Legal Tech oder Legal Threat? Kanzlei 4.0: Warum der digitale Wandel längst begonnen hat

von Birgitta Winkler

Die neue Ära der Rechtsberatung

Die Digitalisierung hat die Rechtsbranche längst erreicht, auch wenn es in vielen Kanzleien noch nicht danach aussieht. Es ist ein Paradigmenwechsel, der die Arbeit(sweise) der Anwält:innen von morgen nachhaltig verändern wird. Junge Jurist:innen, die heute in den Beruf einsteigen, stehen an der Schwelle zu einer neuen Ära des Rechtsmarktes: Legal Tech und Künstliche Intelligenz (KI) automatisieren Standardprozesse, ermöglichen schnellere Analysen und eröffnen ganz neue Tätigkeitsfelder. Doch statt Angst vor dem technologischen Wandel zu haben, sollten angehende Anwält:innen ihn als Chance begreifen. Digitalisierung macht den Anwaltsberuf nicht über­flüssig – im Gegenteil: sie macht ihn attraktiver! Welche Chancen bietet nun Legal Tech, wie kann Legal Tech in der Kanzleipraxis eingesetzt werden, und wo liegen die Grenzen?

Warum Legal Tech nicht mehr wegzudenken ist

Der Einsatz von Legal Tech spart den Anwält:innen Zeit, reduziert interne Kosten und vor allem: Es entsteht Raum für die Lösung komplexer juristischer Fragen und neue Möglichkeiten der Mandantenbetreuung. Legal Tech umfasst Technologien und digitale Werkzeuge, die interne Prozesse in der Kanzlei bzw. in der täglichen Arbeit effizienter machen; dazu gehören u.a.:

Erstellung von Dokumenten: Tools, die Standardverträge, Schriftsätze, Briefe etc. generieren.
KI-gestützte Recherche: Plattformen, die relevante Urteile und Literatur in Sekunden analysieren und ein Memo verfassen.
Mandantenportale: Digitale Schnittstellen für effizientere – und der anwaltlichen Verschwiegenheit entsprechende – Kommunikation.
Workflow-Management: Software, die den internen Workflow der Kanzlei  effizient abbildet und kollaboratives Arbeiten auf das nächste Level hebt.

Was bedeutet das konkret für junge Jurist:innen?

Es bedeutet, dass Anwält:innen den Fokus ihrer Arbeit zunehmend auf kreative, analytische und strategische Tätigkeiten legen können. Die Automatisierung monotoner (Standard-)Aufgaben schafft Freiraum für die eigentliche juristische Tätigkeit, komplexe Rechtsfragen zu lösen, Mandanten strategisch zu beraten und vor Gericht überzeugend zu argumentieren. Und das ist es doch, wovon jeder Studienanfänger träumt. Niemand studiert Rechtswissenschaften, weil er davon träumt, eines Tages stundenlang Urteile zu lesen, in der Hoffnung, eine anwendbare Entscheidung für den aktuellen Fall zu finden.

Zudem ermöglicht die Digitalisierung eine flexiblere Arbeitsweise: digitale Kanzleistrukturen und moderne Kommunikationsmittel erlauben es Anwält:innen, ortsunabhängig zu arbeiten. Eine intelligente Kanzleisoftware, die alle Erfordernisse des täglichen Workflows integriert hat, ermöglicht es, von zuhause zu arbeiten, und zwar ohne dass – oft schwere – Akten mitgenommen werden müssen. Besonders für die Generation junger Juristinnen und Juristen, die Wert auf Work-Life-Balance legt, eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten – von Remote Work bis hin zu innovativen Kanzleimodellen.

Praxisbeispiele von Legal Tech im Einsatz

Fall 1: Automatisierte Vertragserstellung

Ein mittelständisches Unternehmen benötigt Standardarbeitsverträge für neue Mitarbeiter. Mit dem entsprechenden Legal-Tech-Tool kann  die Kanzlei innerhalb kurzer Zeit individuelle Verträge  – basierend auf  einer Standard-Vorlage  – erstellen, ohne dabei juristische Genauigkeit einzubüßen.

Fall 2: KI-gestützte Rechtsrecherche

Ein komplexer Rechtsstreit erfordert die Analyse von Hunderten von Urteilen. Mithilfe einer KI-gestützten Plattform kann der Anwalt relevante Entscheidungen identifizieren und strukturieren, wodurch sich die Recherchezeit um 70% reduziert.

Fall 3: Mandantenkommunikation

Ein Start-up nutzt ein Mandantenportal, um Vertragsentwürfe zu prüfen und Freigaben zu erteilen. Dies spart beiden Seiten Zeit und vereinfacht die Zusammenarbeit.

