Die Digitalisierung von Kanzleiprozessen ist ebenso wie die digitale Abbildung von derzeit noch analogen Rechtsdienstleistungen stark thematisiert. Das führt dazu, dass nicht wenige Kanzleien und Anwälte schon jetzt verunsichert sind und sich damit selbst daran hindern, wahre Pacemaker der Digitalisierung zu werden. Dabei sind es gerade Anwälte, die in Prozessen denken und das Zeug zu Techies hätten.
Legal Tech – Was bisher geschah
Wer „The End of Lawyers“ von Richard Susskind aus dem Jahr 2008 gelesen hat, konnte bereits ahnen, dass auch Anwälte auf eine digitale Zukunft zusteuern. Dabei war Susskind nicht der erste, der überhaupt auf die Idee kam, dass es eine Zukunft geben kann, in der anwaltliche und technologische Kompetenz verschmelzen.
2001 startete der Bundesgerichtshof (BGH) sein Pilotprojekt „Elektronischer Rechtsverkehr“ und ungefähr zur gleichen Zeit gab es bereits Projektarbeiten an der Universität Würzburg, die sich mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz im Bereich von Abwägungsentscheidungen befassten. Einer der Akteure damals, der Student Chan-jo Jun, heute Rechtsanwalt und LegalTech Aktivist. Im Jahr 2004 reichte eine Studentin der Fachhochschule Darmstadt eine Diplomarbeit zu den „Betriebswirtschaftlichen Nutzpotentialen des elektronischen Rechtsverkehrs“ ein.
Dass es geradezu betriebswirtschaftlich zwingend ist, sich früher oder später die Prozesse innerhalb der Kanzlei und natürlich auch die Wertschöpfungskette anzusehen, erschließt sich jedem Betriebswirt (und damit sicher vielen Unternehmern, denn die denken betriebswirtschaftlich). Dass die Forderungen nach Digitalisierung und Effizienz also vom Mandanten kommen werden, ist klar, denn sie handeln nach kaufmännischen Prinzipien – also vor allen Dingen wirtschaftlich.
Das bedeutet konkret, dass sie einerseits nach Einsparungspotentialen suchen, andererseits Effizienzsteigerungen erarbeiten. Dass das ungeliebte Kind „Rechtsberatung“ im unternehmerischen Leben gern mal kritisch angeschaut wird, ist bekannt. Und so wurde der B2B-Mandant mit seinen Forderungen nach „more for less“, Standardisierung und Automation zum Treiber.
Künstliche Intelligenz und erste Ergebnisse
Im Februar 2018 schreckten Scharen von Anwälten auf: Die US-Plattform Lawgeex hat 20 amerikanische Anwälte Verträge analysieren lassen. In der gleichen Zeit hat Lawgeex eine Künstliche Intelligenz (KI) auf dieselben Verträge losgelassen. Versteckt in den Verträgen waren 30 rechtliche Probleme, die es zu qualifizieren galt. Die Anwälte hatten vier Stunden Zeit dafür – die Algorithmen ebenso.
Der Test wurde gemeinsam mit honorigen Rechtsprofessoren der Stanford University und der Duke University School of Law sowie der University of Southern California durchgeführt (Quelle: Mashable/t3n). Mashable titelte „An AI just beat top lawyers at their own game“. Das Ergebnis war, dass die KI die Anwälte geschlagen hat – und zwar mehr als deutlich.
Der Algorithmus brauchte nur 26 (!!!) Sekunden und erreichte eine größere Genauigkeit bei der Fehleridentifikation, nämlich 94 Prozent. Die Anwälte waren im Durchschnitt 92 Minuten mit der Fehlersuche beschäftigt und konnten nur 85 Prozent der Fehler finden.
By the way: Interessant wäre gewesen zu erfragen, welche Zeit die Juristen einem Mandanten in Rechnung gestellt hätten.
Bei einem Vertrag schaffte die KI sogar 100 Prozent Fehleridentifikation. Der beste Anwalt im Feld schaffte „nur“ 97 Prozent. Einer der Probanden, so wird berichtet, formulierte, dass es sich um eine typische Anwaltstätigkeit gehandelt habe, die im Tagesgeschäft von Anwälten genau so vorkommt.
Die Meldung ging durch die sozialen Netzwerke und wurde geteilt, geliked und vielfach stumm angesehen. Was soll das bedeuten, fragt sich der geneigte Berufsträger, bevor er sofort anfängt dagegen zu argumentieren: In Deutschland gebe es schließlich Vertragsfreiheit und damit sei eine KI gar nicht in der Lage zu einer solchen Prüfung. Da bräuchte es dann doch die individuellen Denkstrukturen des Anwalts. Schon möglich – noch, denn es gibt sogenannte neuronale Netze, selbstlernende Systeme, die Muster erkennen und so feingliedrig künstliche Individualität erzeugen können. Vielleicht noch nicht aktuell, aber sicher in der Zukunft.
Keine Zukunftsangst und Ja zu einem neuen Berufsbild
Zunächst einmal gilt es zu verstehen, dass Anwälte keine Angst vor EDV, KI und Algorithmen haben sollten. Algorithmen begegnen jedem von uns jeden Tag, denn sie sind nichts weiter als eindeutige Handlungsvorschriften zur Lösung von Problemen.
Kochrezepte und auch Verkehrsregeln sowie der Verhaltens-Kodex einer Kanzlei sind im Grunde einfache Algorithmen. Wir benutzen sie schon, seit es die Zehn Gebote gibt. Schlussendlich ist KI ein Ablauf von Handlungen, die einem Muster folgen. Dieser Ablauf verläuft in Prozessschritten, die wiederum einen Algorithmus darstellen und Fähigkeiten erlernbar machen.
Aktuell ist die KI auf einem Stand, der noch recht niedrig ist. Es ist davon auszugehen, dass wir bereits 2030 die Lernfähigkeit von KI auf das menschliche Hirn trainiert haben werden und irgendwann auf viele menschliche Hirne. Gerade deshalb ist es wichtig, zu wissen, was der Prozess ist und wie er sich aufgliedert. So ergeben sich enorme Ressourcen, die die Möglichkeit schaffen, das eigene Business noch mehr zu fokussieren.
Wer sich stets auf die Relevanz von Empathie bei der Erbringung der anwaltlichen Dienstleistung zurückzieht, dem gibt Chan-jo Jun zu bedenken: „Viele Anwälte verwechseln Intuition mit schlecht strukturiertem Wissen.“
Ein Ja zur Zukunft sollte ein Ja zum „Legal Digital Leader“ der Zukunft sein, zu einem juristischen Unternehmertum, das die Interessen des Mandanten stets ernsthaft in den Mittelpunkt stellt und täglich versucht besser und noch günstiger zu werden. Die KI wird den Anwalt nicht final ersetzen, aber wer sie in Zukunft nicht zu nutzen weiß, wird Nachteile haben.
Der deutsche Rechtsmarkt ist aktuell stark in Bewegung. Von einer Bereinigung darf ausgegangen werden und auch davon, dass Legal-Tech-Unternehmen in den Markt dringen, die Standardisierbares standardisieren und Digitalisierbares digitalisieren und automatisieren. Wer heute noch Musterverträge an Mandanten verkauft, sollte umdenken.
Über die Autorin:
Susann Seyfried
Director Marketing bei der STP Informationstechnologie AG,
einem Anbieter für Kanzleimanagementsoftware