ESG – im wirtschaftsrechtlichen Fokus

von Dr. Marc Ruttloff und Prof. Dr. Eric Wagner

Die drei Buchstaben »ESG« sind in jüngerer Zeit immer stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit, der Politik und vor allen Dingen auch der Unternehmen gerückt. Die Abkürzung steht für »Environment«, »Social« und »Governance« und umfasst damit Aspekte nachhaltiger Unternehmensführung. Insofern handelt es sich um ein ganzheitliches Thema, das nicht nur vielfältige Aspekte, sondern auch unterschiedlichste Rechtsbereiche und Fachdisziplinen umfasst.

Damit hat dieses Themenfeld schon heute hohe Bedeutung für zahlreiche juristische Berufsfelder, einschließlich der Anwaltstätigkeit in der Wirtschaftskanzlei. Und in den kommenden Jahren wird die Bedeutung noch stärker zunehmen.

Transformation der Volkswirtschaft und der Unternehmen

Eine allgemeingültige Definition dessen, was ESG bedeutet, gibt es – jedenfalls bislang – nicht. Eine abschließende Definition wäre auch nicht sinnvoll. Es geht hierbei letztlich vielmehr um einen andauernden Prozess, der Aspekte rund um die Bereiche Environment, Social und Governance (also Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung) stärker auch und gerade in  das Bewusstsein von Unternehmen rückt.

Während diese in der Vergangenheit vor allen Dingen an ihrem ureigenen unternehmerischen und wirtschaftlichen Erfolg gemessen wurden, gewinnen ökologisch bewusstes, sozial nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln einen immer größeren Stellenwert.

Das gesamtgesellschaftliche Umdenken findet gleichsam in die Wirtschaftswelt Einzug. Parallel hierzu entstehen neue Vorgaben auf rechtlicher Ebene: national, EU-weit und auch weltweit.

ESG-Compliance als neuer Wert an sich

Unternehmen jeder Größe müssen sich daher auf diesen Wandel zügig einstellen, sich professionalisieren und unternehmensinterne Strukturen implementieren. ESG und die einschlägigen Faktoren sind zu einem handfesten »Value« geworden. Gerade im Bereich der Finanzierungen sind die Art und Weise der Umsetzung ESG-bezogener Ziele in verschiedener Weise für die einzelnen Finanzierungsvehikel von Bedeutung und können wesentlichen Einfluss auf die schlussendlichen finanziellen Konditionen haben.

Nicht zuletzt auch in Unternehmenstransaktionen spielt die ESG-Compliance eine immer größere Rolle. Nur Unternehmen, die hier gut aufgestellt sind, gelten als zukunftsträchtiges und nachhaltiges Investment. Defizite in diesem Bereich kann man sich somit schlichtweg nicht mehr leisten.

ESG und Recht

In vielen Bereichen, die unter den Begriff ESG fallen, schreibt der Gesetzgeber mittlerweile Mindeststandards vor. Initiativen und Strukturen müssen daher von Wirtschaftsakteuren rechtssicher gestaltet werden. Darüber hinaus bietet dieses Themenfeld aber auch Chancen, sich von Wettbewerbern abzusetzen und durch eine freiwillige Übererfüllung Marktvorteile zu erlangen.

ESG-Compliance ist damit zu einem der neuen zentralen Beratungsfelder für Wirtschaftskanzleien geworden. »ESG-Compliance ist zu einem der neuen zentralen Beratungsfelder für Wirtschaftskanzleien geworden.« Der Wert einer wirksamen ESG-Compliance-Struktur ergibt sich nicht allein aus den »traditionellen« Gradmessern wie der Reduzierung von Bußgeld- und Sanktionsrisiken, Haftungsrisiken oder sonstiger rechtlicher Nachteile.

ESG-Compliance wird zum allgemeinen Common Sense. Unternehmen, die diesen Maßstäben nicht gerecht werden, haben zunehmend einen schwierigen Stand im Wettbewerb, gegenüber Kunden wie Zulieferern gleichermaßen, sie sinken in der Gunst der Investoren und finanzierenden Banken und sind auch für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger attraktiv. Soft Factors werden damit zu Hard Factors. Rechtliche Beratungs- und Themenfelder in der Wirtschaftskanzlei werden dadurch immer vielfältiger.

Nur exemplarisch:

❯ Zum 1.Januar 2023 tritt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft, dessen Ziel es ist, Menschenrechtsverletzungen sowie Umweltrisiken vorzubeugen und Unternehmen dazu zu verpflichten, diese Ziele auch und gerade gegenüber ihren Lieferanten sicherzustellen.

