Top 1 auf der Agenda: Selbstfürsorge

Christine Pehl im Gespräch mit Susanne Kleiner
Die Dynamik der digitalisierten Arbeitswelt hinterlässt Spuren: Psychischer  Stress nimmt zu, Burnout droht und Unternehmen sind mit  steigenden  Krankheitstagen konfrontiert. Das geht auch anders: nämlich  mit Selbstfürsorge, ist Business-Coach Christine Pehl überzeugt. Die  Expertin  für werteorientierte Unternehmensführung erklärt im Interview  mit Susanne Kleiner, wie Rechtsanwälte und Kanzleiteams gut für sich  sorgen. Anleitungen für die Praxis einer gesunden Kanzleiführung. 
 
Was verstehen Sie unter dem Begriff „Selbstfürsorge“?
Es geht darum, gut für sich selbst zu sorgen, also die eigenen Bedürfnisse  zu berücksichtigen und Belastungen einzuschätzen; sich nicht dauerhaft zu  überfordern und die eigenen inneren Grenzen zu schützen. Das mag sich  zunächst merkwürdig anhören und viele denken: „Ist doch selbstverständlich.“  Doch wir vernachlässigen uns im Alltag oft und nehmen uns nicht  wichtig genug. Wir merken unsere mangelnde Selbstfürsorge meist dann,  wenn wir erschöpft sind. Es ist entscheidend, sich selbst zu erlauben, gut  für sich zu sorgen. Die innere Haltung heißt: „Meine Bedürfnisse sind  wichtig. Ich bin nicht nur Dienstleister für andere Menschen. Ich verdiene  Gutes im Leben.“ 
 
In welchen Situationen wenden sich Unternehmen an Sie? 
Die Krankschreibungen bei psychischen Erkrankungen liegen mittlerweile  an zweiter Stelle, Tendenz steigend. Denn die Anforderungen an Führungskräfte  werden immer höher. Die Folge ist: Menschen suchen in unserer  komplexen Welt Halt und Orientierung. Wer das Handwerkszeug hat,  sich selbst zu erden und präsent zu sein, kann schließlich auch eine gute  Führungskraft sein. Meine Kunden laden mich ein, um Vorträge zu halten,  Workshops zu moderieren und sie zu beraten. Auslöser sind etwa steigende  Krankenstände, die Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen, die nach  Formaten  wie diesen „rufen“, und eine spürbar beschwerte Stimmung.  Im Idealfall geht es um Prävention. Ich unterstütze im Rahmen des betrieblichen  Gesundheitsmanagements oder bei der Führungskräfte- und  Teamentwicklung.
 
Warum ist Selbstfürsorge so wichtig in unserer Zeit?
Wir haben in unserem Bildungswesen keine Anleitung für Selbstfürsorge  bekommen – und der empfundene Druck nimmt zu. Wer nicht fähig ist,  gut für sich zu sorgen, wird krank oder behindert ein gutes Miteinander.  Wir dürfen also lernen, uns wohlzufühlen und möglichst entspannt leistungsfähig  zu sein. Es ist eine Kunst, die Agilität und Komplexität unserer  Zeit mit Selbstfürsorge zu verbinden. Wichtig ist dabei auch die Frage nach  dem Sinn, den Juristinnen und Juristen für die eigene Arbeit empfinden.  Hinter vielen Erschöpfungszuständen steht letztlich eine Sinnkrise.
 
Wie schaffen es Anwältinnen und Anwälte im turbulenten  Alltag, gut für sich zu sorgen? 
Selbstfürsorge fängt bei den körperlichen Grundbedürfnissen an, die um  die Fragen kreisen: Schlafen Sie ausreichend? Essen Sie regelmäßig und genießen  Sie Nahrungsmittel, die gut für Sie sind? Trinken Sie genug? Es geht  zudem um Ruhe und Entspannung. Sorgen Sie für ausreichend Erholung?  Gehen Sie spazieren und schenken sich Auszeiten? Ein weiterer Anker ist,  Druck und Belastung zu reduzieren. Für eine gewisse Zeit können wir  Überdurchschnittliches leisten. Auf Dauer brauchen wir jedoch einen  gesunden  Rhythmus von Anspannung und Entspannung. Unser Leben verlangt  zudem nach Abwechslung – wenn es zu eintönig wird, droht Lebendigkeit  verloren zu gehen. Haben Sie immer wieder neue Impulse in Ihrem  Alltag? Buchen Sie ab und an ein Seminar, das Sie persönlich inspiriert,  oder planen einen kleinen Ausflug? Und schließlich Nähe und Miteinander  Begegnungen und Gemeinsamkeit sind wichtige menschliche Anliegen.  Haben Sie sich ein Umfeld geschaffen, in dem Sie Zuspruch und  Unterstützung  erleben? Und erlauben Sie sich den Raum für das, was  Ihnen  wichtig ist? 
 
Haben Sie drei konkrete Tipps, die leicht anzuwenden sind?
 
Ja, gerne. Erstens: Gehen Sie jeden Tag in die Stille – haben Sie ein Rendezvous  mit sich selbst. Wie fühlt sich Ihr Körper an? Welche Gedanken und  Gefühle kommen hoch? Es geht darum, den eigenen Zustand bewusst  wahrzunehmen. Im zweiten Schritt folgt die heilsame Reduktion. Was  könnten Sie in Ihrem Leben einfach weglassen? Gerümpel im Keller und  Speicher, übervolle, alte Aktenordner? Unsinnige Gewohnheiten oder übertriebenes  Surfen in den sozialen Medien? Ziel ist es „Frei-Raum“ zu schaffen. Diese freien Räume können wir einfach genießen – und sie drittens: mit neuen Inhalten füllen, die für uns persönlich Sinn stiften oder einfach Freude und Genuss bringen. 
 
Was geben Sie Führungskräften mit auf den Weg für einen  gesunden Umgang mit sich selbst und ihren Mitarbeitern? 
Ich empfehle, dass sich Führungskräfte ganz bewusst der Selbstfürsorge  annehmen. Dabei kann externe Unterstützung sinnvoll sein. Auf Führungsebene  lässt sich gut mit einem Coach arbeiten, der hilft, relevante Themen  rund um die Selbstfürsorge zu beleuchten. Finden Verantwortliche hier Klarheit und Ausgeglichenheit, spüren das auch die Menschen im Umfeld – und diese Qualität überträgt sich, beruflich und privat. Auch rate ich Organisationen, allen Mitarbeitern Angebote zur seelischen Gesundheit zu ermöglichen, etwa mit Workshops. Menschen, die gut für sich sorgen und  Ruhe und Stabilität ausstrahlen, wirken wie ein Magnet – das spüren auch  die Mandanten
 
Über die Interviewpartnerinnen:
 

Christine Pehl
Business-Coach, Dozentin und Autorin für werteorientierte Unternehmensführung und Corporate Social Responsibility (CSR) in Augsburg.

www.pehl-beratung.de

Susanne Kleiner
freie PR-Beraterin, Texterin, Journalistin
und Mediatorin, München

www.susanne-kleiner.de

www.trainings-workshops-seminare.de

 

Foto oben: Daniel Ernst/stock.adobe.com

Quelle BECK Stellenmarkt 8/2019