Hauptberuflicher Notar: Der abwechslungsreichste, vielseitigste und unabhängigste juristische Beruf

von Dr. Till Bremkamp

»Meinst Du das ernst?« … werde ich immer gefragt, wenn ich meinen Beruf so beschreibe. Denn selbst unter Juristen verbinden viele mit dem Notarberuf das genaue Gegenteil: eintönig, staubtrocken und ungeheuer ermüdend. Wenn ich mit diesem kurzen Beitrag also zumindest Ihr Interesse wecke, habe ich mein Ziel schon erreicht.

Berufsalltag

Wenn ich auf den heutigen Arbeitstag zurückschaue, gibt der Terminkalender einen ganz guten Einblick in meine alltägliche Praxis als Notar in Bonn:

Der Tag beginnt mit einem Besprechungstermin. Zwei Eheleute mit jeweils Kindern aus erster Ehe möchten »ihr Erbe« regeln. Die Ehefrau ist Alleineigentümerin der gemeinsam genutzten Immobilie, die der Ehemann nach ihrem Tod zwar weiter bewohnen, die aber keinesfalls an seine beiden Kinder falle dürfe. Ich erläutere die zur Verfügung stehenden erbrechtlichen Möglichkeiten und die pflichtteilsrechtlichen Einschränkungen. Am Ende des Gesprächs beauftragen sie mich mit der Erstellung eines Erbvertragsentwurfes, den ich in den nächsten Tagen vorbereiten, ihnen zusenden und sodann voraussichtlich in einigen Wochen mit den Eheleuten gemeinsam beurkunden werde.

Es folgt ein Beurkundungstermin. Der Entwurf des zu beurkundenden Grundstückskaufvertrages ist in den Tagen zuvor durch mein Notariat erstellt und mit den Beteiligten abgestimmt worden. Während ich in der Urkunde die Regelung zum Besitzübergang verlese und den Beteiligten erläutere, verlangt der Käufer plötzlich, schon vor Kaufpreiszahlung Zugang zur Immobilie zu bekommen. Er habe die Handwerker schon bestellt und die könnten nun nicht so lange warten, bis der Notar ihm endlich mitteile, dass er bezahlen und mit den Arbeiten beginnen könne. Ich belehre die Beteiligten über die zur Verfügung stehenden rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und die Gefahren einer Besitzeinräumung vor Kaufpreiszahlung. Am Ende ändere ich die Urkunde dahingehend ab, dass der Käufer gegen eine Anzahlung schon vor Kaufpreiszahlung mit den Arbeiten beginnen kann.

Im Wartezimmer warten drei Studenten. Die Verhandlungen im vorhergehenden Beurkundungstermin haben meinen Terminplan etwas durcheinandergebracht. Einer von ihnen hat eine wirklich einfache, aber großartige ­Geschäftsidee  – ich frage mich immer, warum mir so etwas nicht einfällt. Die anderen beiden wollen sich um den Vertrieb und das Marketing kümmern. Sie lassen sich  von mir beraten, in welcher Rechtsform sie ihre Geschäftsidee »auf den Markt« bringen können und welche Vor- und Nachteile das jeweilige »Gesellschaftskleid« mit sich bringt. Sie kommen zu dem Schluss, dass sie mit dem zur Verfügung stehenden Startkapital von 3.000 € eine Unternehmergesellschaft gründen wollen – und lassen sich letztlich überzeugen, dieser Gesellschaft nicht das ungenügende gesetzliche Musterprotokoll, sondern einen ordentlichen und auf die individuellen Bedürfnisse angepassten Gesellschaftsvertrag zugrunde zu legen. Ich verspreche eine zeitnahe Vorbereitung, diktiere einen kurzen Aktenvermerk und bitte meine Mitarbeiter, auf Grundlage dieses Vermerks einen ersten Entwurf zu fertigen.

Es folgt ein weiterer Besprechungstermin. Ein älteres Ehepaar. Sie war einige Tage zuvor bei der Bank und wollte vom Konto des Ehemanns Geld abheben. Die Bankmitarbeiterin hat ihr gesagt, dass sie dafür eine Vollmacht benötige. Ich erläutere den Eheleuten die Funktionsweise und die Vorzüge einer notariellen General- und Vorsorgevollmacht und den Unterschied zur Patientenverfügung. Dabei kommen wir auch auf das Erb- und Pflichtteilsrecht zu sprechen. Nachdem ich ihnen die Kosten für die Errichtung einer notariellen Vollmacht und eines notariellen Testamentes errechnet habe, beauftragen sie mich letztlich mit der Erstellung einer Vollmacht. Das Testament möchten sie aus Kostengründen lieber selbst handschriftlich verfassen.

Anschließend steht die Beurkundung einer Umwandlung im Terminkalender. Eine Mutter-GmbH wird auf ihre Tochter-GmbH verschmolzen – »Downstream-Merger«. Die Urkunde ist vor wenigen Tagen von einer größeren, auf Gesellschaftsrecht spezialisierten Kanzlei vorbereitet und anschließend im Einzelnen zwischen uns abgestimmt worden. Heute erfolgt die Beurkundung mit den Gesellschaftern und Geschäftsführern der Gesellschaften. Im Anschluss wird die Urkunde durch meine Mitarbeiter so schnell wie möglich »vollzugsfertig« gemacht. Die Anmeldung signiere ich noch am Abend und versende sie elektronisch zum Handelsregister, um die umwandlungsrechtliche »Bilanzfrist« einzuhalten.