❯ Auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene entstehen umfassende und immer strenger werdende Pflichten für Unternehmen zur Berichterstattung im Bereich CSR (Corporate Social Responsibility), sodass nicht mehr nur über die wirtschaftlichen Entwicklungen, sondern auch zu den nicht-finanziellen Aspekten Bericht zu erstatten und Transparenz hinsichtlich ESG zu schaffen ist.

❯ Flankierend sieht auch die Fortschreibung des Deutschen Corporate Governance Kodexes (DCGK) eine wachsende Bedeutung für Nachhaltigkeitsziele und -aspekte hinsichtlich der unternehmerischen Governance-Strukturen vor.

❯ Nachhaltigkeitsziele spielen auch in der Vergütung von Unternehmensvorständen eine immer größere Rolle und beeinflussen Bonuskomponenten.

❯ Teils werden in Vorständen auch neue Funktionen geschaffen. Vorstandsressorts wie der Chief Sustainability Officer (CSO) tragen dabei die zentrale Verantwortung, auch und gerade in rechtlicher Hinsicht, für den Bereich ESG in einem Unternehmen.

❯ Bei der Fortentwicklung von ESG-relevanten Initiativen kann in vielen Fällen auch die Ausbildung einheitlicher Branchenstandards helfen.

Eine Kooperation von Unternehmen einer Branche bei solchen Initiativen führt dann auch zu neuen Herausforderungen im Bereich des Kartellrechts und der Frage, unter welchen Rahmenbedingungen solche Kooperationen zulässig sein können.

Die Liste an rechtlichen Themen lässt sich nahezu beliebig fortsetzen – und laufend kommen neue Entwicklungen hinzu. Damit verbundene rechtliche Fragen betreffen sodann die rechtssichere vertragliche Ausgestaltung von ESG-relevanten Aspekten im Rechtsverkehr sowie die mit diesen Entwicklungen einhergehende Renaissance des allgemeinen Umweltrechts.

Dynamisierende Wirkung des Wirtschaftsrechts

Während das gesellschaftliche Umdenken sich längst vollzogen hat, ist nun der fortschreitende Bedeutungsgewinn im Bereich des Wirtschaftsrechts ein positives Anzeichen dafür, dass auch in den Unternehmen eine umfassende Transformation im Gange ist, die auch und gerade den Bereich ESG erfasst. Und diese Entwicklung kann man als Wirtschaftsanwältin oder Wirtschaftsanwalt begleiten.

 

Über die Autoren:

Dr. Marc Ruttloff
Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Gleiss Lutz und berät im Bereich Regulatory/ Öffentliches Wirtschaftsrecht, insbesondere bei Fragen des Verwaltungs-, des Verfassungsund des Europarechts, der Amtshaftung, der Energiewirtschaft und der sonstigen regulierten Industrien. Seine Tätigkeit umfasst ferner sämtliche Fragen des Produkthaftungs- und Produktsicherheitsrechts sowie der Product Compliance einschließlich der damit verbundenen Herausforderungen aktueller Entwicklungen wie Connectivity, Datenschutz und künstliche Intelligenz. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Beratung zu Fragen der ESG/CSR-Compliance. Er ist Head der Praxisgruppe Öffentliches Recht und der ESG-Praxis bei Gleiss Lutz. Ferner ist er Co-Schriftleiter und Mitherausgeber der im Verlag C.H.BECK erscheinenden Zeitschrift »ESG«.

Prof. Dr. Eric Wagner
spezialisiert auf die Bereiche Disputes, Product Compliance und Commercial. Schwerpunkte seiner Arbeit sind dabei unter anderem die Bereiche ESG, e-commerce, autonomes Fahren, connectivity und Industrie 4.0. Er vertritt Mandanten regelmäßig sowohl vertragsgestaltend wie auch in streitigen Verfahren (insb. bei Streitigkeiten aus Verträgen, bei der Durchsetzung oder Abwehr von Haftungs- und Regressansprüchen, in Massenverfahren und in insolvenzrechtlichen Streitigkeiten) vor staatlichen Gerichten und internationalen Schiedsgerichten. Er ist Co-Head einer der drei Core Business Units (»Regulatory & Litigation«) bei Gleiss Lutz und Leiter des Bereichs Produkthaftung. Ferner ist er Co-Schriftleiter und Mitherausgeber der im Verlag C.H.BECK erscheinenden Zeitschrift »ESG«.