Morgens Hörsaal, abends Knast

von Marcel Krautter, Philipp Blechmann und Lisa Radl

Die Konstanzer Hochschulgruppe Knastkontakte arbeitet seit 2018 mit Gefangenen der örtlichen Justizvollzugsanstalt (JVA) und umfasst derzeit über 30 aktive studentische Mitglieder.

Ursprünge der Hochschulgruppe Knastkontakte

Wie ist diese Idee entstanden? Unsere Leiterin Lisa war auf der Suche nach einem besonderen Praktikum. Es sollte sich um eine Stelle handeln, die spannende Einblicke in einen sozial relevanten Bereich zu bieten hat und an der nicht allzu viele Studierende ihr Praktikum absolvieren. Also warum nicht in einem Gefängnis?
Während der dortigen Tätigkeit entstand der Gedanke, im Anschluss an das Praktikum ein studentisches Ehrenamt in der JVA einzurichten. In Absprache mit der Leitung der JVA wollte man zunächst den seit 1992 bestehenden, aber nicht mehr aktiven ehrenamtlichen Verein Knastkontakte e.V. wieder ins Leben rufen. Aufgrund der langen Inaktivität des Vereins war es aber nicht möglich, Kontakt zu ehemaligen Verantwortlichen herzustellen und umfassende Informationen über das damalige Projekt zu gewinnen.

Als weniger bürokratische und darüber hinaus auch den Studierenden nähere Alternative bot sich die Gründung einer Hochschulgruppe an der Universität an. Nachdem sich eine ausreichende Anzahl an Interessenten finden ließ, konnte die Zusammenarbeit mit der JVA aufgebaut werden. Seither organisiert sich das Projekt als Hochschulgruppe grundsätzlich selbst, wobei die eigentliche ehrenamtliche Tätigkeit in der JVA im Rahmen des § 16 Justizvollzugsgesetzbuch I durch die mit der Gefängnisleitung getroffenen Regelungen und Vereinbarungen bestimmt wird.

Kriminologischer Hintergrund des Projekts

Die Kriminologie beschäftigt sich im Kern mit der Frage, warum Verbrechen entstehen. Eine mögliche Antwort darauf entwickelte Franz von Liszt bereits Ende des 19. Jahrhunderts mit der Anlage-Umwelt-Formel. Demnach ist jedes Verbrechen das Produkt aus der Eigenart des Verbrechers und den ihn umgebenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Aus diesem Grundverständnis heraus haben sich mittlerweile unzählige Theorien und konkretisierende Erklärungsansätze gebildet.

Für den Bereich des Strafvollzugs sind Forschungen besonders hervorzuheben, welche die möglichen Auswirkungen einer Inhaftierung untersuchen. Näher einzugehen ist auf folgendes Phänomen: Es besteht die Möglichkeit, dass die Unterbringung in einer JVA eine Person nicht von weiteren Straftaten abhält, sondern vielmehr dazu ermutigt.

Die Gründe hierfür können die gesellschaftliche Isolation, die neuen kriminellen Kontakte und die potentielle Stigmatisierung als Straftäter sein.
An diesem Problem möchte die Hochschulgruppe Knastkontakte ansetzen. Auch wenn hier gute staatliche Programme bestehen, kann die Beteiligung einer ehrenamtlichen Gruppe eine weitere, hilfreiche Facette darstellen, insbesondere weil so der Kontakt zur Gesellschaft nie gänzlich abbricht und eine später erfolgende Resozialisierung erleichtert wird.

Ehrenamt in der JVA: Praktische Umsetzung

Ein- bis zweimal pro Woche treffen sich drei bis vier unserer Mitglieder in einer Kleingruppe mit Insassen der JVA. Unser Haupttätigkeitsfeld liegt im Bereich der Untersuchungshaft, weil hier aufgrund der oftmals verstärkten psychischen Belastung der Bedarf einer sozialen Unterstützung am höchsten ist. Gründe hierfür sind insbesondere die dauerhafte Ungewissheit bezüglich des Verfahrensverlaufs und die im Vergleich zur Strafhaft strengeren Regeln im Gefängnisalltag. Naturgemäß besteht in der Untersuchungshaft eine hohe Fluktuationsrate.