Chancen und Grenzen von Legal Tech

Effizienz: Wiederholbare Aufgaben werden automatisiert, was Zeit für strategische Arbeit schafft.
Kostenersparnis: Mandanten profitieren von geringeren Kosten, während Kanzleien wettbewerbsfähig bleiben.
Zugang zu Recht: Kleine Mandanten erhalten Zugang zu juristischen Dienstleistungen, die zuvor unerschwinglich waren.

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Qualitätssicherung: Trotz Automatisierung bleibt die menschliche Kontrolle unverzichtbar, um Fehler zu vermeiden
Datenschutz: Die Nutzung von Cloud-Lösungen und KI wirft im Vorfeld Fragen zur Sicherheit sensibler Daten auf.
Komplexität: Nicht alle juristischen Aufgaben lassen sich automatisieren. Strategische und kreative Problemlösungen erfordern weiterhin menschliches Know-how und vor allem menschliche Erfahrung (gerade auch bei Prozessanwält:innen).

Warum Legal Tech den Anwaltsberuf attraktiver macht

Legal Tech und KI bedeuten nicht das Ende des Anwaltsberufs – sie machen ihn effizienter, anspruchsvoller und spannender, weil:

Mehr Fokus auf das Wesentliche: Die Automatisierung zeitraubender Routineaufgaben erlaubt es Anwält:innen, sich stärker auf kreative und strategische Rechtsberatung zu konzentrieren.

Bessere Mandantenkommunikation: Digitale Tools ermöglichen eine effizientere Interaktion mit Mandanten – von Chatbots für einfache Anfragen bis hin zu maßgeschneiderten Lösungen für komplexe Rechtsprobleme.

Zugang zu mehr Wissen: KI-gestützte Recherche- und Analysetools liefern präzisere und umfassendere Informationen in kürzerer Zeit, was die Qualität der Rechtsberatung erhöht.

Attraktive Arbeitsbedingungen: Durch moderne Technologie wird der Kanzleialltag flexibler und effizienter – eine Entwicklung, die insbesondere den Arbeitsalltag und die Work-Life-Balance verbessert.

Neue Geschäftsmodelle und Karrierewege: Legal Tech bietet nicht nur neue Werkzeuge, sondern auch völlig neue Geschäftsfelder. Junge Jurist:innen können als Legal Engineers, Legal Designers oder in Start-ups innovative Wege beschreiten.

Welche Herausforderungen gibt es auf dem Weg dorthin?

Schulung und Weiterbildung: Jurist:innen  – gerade die digital immigrants – müssen digitale Kompetenzen entwickeln, um Legal-Tech-Tools effektiv einzusetzen.
Akzeptanz und Wandel: Die Digitalisierung erfordert ein Umdenken. Besonders erfahrene Jurist:innen müssen die Vorteile neuer Technologien erkennen, um sie zu integrieren, da sie derzeit noch die Mehrheit der Kanzleipartner stellen.
Zukünftige Entwicklungen: Technologien wie Blockchain, Smart Contracts, etc. werden die Branche weiter verändern. Kanzleien, die diese Trends frühzeitig aufgreifen, sichern sich Wettbewerbsvorteile.

Fazit: Der Anwaltsberuf im digitalen Zeitalter

Die Digitalisierung wird den Anwalt(-sberuf) nicht ersetzen, sondern transformieren. Alte und junge Jurist:innen sollten sich den neuen Technologien nicht verschließen, sondern sie aktiv nutzen, um ihre eigene Karriere erfolgreicher und spannender zu gestalten. Wer Legal Tech als Chance begreift, wird in einer sich wandelnden Arbeitswelt nicht nur bestehen, sondern sie aktiv mitgestalten und so einen Wettbewerbsvorteil erlangen.

Die Zukunft des Anwaltsberufs gehört denen, die technologische Entwicklungen als Werkzeug begreifen – nicht als Bedrohung. Und genau das macht den Anwaltsberuf in der digitalen Ära attraktiver denn je. Wie oft hat man schon die Chance, die Kanzlei der Zukunft zu gestalten?

 

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Über die Autorin:

Birgitta Winkler - selbstständige Rechtsanwältin
Ihre Schwerpunkte liegen im Vertragsrecht sowie im Bereich IT & Digitalisierung. Sie führt ihre Kanzlei zu rd. 95% rein digital und ist Lektorin für International Labor Law (FH Kärnten) sowie Unternehmensberaterin und eingetragene Mediatorin beim Justizministerium. In der Rechtsanwaltskammer Kärnten ist sie Mitglied des Ausschusses und Datenschutzbeauftragte sowie Vorsitzende des AK IT & Digitalisierung des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK).