Lohnt sich ein Fachanwaltstitel?

Akten Fachanwalt
von Dr. Astrid Lilie

Der Weg war lang: Zwei Staatsexamen sind geschafft und mit Stolz dürfen sich die frischgebackenen Absolventen und Absolventinnen nun Anwalt oder Anwältin nennen. Braucht es da eigentlich noch eine weitere Runde bis zum Fachanwaltstitel? Und wenn ja, für wen lohnt sie sich? Als Fachanwalt oder Fachanwältin für Strafrecht darf sich bezeichnen, wer sowohl besondere theoretische Kenntnisse sowie besondere Erfahrung (§ 2 Fachanwaltsordnung – FAO) im Bereich des Strafrechts nachweisen kann und seit mindestens drei Jahren als Anwalt oder Anwältin (§ 3 FAO) zugelassen ist.

Voraussetzungen für den Fachanwaltstitel

Besondere Erfahrung erlangt man, wenn man an mindestens 40 Hauptverhandlungstagen vor einem Schöffengericht oder einem übergeordneten Gericht als Anwalt oder Anwältin – entweder in der Verteidigung oder in der Vertretung der Nebenklage – tätig gewesen ist. Zudem muss man 60 Fälle nachweisen, in denen man im Strafrecht mandatiert war (§ 5 Abs. 1 lit. f FAO). Die besonderen theoretischen Kenntnisse werden durch die (erfolgreiche) Teilnahme an einem die Fachanwaltsbezeichnung vorbereitenden anwaltsspezifischen Lehrgang nachgewiesen. Diese Lehrgänge werden durch unterschiedlichste Veranstalter angeboten. Da man zuvor zwei Staatsexamen erfolgreich bestanden hat, ist dieser Teil zum Erwerb des Fachanwaltstitels wohl der Einfachste.

Die Herausforderung besteht eher darin, in der vorgeschriebenen Zeit, also in drei Jahren, an 40 Hauptverhandlungstagen vor einem Schöffengericht oder einem übergeordneten Gericht verteidigt beziehungsweise die Nebenklage vertreten zu haben. Sobald man diese 3-Jahres-Grenze überschreitet, fallen die Hauptverhandlungstage, die zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr in den Zeitraum fallen, weg (die Frist kann sich durch Mutterschutz und Elternzeit verlängern, § 5 Abs. 3 FAO).

Besonderheiten der Tätigkeit als Fachanwältin bzw. Fachanwalt im Wirtschaftsstrafrecht

Wenn man sich beispielsweise zu Beginn der beruflichen Karriere auf das Wirtschaftsstrafrecht spezialisiert hat, wird das Sammeln der ausreichenden Anzahl an Hauptverhandlungstagen zu einer besonderen Herausforderung, mit der viele Wirtschaftsstrafverteidigerinnen und Wirtschaftsstrafverteidiger durchaus zu kämpfen haben. Ermittlungsverfahren in Wirtschaftsstrafverfahren sind dadurch gekennzeichnet, dass sie lange andauern und nur selten in einer Hauptverhandlung enden. Wenn sie jedoch zu einer Hauptverhandlung führen, dann besteht wiederum die Möglichkeit, dass dieser eine Fall an möglicherweise über 40 Hauptverhandlungstagen stattfindet. Diese 40 Hauptverhandlungstage verteilen sich jedoch in der Regel nicht auf zwei oder drei Monate, sondern auf mehr als ein Jahr. Daher ist es sinnvoll, sich als junger Rechtsanwalt oder junge Rechtsanwältin, auch bei einer Spezialisierung, anderen Fällen zu widmen, um so nicht nur die für die Fachanwaltsbezeichnung ausreichende Anzahl an Hauptverhandlungstagen zu sammeln, sondern auch ein breiteres Wissen im Strafrecht zu erhalten.

Der Einblick in viele Bereiche des Strafrechts ist gerade Sinn und Zweck der Voraussetzungen für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung. Einen Fachanwalt oder eine Fachanwältin für Strafrecht zeichnet so nicht nur aus, Experte oder Expertin im Wirtschaftsstrafrecht, Jugendstrafrecht oder Betäubungsmittelstrafrecht zu sein, sondern impliziert zudem praktische und theoretische Kenntnisse in vielen Bereichen des Strafrechts. Auch wenn die Verpflichtung zur Teilnahme an den Hauptverhandlungen als Belastung wahrgenommen wird, ist es eine Bereicherung an praktischer und auch an Lebenserfahrung.

Fachanwaltslehrgang: Präsenz oder online

Einen Fachanwaltslehrgang kann man sowohl Online als auch in Präsenz durchführen. Dabei ist zu bedenken, dass eine Präsenzveranstaltung den großen Vorteil hat, sich mit Kolleginnen und Kollegen vernetzen zu können. Vor dem Hintergrund der Akquise eigener Mandate macht es Sinn, Kolleginnen und Kollegen kennen zu lernen, die im selben Fachbereich tätig sind. Eine Empfehlung wird immer eher der- oder diejenige erhalten, die man kennt und mit der/dem man gerne zusammenarbeitet. Ein (Groß-)Teil der Mandate wird über Empfehlungen vergeben.

Fortbildungsverpflichtung für Fachanwältinnen und Fachanwälte

Die einmal erworbene Bezeichnung muss jährlich durch Fortbildungen erneuert werden. Die Fachanwaltsordnung verlangt, mindestens 15 Fortbildungsstunden in einem Jahr in dem konkreten Rechtsgebiet abzuleisten (§ 15 FAO). Diese Fortbildungen bieten nicht nur die Möglichkeit, speziell zu dem gewählten Fachbereich Vorträge zu hören oder an Seminaren teilzunehmen, sondern erneut auch die Chance dazu, Kolleginnen und Kollegen wiederzutreffen oder kennenzulernen. Man kann diese daher durchaus als Gewinn und nicht als Last empfinden.

Conclusio: Fachanwaltstitel als Wettbewerbsvorteil

Einige Mandantinnen/Mandanten suchen speziell nach fachlich erfahrenen Anwältinnen/Anwälten. Das ist wahrscheinlich vergleichbar mit der Suche nach einer Fachärztin oder einem Facharzt. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Anzahl von Berufsträgern ist eine weitere Spezialisierung, die auch von der zuständigen Berufskammer kontrolliert und vergeben wird, ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil. Insbesondere ist aber der Kontakt und das Kennenlernen von Kolleginnen und Kollegen ein echter Gewinn.
 

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Über die Autorin: 

Dr. Astrid Lilie
ist Fachanwältin für Strafrecht. Sie berät Unternehmen und verteidigt Individualbeschuldigte seit 2010 im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen des Steuerstrafrechts, des Bank- und Kapitalmarktstrafrechts, der Korruptionsdelikte sowie in Fragen der Compliance. Dr. Astrid Lilie war von 2007 bis 2020 ständige Autorin des C.H.Beck-Fachdienstes Strafrecht und ist Herausgeberin der NZWiSt. Seit 2018 ist sie im Vorstand des Rheinhessischen Anwaltvereins Mainz e.V. und seit 2022 dessen Vorsitzende.

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Der Beitrag ist erstmals im Beck'schen Referendariatsführer 2023/2024 erschienen.