Zum Abschluss des Tages beurkunde ich eine Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung. Die Eheleute sind beide anwaltlich vertreten. Die Stimmung ist anfangs eisig. Ich habe die Urkunde nach den mir von den beiden Rechtsanwälten mitgeteilten Wünschen der Beteiligten in den Tagen zuvor erarbeitet. Die Beteiligten verzichten wechselseitig auf den nachehelichen Unterhalt und den Versorgungsausgleich. Der Ehemann verpflichtet sich zur Zahlung von Kindesunterhalt für die beiden gemeinsamen minderjährigen Kinder und unterwirft sich in der Urkunde diesbezüglich der sofortigen Zwangsvollstreckung. Die Ehefrau soll mit den gemeinsamen Kindern in der vor einigen Jahren gemeinsam erworbenen Immobilie wohnen bleiben. In der Urkunde überträgt der Ehemann daher seinen hälftigen Miteigentumsanteil an der Immobilie an die Ehefrau und ich kümmere mich im Vollzug der Urkunde um die Entlassung des Ehemannes aus der Schuldhaft für das gemeinsam für den Erwerb aufgenommene Darlehen.

Zwischen den Beurkundungs- und Besprechungsterminen nehme ich mehrere Beglaubigungen von Unterschriften und Abschriften vor, unterschreibe die von den Mitarbeitern erarbeitete Post – Fälligkeitsmitteilungen, Umschreibungsanträge, Entwurfsversand –, signiere und versende elektronisch Eintragungsanträge zum Handels-, Vereins- und Partnerschaftsregister, rufe Mandanten zurück, die mich zwischen den Terminen nicht erreicht haben, bespreche und diskutiere bestimmte Akten mit meinen Mitarbeitern und meinem Sozius – und trinke Kaffee.

Berufsanforderungen

Aus der vorstehenden Darstellung sollte deutlich geworden sein, dass Ihr juristischer Interessenschwerpunkt zumindest nicht im Strafrecht oder im öffentlichen Recht liegen sollte. Wenn Sie sich im Zivilrecht zu Hause fühlen, ist der Notarberuf der richtige. Die Rechtsbereiche, mit denen der Notar sich tagtäglich beschäftigt, lassen sich aus dem Inhaltsverzeichnis des Schönfelders recht gut ablesen. Breite und sichere Kenntnis aller fünf Bücher des BGB sind Grundvoraussetzung dafür, dass der Notarberuf Spaß macht und nicht zum Stressfaktor wird. Ich kenne keinen anderen juristischen Beruf, der eine Arbeit im Zivilrecht in einer derartigen Breite ermöglicht.

Darüber hinaus müsste aus der vorstehenden Darstellung deutlich geworden sein, dass der Notarberuf ein Kommunikationsberuf ist. Sie haben jede Stunde mit anderen Menschen und ihren unterschiedlichen Hintergründen, Zielen und Sorgen zu tun. Sie übersetzen von morgens bis abends juristische Sprache in die Alltagssprache. Die einen nehmen von vornherein dankbar jeden Rechtsrat an, die anderen sind anfänglich genervt davon, vor Ihnen sitzen und Ihnen zuhören zu müssen. Besprechungen und Beurkundungen können harmonisch, konfrontativ, lustig und auch traurig sein. Als öffentlicher Amtsträger sind Sie stets zur strikten unparteilichen Betreuung aller Beteiligten verpflichtet, haben jedoch zugleich bestehende Verhandlungsungleichgewichte durch besondere Belehrung des aufklärungsbedürftigen Beteiligten auszugleichen. Das notarielle Berufsrecht gestaltet den Notar zum obersten Verbraucherschützer im Zivilrecht aus, der durch Kommunikation die Autonomie der Beteiligten zu schützen und die Voraussetzungen für ausgewogene Rechtsgeschäfte zu schaffen hat.

Schließlich sollte es Ihnen keine Angst machen, unternehmerisch zu handeln, zu denken und zu leben. Mit der Bestellung zum Notar endet die gewohnte monatliche Gehaltszahlung. Sie sind selbständiger Freiberufler und müssen sich selbst und Ihr Notariat so organisieren, dass Sie davon leben können. Zwar hält sich das Unternehmerrisiko aufgrund der nur begrenzten Zahl der vom Staat eingerichteten Notarstellen in Grenzen – im Amtsgerichtsbezirk Bonn sind beispielsweise derzeit zwanzig Notarstellen eingerichtet. Wenn allerdings kein Mandant mehr zu Ihnen kommt, Sie die Kosten nicht im Griff haben oder Ihre Haftpflichtversicherung für einen Fehler von Ihnen nicht vollumfänglich aufkommt, kann Ihre wirtschaftliche Existenz durchaus bedroht sein – lediglich die Notare in Bayern, in der Pfalz sowie im Bereich der Ländernotarkasse in den neuen Bundesländern können eine Unterstützung durch die Notarkasse verlangen, wenn sie mit ihrem Notariat das Gehalt eines Richters nicht erwirtschaften (sogenannte »Einkommensergänzung«). Auf der anderen Seite bietet die Selbständigkeit auch Freiheiten, die Ihnen ein nichtselbständiger juristischer Beruf nicht bieten kann: Der Notar entscheidet selbst darüber, ob er seine Geschäftsstelle in einem Altbau in der Innenstadt oder in einem Neubau im Gewerbegebiet unterhält, wie viele und welche Mitarbeiter er beschäftigt und zu welchen Zeiten und in welchem Umfang er Beurkundungen und Besprechungen vornimmt.

