgitta Bruder.
Aus diesem Grund begrüßen alle drei Steuerberater die Öffnung der DATEV eG in Richtung Fremdsysteme, etwa zu Scopevisio. So ermöglicht es die Schnittstelle DATEVconnect online, digitale Belege und Belegdaten direkt aus der Mandantensoftware in DATEV Unternehmen online einzuspeisen und dort zu verarbeiten.
„Ideal wäre eine bidirektionale Schnittstelle, welche die Daten auch wieder zurückgespielt. Dann hätten beide Seiten immer dieselben konsistenten Daten und eine ideale Beratungs- und Entscheidungsgrundlage“, wünscht sich Birgitta Bruder.
Solange es diese bidirektionale Schnittstelle nicht gibt, geht Marcus Staub davon aus, zunehmend auch direkt in den Mandantensystemen zu buchen. „Wir praktizieren das heute schon teilweise, es wird sich in Zukunft aber verstärken, je schnelllebiger und datengetriebener Mandanten Entscheidungen treffen müssen.“
Digitalisierungsdruck auf mittelständische Mandanten
Genau dies ist abzusehen, denn der Digitalisierungsdruck wird steigen – gerade auf mittelständische Unternehmen, in denen viele Prozesse noch papierbasiert ablaufen.
„Das wird sich in den kommenden Jahren drastisch ändern“, ist Marcus Staub überzeugt. „Dann werden die großen Konzerne integrierte digitale Plattformen haben, über die sie Ausschreibungen, Aufträge, Rechnungen und vieles mehr steuern. Unsere Mandanten werden also gezwungen sein zu digitalisieren. Und wenn der Mittelstand dann mit den großen Konzernen digital zusammenarbeitet, wird der nächste Schritt sein, dass auch mittelständische Firmen untereinander digital kollaborieren. Und am Schluss werden auch die kleinen Unternehmen nachziehen.“ Natürlich gibt es auch jetzt schon digitale Vorreiter bei den Mandanten.
„Digitalnahe Branchen wie Beratungen oder IT-Dienstleister sind offener für Digitalisierungsprojekte“, weiß Birgitta Bruder aus ihrem Mandantenstamm.
Je mehr der Digitalisierungsdruck auf die Mandanten steigt, desto größer wird auch der Druck auf die Steuerberater.
„Unsere Schwierigkeit besteht oft darin, unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten und den gesetzlichen Anforderungen einen für alle Seiten praktikablen Mittelweg zu finden“, so Carsten Schulz.
Digitalisierung: Chance oder Risiko?
Für ihren Berufsstand insgesamt sehen die Steuerberater durch die Digitalisierung durchaus eine große Gefahr: Je mehr automatisiert wird, desto mehr verändert sich auch die Rolle des Steuerberaters. Aber: Künstliche Intelligenz kann zwar aus vielen Daten Fakten schaffen. Ihre Interpretation und Übersetzung bleibt dabei aber den Steuerberatern vorbehalten – auch, weil sie ein Vertrauensverhältnis zu ihren Mandanten haben. Von daher werden Steuerberater auch wieder neues Geschäft hinzugewinnen, sind die drei Befragten überzeugt. Wozu raten sie in dieser Situation? Sich einen gewissen Pioniergeist zu bewahren. Im Wissen, dass wer nicht wagt und handelt, auch nicht gewinnt.