Rechtsanwältin für digitale Rechte – Kein Weg gleicht dem anderen

von Ramak Molavi Vasse’i

Viele Ratschläge und Prophezeiungen begleiten den Weg ins Studium: »Werd doch lieber Journalistin«, »Designerin oder Architektin passt besser zu Dir, Du bist doch immer so kreativ!« oder auch: »Mit Jura kann man alles machen, gute Entscheidung«. Vielleicht stimmt dieser Satz mehr als man denkt.

Ich bin Rechtsanwältin für digitale Rechte. Meine Spezialisierung ist IT-Recht mit all seinen Facetten: Datenschutz und Privatheit, digitale Plattformen, Urheberrechte im Netz, Hate Speech, Regulierung technologischer Innovationen. Als IT-Anwältin wende ich ganz klassisch das geltende Recht auf einzelne Sachverhalte an.

Dabei fiel mir früh auf, dass viele Normen suboptimal sind, um die erwünschte regulierende Wirkung – etwa den Ausgleich von Interessen oder die Eindämmung von Machtasymmetrien – zu erreichen. Ich habe mich dann immer weiter mit der Rechtsentstehung und Rechtswirkung im Rahmen von Digitalisierung befasst.

Europäisches Recht

IT-Recht bedeutet immer mehr auch Europäisches Recht. Die Harmonisierung des Rechts schreitet voran. Datenschutzgrundverordnung, B2B-Plattformregulierung, Digital Services Act, Digital Market Act, der Vorschlag eines Artificial Intelligence Acts: Die Regulierung des Digitalen verschiebt sich immer mehr von der nationalen auf die EU-Ebene.

Statt Richtlinien zu erlassen, die zunächst noch in nationales Recht umgesetzt werden müssen, greift der EU-Gesetzgeber immer öfter zu Verordnungen, die im Gegensatz zur Richtlinie Geltung in allen member states der EU entfalten, ohne dass es eines Umsetzungsaktes bedarf.

Es ist wirklich nicht einfach, die Übersicht über jegliche relevante Gesetzgebung zu behalten, zumal die offiziellen Internetseiten in Sachen Informationsbereitstellung und open legal data weit hinterherhinken und man oft lange nach Regulierungsvorhaben suchen muss. Da braucht es schon Nerdtum, um dran zu bleiben. 

Policy-Beratung

Als unabhängige Policy-Beraterin setze ich mich für die Rechte der Bürger und Verbraucher gegenüber großen Tech-Monopolen und gegenüber dem Staat ein. Die Zivilgesellschaft ist in Gesetzesvorhaben leider nicht genug partizipativ eingebunden. Ihre Sicht kommt zu kurz. Oft genug bin ich auf Konferenzen oder in einer internen Expertenrunde die Einzige, die geladen wird, um die Sicht der Zivilgesellschaft zu vertreten.

Um dem Thema »Bürger- und Verbraucherrechte gegenüber großen Tech-Monopolen und dem Staat« mehr Sichtbarkeit zu verleihen, schreibe ich regelmäßig an interdisziplinären Studien mit, die Vorschläge unterbreiten, wie eine bürgerfreundliche und sichere IT-Infrastruktur aussehen könnte.

In meinen Vorlesungen versuche ich wiederum mein Wissen aus all diesen Kreisen einzubringen und den »Stoff« mit praktischen Beispielen zu bereichern, damit ich ein Gefühl für die Realitäten und den Mut, in alternativen Lösungen zu denken, vermitteln kann.

Ich publiziere regelmäßig zu Themen rund um KI, Ethik und Technologie und Privatheit. Ich forsche derzeit zum Zugang zum Recht und den technischen Möglichkeiten, die dabei helfen können, das Recht des Einzelnen oder von Gruppen besser zu mobilisieren.

Kreative Problemlösungen

Bei all meinen Vorhaben hilft mir einerseits, dass ich einen Design-Background habe. Denn gestalterische Fähigkeiten und Kreativität braucht man bei Problemlösungen aller Art. Mir hilft zum Beispiel das Visualisieren: Ich arbeite fast immer mit mind maps, um meine Gedanken und Ideen zu strukturieren.

Später habe ich noch Design Thinking gelernt und mich mit der Ethik von Technologie beschäftigt. Es gibt inzwischen so viele wirklich gute Online-Kurse von großen Universitäten. Jedes weitere Wissen, das man sich aneignet, vor allem aus anderen Disziplinen, hilft einem bei der Lösung komplexer Herausforderungen. Man kann aus einer Toolbox an Fähigkeiten die passenden für die konkrete Situation zusammenstellen.

Aus meinen vielen Jahren in der Gamesbranche kenne ich mich mit der Entwicklung von digitalen Produkten, dem Design und Implementierungsprozessen aus und weiß, wie wichtig gutes Design und eine gute User Experience (UX) sind. Dieses Wissen wende ich beispielsweise auch bei der Umsetzung von Portalen für Rechtssuchende oder anderen Digitalen Services an.

Digitalisierung als Dienst am Gemeinwohl

Die Fragen, die mich umtreiben, sind: Wie muss Digitalisierung gestaltet sein, um dem Gemeinwohl zu dienen, um nachhaltig zu sein? Wie können wir digitale Strukturen so aufbauen, dass unsere Grundrechte darin eingebettet sind und nicht verloren gehen? Wie verhindern wir zunehmende Überwachung der Bürger durch Staat und große Unternehmen?

Im Studium der Rechtswissenschaften üben wir kritisches, hinterfragendes Denken und die kreative Problemlösung. Man lernt sein logisches Denken zu schärfen und anzuwenden, indem man analytisch bei Problemlösungen vorgeht. Wir gehen den Dingen auf den Grund, wägen ab, setzen in Relation. Auch lernen wir uns schnell und ergiebig in ein neues Thema einzuarbeiten. Das sind alles sehr hilfreiche Fähigkeiten, die man später immer braucht.

Horizonterweiterung

Wäre ich jetzt noch Studentin an der Uni, so würde ich mich sicher in einer Law Clinic engagieren und schon früh die Schönheit des Berufs erleben: wie gut es ist, mit seinem Wissen anderen helfen zu können. Ich würde (nochmal) Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie belegen.

Gerade die Vorlesungen, die man nicht nur belegen muss, sondern kann, geben einem spannende Impulse und erweitern den Horizont. Wir alle haben unterschiedliche Skills und es sind gute Zeiten dafür, dass man diese ganz selbstverständlich kombinieren und mit neuen Perspektiven anreichern kann. Viel Freude und Erfolg beim Studium!

Mehr Infos: https://thelawtechnologist.com/ @ramakmolavi

 

Ramak Molavi Vasse’i
Rechtsanwältin für digitale Rechte
Policy Advisor und Mitglied
der AI Alliance der EU-Kommission
Gastdozentin an
der Universität Potsdam und
IE Law School in Madrid