Mentale Gesundheit – Was bedeutet das für die juristische Branche, in der das „Nur die Harten kommen in den Garten“-Credo vorherrscht? Eine Branche, in der Personen nicht mit psychischen Beeinträchtigungen im gleichen Satz genannt werden möchten, in der bereits die Beschäftigung mit Stressmanagement vor Kurzem noch als klares Zeichen gewertet wurde, dass man offensichtlich dem Anwaltsberuf grundsätzlich nicht gewachsen ist. Stress gehört doch schließlich dazu; der Job ist nun mal anspruchsvoll, alles muss schnell gehen, Billable Hours sind das Maß aller Dinge und lange Arbeitszeiten, ständige Verfügbarkeit und schwierige Mandanten sind ganz normal. Sind hier also alle psychisch gesund?
Wie steht es um die seelische Gesundheit im juristischen Arbeitsalltag?
Es finden sich nur wenig belastbare Zahlen für die Rechtsbranche im deutschen Raum. Während z. B. amerikanische Studien häufig über ein erhöhtes Selbstmordrisiko für Juristinnen und Juristen berichten, tauchen diese in deutschen Studien nicht unter den Top 10 auf. Im DAK Gesundheitsreport 2019, der verschiedene Berufsgruppen verglich, lag die Kategorie „Rechtsberatung u.a. Unternehmensdienstleistungen“ sogar mit ca. 183 Arbeitsunfähigkeitstagen pro 100 Versicherten deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt über alle betrachteten Branchen von rund 260. Trotzdem hat das Thema auch in der juristischen Welt Relevanz.
Studie zur mentalen Gesundheit von Juristinnen und Juristen: Einblicke und Ergebnisse
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Studie des Liquid Legal Institute „The silent epidemic: Well-Being and Personal Health of Legal Professionals in Times of Digital Transformation and Social Change“ (2021), in der 135 Juristinnen und Juristen rund um psychische Gesundheit in ihrem Arbeitsleben befragt wurden (hier finden Sie die Statistik). Über 70% der Befragten haben im Laufe Ihrer bisherigen Berufslaufbahn mindestens einmal psychische Probleme gehabt. Ebenso viele gaben an, mehrere Kolleginnen und Kollegen zu kennen, die psychische Probleme haben. Über 80% der Befragten stimmten zu, dass psychische Erkrankungen in der Rechtsbranche stigmatisiert werden und dass das Thema deutlich mehr Beachtung braucht.
Anwaltlicher Perfektionismus und lange Arbeitszeiten: Risikofaktoren für Juristinnen und Juristen
Als mögliche Vulnerabilitätsfaktoren für psychische Beeinträchtigung ergaben sich relativ hohe Werte für anwaltlichen Perfektionismus und die große Sorge, einen Fehler zu machen, die langen Arbeitszeiten, der starke Billable-Hours-Druck sowie die traditionellen hierarchischen Strukturen bei den Arbeitgebern. Nur eine geringe Anzahl der Befragten gab an, der jeweilige Arbeitgeber befasse sich mit der psychischen Gesundheit der Mitarbeitenden und nur in wenigen der Unternehmen oder Kanzleien würden besondere Maßnahmen getroffen, um Gesundheit zum Gespräch zu machen und entsprechende Prävention zu betreiben. Es scheint, als würden Betroffene mit ihrer psychischen Krankheit recht allein dastehen.
Stigmatisierung psychischer Erkrankungen in der Rechtsbranche: Ein Tabu, das gebrochen werden muss
1946 beschreibt die WHO Gesundheit als einen „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“ Erst 2019 formuliert sie ergänzend eine Definition für psychische Gesundheit als einen „Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann.“ Für viele Menschen sind psychische Erkrankungen wie Angststörungen, affektive Störungen (hauptsächlich Depression) und Störungen durch Alkohol- und Medikamentenkonsum jedoch traurige Realität. Das Tabu ist groß und Menschen stoßen deswegen auf Unverständnis, Abwertung und Distanzierung.
Die Auswirkungen von zu hoher Arbeitsbelastung auf die mentale Gesundheit von Juristinnen und Juristen
Dies kann für sie schwerwiegende Konsequenzen haben, wie z. B. Zerstörung von sozialen Beziehungen, Verlust des Arbeitsplatzes, Verhinderung von Diagnose, Behandlung und Heilung. Kein Wunder also, dass man sich immer noch scheut, darüber zu sprechen. Die Doppelbelastung durch Krankheit und den Umgang mit der Stigmatisierung ist ein weiterer Risikofaktor für langfristige Arbeitsunfähigkeit. Die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch entwickelt. Der DAK Psychoreport 2019 berichtet von einer Verdreifachung. Laut BKK Gesundheitsreport 2020 stehen psychische Erkrankungen auf dem zweiten Platz der wichtigsten Krankheitsarten für Arbeitsunfähigkeit. Statistisch unwahrscheinlich, dass die Rechtsbranche hier nicht betroffen ist.
Stress im Jurastudium: Frühzeitige Belastung der mentalen Gesundheit
Und nicht zuletzt startet der Kampf mit dem Stress bereits in der juristischen Ausbildung. Laut einer Studie des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. in den Jahren 2020 und 2021 – um nur eine von verschiedenen Studien mit ähnlichen Ergebnissen zu nennen – bezeichnen über ein Drittel der 1178 befragten Jurastudierenden ihre Gefühlslage während des Studiums als schlecht oder sehr schlecht.
Im Hinblick auf die psychische Belastung würden 49% der Jurastudierenden ihren Studiengang eher nicht weiterempfehlen, 21% sogar auf gar keinen Fall. Als Gründe für den empfundenen Stress geben 78% die Angst, nicht zu bestehen, 76% das juristische Staatsexamen und die Examensvorbereitung und 70% die Sorge, nicht genug zu lernen, an. Knapp 20% der Befragten gaben an, noch keine passende Methode gefunden zu haben, mit Stress umzugehen und 71% hatten sich bis dato noch nicht aktiv mit dem Thema Stressbewältigung auseinandergesetzt.
Fazit: Mentale Gesundheit als zentrales Thema für Juristinnen, Juristen und ihre Arbeitgeber
Psychische Gesundheit ist also auch für Juristinnen und Juristen und solche, die es werden wollen – und damit auch für deren (zukünftige) Arbeitgeber – ein ernstzunehmendes Thema, das Beachtung braucht.
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Über die Autorin:
Diane Manz
ist Dipl.-Psychologin und systemischer Business Coach. Als Inhaberin von brandung | coaching & consulting liegt ihr Fokus der Beratung auf den Bereichen Kommunikation, Karriereentwicklung, Führung und Selbstmanagement, insbesondere im Hinblick auf Umgang mit Stress. Mit 17 Jahren Erfahrung im Personalbereich, davon 13 Jahre als Personalleiterin einer internationalen Großkanzlei, ist die Beratung von JuristInnen ein branchenspezifischer Schwerpunkt ihrer Arbeit. www.brandung-consult.com