Plädoyer für eine Anwalts-Gründerkultur

von Dr. Miriam Vollmer

Während unter Betriebswirten Menschen, die Investoren suchen, einen Porsche und einen Kicker kaufen und ein Start Up aufziehen, in hohem Ansehen stehen, denken die meisten Juristen bei Gründern an traurige Gestalten, die ein Schild ans elterliche Einfamilienhaus nageln, weil sie keiner einstellt.

Zugegeben, solche Leute gibt’s. Aber reden wir heute nicht über die, die aus der Not schlechter Examina eine Tugend machen müssen, sondern über Leute, die all das mitbringen, für die man Gründer erfolgreicher Unternehmen bewundert: Sie denken „out of the box“, also nicht in den Grenzen der auch unsere Profession prägenden Vorurteile. Sie passen lieber ihre Umgebung ihren Wünschen an als umgekehrt. Und sind Optimisten, weil sie wissen, dass es immer eine Nachfrage für gute Leute gibt.

Keine Gründungen trotz geringem Kapital?

Dass auch Juristen ungern gründen, ist umso erstaunlicher, als Juristen – anders als andere Leute – wenig Kapital brauchen. Doch trotz dieser an sich günstigen Voraussetzungen wagen nur Wenige den Schritt in die Selbständigkeit. Dabei waren die Zeiten für Gründer wirtschaftsberatender Kanzleien noch nie so gut wie heute. Das liegt an drei Faktoren: Spezialisierung, Digitalisierung und eine veränderte Erwartungshaltung des Marktes.

Spezialisierung nützt

Während vor einer Generation der „juristische Hausarzt“ für viele Unternehmen noch die erste Adresse war, ist heute klar, dass der Anwalt, der den Ärger mit der Spedition Schulze aus der Welt schafft, nicht der Richtige ist, wenn ein Produktplagiat per Abmahnung unterbunden oder eine Gasausschreibung begleitet werden soll. Damit gibt es viele, viele Nischen. Nische meint dabei nicht nur das Rechtsgebiet. Sondern auch die Mandanten, an die man sich wendet. Will man Produktplagiate für Softwarehäuser beraten oder mahnt Firmen ab, die Handtaschen fälschen? Entstammt man einer Dynastie von Metzgermeistern und möchte diesem Handwerk in Robe statt Schürze nützen?

In jedem Fall gilt: So viele Anwälte gibt es meistens nicht, die diese Zielgruppe in diesem Rechtsgebiet beraten. Das erleichtert es, sich schnell einen Namen zu machen. Umso mehr, wenn man schon einige Jahre Berufserfahrung hat und weiß, welche Zeitschriften wo viel gelesen werden, wer die wichtigen Verbände sind, wen man unbedingt mal anrufen sollte und wer was politisch begleitet. Um es militärisch auszudrücken: Ein einzelnes Schlachtfeld erobert man leichter als ein ganzes Land.

Ohne Digitalisierung geht nichts mehr

Auch die Digitalisierung ist ein As im Gründerärmel. Als wir uns 2018 selbständig gemacht haben, haben wir auf eine voll elektronische Struktur gesetzt. Externe Server und Telefonanlage, Anwalts-IT nicht nur haben, sondern auch nutzen, Schriftwechsel und Dokumente nur digital. Was an Papier ins Haus kommt, wird elektronisch veraktet. Reisen buchen wir über Apps selbst. Videokonferenzsysteme sind seit Corona allgemein verfügbar und auch Akquise ist über Soziale Medien und Blogs einfacher als früher.

Apropos Medien: Bibliotheken können klein ausfallen, denn über Onlinedienste ist fast das ganze relevante Schrifttum und die Rechtsprechung erreichbar. Das alles spart Platz und Personalkosten. Wer viele Dienste wie Buchhaltung oder IT-Service externalisiert, reduziert noch mehr Kosten, die er gezielt investieren kann, etwa in Kanzleiräume in herausgehobenen Lagen, spezielle Legal Tech Anwendungen oder Dienstleister mit besonderen Kompetenzen.

Insgesamt gilt: Man kann heute eine wirtschaftsberatende Kanzlei mit einer Kostenquote von weniger als 20% führen, vor 20 Jahren wäre das ohne erhebliche qualitative Abstriche nicht möglich gewesen. Das erleichtert es, sich am Markt zu etablieren, weil man so einen professionellen Kanzleibetrieb gewährleisten kann, ohne die mit den Jahren oft behäbig gewordene Struktur, die Wettbewerber bezahlen.

Veränderte Markterwartungen zum Vorteil der Gründer

Zuletzt erleichtert auch der veränderte Markt Gründungen. Wer heute einen Anwalt sucht, hat seine Erfahrungen mit längeren Empfangstresen als im Hilton, Besprechungsräumen in Glaspalästen und Schwadronen junger Anwälte bereits gemacht. Viele hadern auch mit immer höheren Stundensätzen. Sie wünschen sich zudem einen festen Ansprechpartner statt ständig wechselnder Berufsanfängern, die sich auf ihre Kosten einarbeiten, um zu verschwinden, sobald sie wissen, wie der Hase läuft. Oder sie bleiben zwar bei den Kanzleien, die die Rankings anführen, ergänzen ihr Tableau aber um Spezialisten für die erwähnten Nischen. Auch dies spielt Gründern in die Hände.

Gründen ist Freiheit

Doch fürs Gründen spricht nicht nur, dass der selbstgemachte Erfolg heute einfacher ist, als vor zehn Jahren. Die eigene Kanzlei hat auch Vorzüge, die auch die steilste Karriere woanders nicht bieten kann: Welche Struktur ist mehr auf den Anwalt zugeschnitten als die selbst designte? Wo und wann gearbeitet wird. Von der Kleiderordnung bis zur Kaffeemaschine, vom Logo bis zur Frage, wie viel Umsatz reicht: Gründen ist Freiheit.

 

Über die Autorin: 

Dr. Miriam Vollmer
Fachanwältin für
Verwaltungsrecht
Gründerin der Kanzlei
re|Rechtsanwälte PartG