Die Fachsprache des Rechts ist für Nicht-Juristen voller Fallen. Daher sind für Dolmetscher und Übersetzer, die im Justizwesen eingesetzt werden, spezielle Schulungen essentiell. Aber ist es nicht ein hoffnungsloses Unterfangen, Nicht-Juristen, also Dolmetschern und Übersetzern, die Fachsprache von Juristen beizubringen?
Immerhin haben Juristen viele Jahre studiert, um sich in der Rechtssprache zurechtzufinden. Aber bei dem Unterfangen geht es ja nur um die Sprache. Den Dolmetschern und Übersetzern werden nicht Schemata beigebracht, nicht der Unterschied zwischen Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft, äußerem und innerem Tatbestand, nicht der juristische Gutachtenstil usw.
Ja, es wäre ein hoffnungsloses Unterfangen, Nichtjuristen diesen Teil der Studieninhalte erst beibringen zu müssen. Daher ist eine andere Herangehensweise sinnvoll; eine, die Nichtjuristen nicht überfordert und ihnen nichts zu vermitteln versucht, was weiterhin den Juristen mit ihrer fundierten Ausbildung vorbehalten bleiben sollte.
Es gibt definierte Wörter, die auch in der Umgangssprache verwendet werden, dort jedoch eine andere Bedeutung haben. Und es gibt Wörter, deren Bedeutung sich so mancher intuitiv erschließen zu können zutraut; so mancher liegt dann aber mit seiner Vermutung falsch – und produziert beim Dolmetschen einen faktisch falschen Satz, was schlimme Folgen haben kann.
Hier einige Beispiele:
„Billig“ ist in der Rechtssprache nicht das Gegenteil von „teuer“, und „fremd“ betrifft das Eigentum von jemand anderem. In Sätzen wie „Kommunale Wahlbeamte sind wie auch Bürgermeister regelmäßig Beamte auf Zeit.“ und „Eine Willenserklärung ist regelmäßig empfangsbedürftig, ausnahmsweise aber nicht.“ mutet „regelmäßig“ den Nicht-Juristen seltsam an.
Spätestens hier stutzt ein/e aufmerksame/r DolmetscherIn oder ÜbersetzerIn zumindest, sofern er/sie die Bedeutung von „regelmäßig“ in einer guten „Rechtssprache“-Schulung nicht gelernt hat. Wenn jemand bereit ist, „sich einzulassen“, will er nicht beim Pferdestehlen mitmachen. Zum „Auskehren“ braucht man keinen Besen. „Anwachsungen“ gibt es in Sätzen wie „Sollte einer der eingesetzten Erben ohne Hinterlassung von Abkömmlingen wegfallen, dann soll dessen Anteil den weiteren der im folgenden Kapitel aufgeführten eingesetzten Miterben im Verhältnis ihrer jeweiligen Anteile anwachsen.“
Wer meint, das Adjektiv „geeignet“ sei für positive Effekte zu verwenden, den befremdet der Satz „Diese Inhalte sind geeignet, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden.“; die Bedeutung von „gemein“ in der Rechtssprache wird oft nicht verstanden, weil die vertraute Bedeutung „fies“ auch bei der Erklärung passt, eine Bombe sei „gemeingefährlich“; auch das Lexem „Gemeinkosten“ ist nicht hilfreich; besser funktioniert die Erklärung über „Gemeinde“ und „gemeinnützig“. Und bei „unbedingt“ in dem Satz „Diese unbedingt erklärte Auflassung enthält keine Bewilligung zur Eigentumsumschreibung.“ muss der/die DolmetscherIn bzw. der/die ÜbersetzerIn einen Moment überlegen, bis klar wird, dass es keine Bedingungen gibt. Bei dem Satz „Dem Verletzten standen die für einen Besichtigungsantrag notwendigen Informationen über eine mögliche Handlung nach § 17 UWG zur Verfügung.“ floss kein Blut, sondern die Rechte von jemandem wurden verletzt. Der „Verkehrskreis“ ist etwas ganz anderes als der „Kreisverkehr“.