Auch wir setzen unsere Teilnehmergruppe in immer wieder unterschiedlichen Konstellationen zusammen. Dadurch entstehen stets neue Begegnungen, welche einerseits den kreativen und spontanen Austausch fördern und andererseits das Gefühl vermitteln, eine gesellschaftliche Alltagssituation zu erleben. Anzumerken ist aber, dass die meisten unserer Mitglieder für die Arbeit in einem solch ungewohnten Umfeld eine gewisse Eingewöhnungsphase benötigen. Um die anfängliche Distanz bei der Gruppenzusammenkunft zu überwinden und dem Treffen eine Struktur zu verleihen, bringen wir Gesellschaftsspiele mit ein.

Selbstverständlich müssen wir auf Hintergründe wie zum Beispiel Herkunft, Bildung und Sprachniveau achten und auf die individuellen Charaktere unterschiedlich eingehen. Auch die Gesprächsinhalte sollten in der Tendenz einen neutralen Inhalt haben, zum Beispiel das aktuelle Weltgeschehen, anstehende Sportereignisse oder kulturelle Veranstaltungen. So konnten der Eurovision Song Contest und die Fußball-Weltmeisterschaft Begeisterung auslösen. Wichtig ist, dass Gespräche über Straftaten oder politisch angespannte Themen vermieden werden.

Generell ist es uns ein Anliegen, eine positive und die Normen und Werte unserer Gesellschaft bekräftigende Atmosphäre entstehen zu lassen. Wir versuchen, ein vorurteilsfreies Gegenübertreten mit einer zum straffreien Leben appellierenden Einstellung zu vereinen. Insbesondere jüngere Insassen können hierbei zum Überdenken bisheriger Verhaltensmuster angeregt werden und hilfreiche Gedankenanstöße mitnehmen.

Zugegebenermaßen sollte man als Mitglied der Hochschulgruppe jedoch über eine recht hohe Frustrationstoleranz verfügen. Man muss schlicht akzeptieren, dass sich noch so gute theoretische Ansätze oft nur dürftig umsetzen lassen und wir als Gruppe nur einen kleinen Einfluss auf die Besserung ausüben können. Wir verstehen uns daher lediglich als eine freiwillige Unterstützung, die wir gerne anbieten, aber keinem gegen seinen Willen aufdrängen wollen.

Ausblick und Perspektiven für das Projekt Knastkontakte

Die Hochschulgruppe besteht mittlerweile seit etwas mehr als zwei Jahren. Wegen der großen Deckungsflächen mit juristischen und psychologischen Tätigkeitsfeldern setzt sich der Hauptanteil unserer Mitglieder aus diesen beiden Fachrichtungen zusammen. Dennoch sind wir ausdrücklich für Interessenten aller Studiengänge offen.

Unsere Mitglieder können auf zahlreiche neue Erfahrungen und Erlebnisse zurückblicken, die auch im späteren Berufsleben von Nutzen sein können. Auch das ein oder andere positive Feedback seitens der Insassen bleibt sicherlich in Erinnerung. Zudem haben sich in der Hochschulgruppe viele Freundschaften gebildet, die über ein rein kollegiales Verhältnis hinausreichen.

Vielleicht lassen sich auch Studierende von anderen Universitäten inspirieren, ein ähnliches Projekt in Angriff zu nehmen. Falls Interesse besteht, sich mit uns in Verbindung zu setzen, um weitere Informationen über das Projekt oder allgemein über die Organisation einer Hochschulgruppe und die Zusammenarbeit mit einer JVA zu erhalten, sind wir unter folgender E-Mail-Adresse zu erreichen: knastkontakte.hsg@uni-konstanz.de

 

 

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Über die Autoren:
Marcel Krautter
 
Gründungsmitglied und 
Verantwortlicher der Hochschulgruppe

Philipp Blechmann
aktives Mitglied der Hochschulgruppe

Lisa Radl
Gründerin und
Verantwortliche der Hochschulgruppe

 

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