Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der Covid-19-Pandemie

von Frank Boos

Dem Thema der marktgerechten Bewertung eines KMU beim Verkauf oder Kauf in der aktuellen Situation ist, aufgrund der allgemeinen Verunsicherung, eine noch größere Bedeutung zugekommen. Gleiches gilt insbesondere auch bei etlichen Sonderproblematiken wie der Gründung oder Auflösung von Gesellschaften, im Zugewinnausgleich oder in Zusammenhang mit schenkweisen Übertragungen, Erbschaften oder Pflichtteilsbewertungen.

Der Wert eines KMU wird von unterschiedlichen Aspekten beeinflusst. Auf der einen Seite sind dies die dem jeweiligen Unternehmen innewohnenden Faktoren, welche eine direkte Prägung durch den/die Betreiber/in erfahren haben. Auf der anderen Seite spielen in sehr hohem Maße praxisexterne Faktoren wie der Standort und auch die aktuelle Covid-19- Situation eine entscheidende Rolle.

Aktuell geltende Richtlinien

Mit seinem Urteil vom 09.02.2011 – ZR 40/09 sowie 02.02.2011 – ZR 185/08 hat sich der Bundesgerichtshof deutlich für das „Modifizierte Ertragswertverfahren“ 1 als das vorzugswürdige Verfahren für die Bewertung von freiberuflichen Unternehmen ausgesprochen; auch das Bundessozialgericht folgte für den Bereich der Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen der Rechtsprechung des BGH mit seiner Entscheidung vom 14.12.2011 – B 6 KA 39/10 R. Dem Senat erschien sowohl die Bewertungssystematik als auch die Gewichtung der einzelnen Parameter innerhalb der Methode plausibel und transparent2 . Das Modifizierte Ertragswertverfahren3 stellt – bei richtiger Anwendung – die gegenwärtig aktuellste betriebswirtschaftliche Bewertungsmethode zur Ermittlung des Wertes von freiberuflichen Unternehmen und vielen weiteren inhabergeführten Unternehmen dar. Diese Rechtsprechungstendenz des Bundesgerichtshofs wurde mit der Entscheidung vom 08.11.2017 XII ZR 108/16 auf den gesamten Bereich der „inhabergeführten Unternehmen“ 4 ausgeweitet.

Es ist offensichtlich, dass die Bewertungsmethode den zum Bewertungszeitpunkt vorherrschenden Gegebenheiten Rechnung zu tragen hat, da gerade in einer Krisenzeit die Wertermittlung für inhabergeführte Unternehmen den veränderten Rahmenbedingungen der Gegenwart und prognostizierend für die Zukunft gerecht werden muss.

Ausnahmesituation Covid-19

Aktuell stellt sich unter dem Aspekt der Covid-19-Pandemie bei Unternehmensbewertungen die Situation wie folgt dar: Es ist nach der bisherigen Entwicklung festzustellen, dass sich das Ausmaß der Pandemie auf die Ertragslagen der KMU sehr unterschiedlich auswirkt. Die Dauer der Einschränkungen und die potenziellen negativen Effekte sind aktuell noch nicht abschließend einzuschätzen. Im Allgemeinen können bei Krisen und auch in der aktuellen Covid-19-Pandemie unterschiedliche Szenarien eintreten. So kann es nach der eingetretenen Krise wieder zu einer unmittelbaren Erholung kommen (sog. „V-förmiger Verlauf“) oder die Erholung setzt erst nach einer gewissen Verzögerung (sog. „U-förmiger Verlauf“) ein. Darüber hinaus können sich aber auch langfristige negative Folgen ergeben, die dazu führen können, dass Unternehmen die Krise nicht überleben (sog. „L-förmiger Verlauf“).

Bei anstehenden Unternehmensbewertungen ist somit eingehend als integraler Bestandteil zu analysieren, inwieweit sich die Covid-19-Pandemie auf das jeweilige KMU individuell und nachhaltig auswirkt. Hierbei ist insbesondere die Unternehmensbranche von großer Bedeutung, da manche kaum bis gar nicht, andere aber extrem hart von der Pandemie betroffen sind.

Im Bereich der Unternehmensbewertung sind dann die unterschiedlich möglichen Verläufe abzubilden und entsprechend der jeweiligen konkreten Situation im Rahmen einer Zukunftsprognose rechnerisch abzubilden.

Somit gibt es Fälle, wo aufgrund der atypischen Situation und der konkret eingetretenen Erholung („V“-Verlauf) im Rahmen der Zukunftsprognose keinerlei weitere Bewertungsabschläge vorzunehmen sind, wohingegen auch Bewertungsfälle auftreten, wo aus aktueller Sicht eine Erholung der Geschäftslage nicht absehbar ist. Hierbei ist immer individuell der Einzelfall zu betrachten.

Welches Verfahren eignet sich?

In praxi kann man auch bzgl. der Covid-19-Pandemie nur empfehlen, die Modifizierte Ertragswertmethode bei der Berechnung des Werts eines inhabergeführten KMU als Bewertungsgrundlage zu nehmen. Durch Anwendung dieses Verfahrens kann auch die Besonderheit der Covid-19-Pandemie bei der Bewertung von KMU transparent Berücksichtigung finden.

 

Über den Autor:

Frank Boos
Sachverständiger für die Bewertung
von Unternehmen und Praxen