Bei dem Lexem „Vortrag“ sollte der/die GerichtsdolmetscherIn bzw. der/die ÜbersetzerIn sich möglichst nicht eine Rede, eine Vorlesung, etwas mündlich (!) Vorgetragenes vorstellen, auch nicht den „Verlustvortrag“ aus der Finanzbuchhaltung. Und er/sie sollte auch nicht – wie typischerweise Autoren - an das „Vortragsrecht“ bzw. an das Verwertungsrecht eines Urhebers eines Sprachwerks denken. All diese Bedeutungen von „Vortrag“ passen nicht bei diesem Satz: „Der Kläger verlangt vom Beklagten die Rückzahlung von Beträgen, die er dem Beklagten gemäß seinem Vortrag darlehensweise überlassen hat.“
„Aktenkundig“ bedeutet nicht, dass ein Jurist die Akten gelesen hat, „Heimtücke“ muss nicht zuhause stattfinden, eine „Fahrnis“ muss keine Räder oder Rollen zum Fahren haben, und in einem „Nachlassverfahren“ wird nicht über Rabatte entschieden.
Jedoch auch die Syntax der Rechtssprache ist speziell. Sie enthält viele Linksattributionen, welche für die eindeutige Zuordnung von Attributen bzw. Definitionen zu einem Bezugssubstantiv das Mittel der Wahl sind.
Nehmen wir an, es geht um folgenden Satz: „Er kontaktierte die Freundin seiner in Berlin gemeldeten Schwester.“ Verwandelt man die Linksattribution in einen Relativsatz, so lautet der Satz wie folgt: „Er kontaktierte die Freundin seiner Schwester, die in Berlin gemeldet ist.“ Nun ist der Inhalt aber nicht mehr eindeutig, denn es kann auch gemeint sein, dass die Freundin in Berlin gemeldet ist. Bestimmte Inhalte und auch Satzstrukturen dürfen eben nicht verändert werden.
Wohlmeinende Linguisten beschweren sich gern über die in der Rechtssprache so typische Linksattribution. Oft ist jedoch nur eine Konstruktion mit einer Linksattribution (statt mit einem Relativsatz) eindeutig, eine Konstruktion mit einem Relativsatz hingegen nicht.
Die Regel des „deutschen Vertragspräsens“ ist besonders wichtig für Übersetzer. In anderen Sprachen gibt es für Verträge andere sprachliche Regeln; im Englischen beispielsweise ist das Modalverb „shall“ das Mittel der Wahl, um eine Verpflichtung auszudrücken, und darum geht es ja in Verträgen: um Verpflichtungen.
In der deutschen Vertragssprache verwendet man dagegen das einfache Präsens. Man sagt bzw. schreibt also nicht: „Der Lieferant/Mieter/Dienstleister muss XY tun“, sondern einfach: „Der Lieferant/Mieter/Dienstleister tut XY.“
Dieser Beitrag soll zum einen den juristisch ausgebildeten Nutzern der Fachterminologie einmal mehr bewusst machen, wie leicht es bei der Kommunikation mit Nicht-Juristen zu Missverständnissen kommen kann. Zum anderen soll er Nicht-Juristen, die – beispielsweise als angehende Gerichtsdolmetscher und Urkundenübersetzer – mit dieser Fachterminologie zu tun haben werden, die Stolpersteine deutlich machen.
Weiterhin soll er als Plädoyer dienen für die in den letzten Jahren in den meisten Bundesländern Deutschlands eingeführte Vorschrift für angehende Gerichtsdolmetscher und Urkundenübersetzer, Kenntnisse in Rechtssprache nachzuweisen, d. h. an entsprechenden Seminaren bzw. – speziell in Zeiten, in denen es Virenübertragungen zu vermeiden gilt – Webinaren teilzunehmen und eine Prüfung abzulegen.
Über die Autorin:
Dr. Isabelle Thormann
Fachübersetzerin für Rechts- und Wirtschafts-Englisch,
sowie vom LG Hannover allgemein beeidigte
Dolmetscherin und ermächtigte Übersetzerin
Quelle NJW 17/2020