Verständnisfrage – faires Verfahren

von Richard Delaney

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“1

Es ist ein fundamentaler Grundsatz für ein faires Verfahren, dass Angeklagte das Recht haben, sich zu verteidigen. Dafür ist es unerlässlich, dass Angeklagte auch verstehen, was ihnen vorgeworfen wird. Sind Angeklagte der Sprache nicht mächtig, in der das Verfahren geführt wird, so müssen ihnen Dolmetsch- bzw. Übersetzungsleistungen bereitgestellt werden2.

Dieser Versuch, auf europäischer Ebene sicherzustellen, dass Sprachschwierigkeiten ein faires Verfahren nicht verhindern, ist ein wertvoller erster Schritt, aber reicht das in der Praxis aus, um tatsächlich ein faires Verfahren zu gewährleisten?

Das neue Gerichtsdolmetschergesetz und Fragen der Qualifikation

Zwar ist in der Richtlinie verankert, dass Übersetzungs- und Dolmetschleistungen „eine für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens ausreichende Qualität aufweisen“ müssen3, was für Kriterien herangezogen werden können, um eine solche Qualität zu gewährleisten, ist jedoch nicht festgelegt.

Mitgliedsstaaten haben aber ein Register mit Übersetzern und Dolmetschern einzurichten, die „angemessen qualifiziert4“ sind. Diese angemessene Qualifikation wird in Deutschland durch die allgemeine Ermächtigung/ Beeidigung5 nachgewiesen – die Kriterien hierfür unterscheiden sich allerdings derzeit noch von Bundesland zu Bundesland. So sind in einigen Bundesländern Kenntnisse der Rechtssprache nachzuweisen, in anderen nicht; in einigen Bundesländern wird ein Hochschulstudium oder eine staatliche Prüfung verlangt, in anderen lediglich ein Nachweis über Sprachkenntnisse6.

Allerdings sind (auch gute) Sprachkenntnisse oder ein abgeschlossenes Studium kein Garant dafür, dass Rechtstexte tatsächlich verstanden werden – denn dies fällt mitunter ja auch Muttersprachlern schwer, sofern sie sich nicht beruflich damit beschäftigen. Das soll jetzt durch das neue Gerichtsdolmetschergesetz bundesweit vereinheitlicht werden und in der Tat sind darin zumindest klarere Anforderungen zu den Voraussetzungen. Begrüßenswert ist z.B., dass jetzt Kenntnisse der Rechtssprache nachgewiesen werden müssen.

Allerdings bezieht sich das Gerichtsdolmetschergesetz, wie der Name schon sagt, lediglich auf Dolmetscher, nicht auf Übersetzer.

Gravierende Folgen von Fehlübersetzungen

Was passieren kann, wenn der Dolmetscher zwar beeidigt, nicht aber ausreichend kompetent ist, war unlängst in Frankfurt zu sehen, wo ein Prozess platzte, weil der Dolmetscher seine Aufgabe nicht erfüllen konnte7. In diesem Fall war es offensichtlich. Das ist zwar ärgerlich, aber zumindest wurde das Problem zeitnah erkannt.

Viel gefährlicher ist es, wenn Kompetenzmängel nicht direkt ersichtlich sind (vor allem also in Sprachen, die dem Empfänger vollkommen fremd sind) und eventuelle Missverständnisse bzw. Fehlübertragungen nicht, oder erst zu spät erkannt werden. In England hat eine solche Fehlübersetzung z.B. dazu geführt, dass eine Angeklagte die Anklage nicht richtig verstand und statt wegen fahrlässiger Tötung wegen Mordes verurteilt wurde8.

Die Tatsache, dass Angeklagte ein Recht auf Übersetzungsdienstleistungen haben, ist für ein faires Verfahren unabdingbar. In der Praxis ist ein faires Verfahren allerdings nur dann gewährleistet, wenn auch entsprechend kompetente Sprachmittler herangezogen werden. Insofern ist es zu begrüßen, wenn Sprachmittler, die für die Gerichte tätig werden, in Zukunft auch Kenntnisse der Rechtssprache nachweisen können müssen. Es bleibt noch Luft nach oben, aber es bewegt sich in die richtige Richtung.

 

Über den Autor:

Richard Delaney
Juristischer Fachübersetzer und
Sachverständiger im Deutschen Gutachter
und Sachverständigenverband (DGuSV),
in England ausgebildeter Jurist (Barrister),
Mitglied des BDÜ und Fellow des Chartered Institute of Linguists
 

 

Fußnoten:

1 Artikel 6, Abs. 1, Europäische Menschenrechtskonvention

2 Artikel 6, Abs. 3, lit. a) und e), sowie RICHTLINIE 2010/64/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren in Deutschland im Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren vom 2. Juli 2013 umgesetzt, was eine Neufassung des § 187 GVG bewirkte.

3 Artikel 2 Abs. 8 und Artikel 3 Abs. 9i. V.m. Artikel 5 Abs. 1 der Richtlinie

4 Artikel 5 Abs. 2

5 Dolmetscher werden beeidigt, bei Übersetzern unterscheidet sich die Terminologie je nach Bundesland. In Berlin sind sie „ermächtigt“.

6 Z. B. in Rheinland Pfalz LDÜJG 2008 § 3 Abs. 3: „Die fachliche Eignung setzt eine Sprachkompetenz entsprechend der Stufe C 2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen des Europarates in der deutschen und der fremden Sprache voraus.“

7 https://www.fnp.de/frankfurt/frankfurt-prozess-dolmetscher-scheitert-uebersetzung-tn-91273417.html

8 R.v. Iqbal Begum; Court of Appeal: 22 April 1985 {1991} 93 Cr. App. R. 96