Berufszugang

Als Teilbereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist das Notariat eine eigenständige staatliche Rechtspflegeeinrichtung und der Notar Träger eines ihm vom Staat verliehenen öffentlichen Amtes. Im Gegensatz zu den Angehörigen aller anderen rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe nimmt der Notar im gesamten Spektrum seiner beruflichen Tätigkeit staatliche Aufgaben wahr, also Zuständigkeiten, die nach der geltenden Rechtsordnung hoheitlich ausgestaltet sein müssen. Daraus folgt, dass auch der Zugang zum Notarberuf ausschließlich durch den Staat eröffnet und gesteuert wird.

Zum hauptberuflichen Notar wird nur bestellt, wer einen dreijährigen Anwärterdienst als Notarassessor geleistet hat und sich im Anwärterdienst des Landes befindet, in dem er sich um die Bestellung bewirbt. Der Zugang zum hauptberuflichen Notariat erfolgt daher nicht – wie im Anwaltsnotariat – über die erfolgreiche Ablegung einer notariellen Fachprüfung, sondern ausschließlich über die Ableistung einer mehrere Jahre andauernden praktischen Vollzeitausbildung zum Notar. Eine erfolgreiche Bewerbung um eine ausgeschriebene hauptberufliche Notarstelle setzt voraus, dass diese praktische Ausbildung mindestens über einen Zeitraum von drei Jahren (»Mindestanwärterdienstzeit«) und in dem Bundesland durchgeführt wird, in dem sich die ausgeschriebene hauptberufliche Notarstelle befindet (»Landeskinderklausel«). Der Zugang zum hauptberuflichen Notariat erfolgt daher im Regelfall ausschließlich über den Zugang zum Anwärterdienst.

Stellen für den Anwärterdienst werden in regelmäßigen Abständen im Justizministerialblatt des jeweiligen Bundeslandes ausgeschrieben. Ihre Bewerbung hat Aussicht auf Erfolg, wenn Sie ordentliche Examensergebnisse erzielt haben. Ordentlich heißt hierbei entgegen einem weit verbreiteten Glauben nicht, dass Sie in beiden juristischen Staatsexamen zwingend ein »Gut« haben müssten, wobei die konkreten Notenanforderungen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind. Im Bereich der Rheinischen Notarkammer (Oberlandesgerichtsbezirke Köln und Düsseldorf) hat Ihre Bewerbung Aussicht auf Erfolg, wenn Sie in beiden Staatsexamen zumindest die Note »Vollbefriedigend« erzielt haben, wobei das Ergebnis des zweiten Staatsexamens in der Gewichtung einen höheren Stellenwert hat.

Wer den Zugang zum Anwärterdienst geschafft hat und während des Anwärterdienstes die erforderlichen fachlichen Leistungen erbringt sowie sich durchgehend als persönlich für den Notarberuf geeignet erweist, der wird auch in »seinem« Bundesland zum hauptberuflichen Notar bestellt (sogenannte »Anwartschaft des Notarassessors auf Bestellung zum Notar«). Die Auswahl unter mehreren Notarassessoren, die sich nach Ablauf ihrer praktischen Ausbildung um eine ausgeschriebene hauptberufliche Notarstelle bewerben, erfolgt wiederum nach dem Prinzip der Bestenauslese unter Berücksichtigung des Ergebnisses des zweiten Staatsexamens und der im Anwärterdienst erzielten Ergebnisse.

Kontaktmöglichkeiten

Sollte dieser kurze Beitrag Ihr Interesse geweckt haben, empfehle ich Ihnen, selbst einmal einem hauptberuflichen Notar über die Schulter zu schauen. Für ein Praktikum oder eine Referendarstation können Sie sich über die Notarsuche (www.notar.de) einen ortsnahen Notar heraussuchen und sich dort unmittelbar bewerben. Auch die Kolleginnen und Kollegen der örtlichen Notarkammer helfen Ihnen gerne vermittelnd weiter. Wer sich wissenschaftlich mit den notariellen Fachgebieten beschäftigen und sich auf diese Weise dem Notarberuf nähern möchte, dem stehen in Berlin, Bonn, Göttingen, Jena, Hamburg und München wissenschaftliche Institute und Forschungsstellen für das Notarrecht zur Verfügung.

 

Über den Autor:

Dr. Till Bremkamp
Notar in Bonn